Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte
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Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse 109<br />
Ebenfalls am 8. September setzt Reust den neuen Arbeitgeber in Kenntnis über<br />
B. K.s Vormundschaft und bittet diesen, besonders auf den ausbezahlten Lohn ein<br />
Auge zu haben. Über den von B. K. beantragten Vormundwechsel wünscht sie von<br />
der Heimatgemeinde auf dem laufenden gehalten zu werden. Gegenüber B. K. selbst<br />
äussert sie, nichts gegen seine Absicht zu haben. Die Vertreter der Heimatgemeinde<br />
können nun allerdings B. K.s «Ansicht nicht vorbehaltlos teilen, wonach einem Burschen<br />
ein ‹Mann› als Vormund bestellt werden müsse» und lehnen einen Vormundwechsel<br />
ab. Mit B. K. sind sie aber einer Meinung, K. K., den Bruder B. K.s, gelegentlich<br />
ebenfalls unter Vormundschaft zu stellen. B. K. selbst wird beschieden, bald<br />
aus der Vomundschaft entlassen zu werden, wenn er sich «weiterhin gut verhalten<br />
und zu keinen Klagen Anlass geben» würde.<br />
Am 22. September taucht der krank geschriebene B. K. persönlich auf dem Zentralsekretariat<br />
in Zürich auf und deponiert eine Arztrechnung. Von der anwesenden Mitarbeiterin<br />
aufgefordert, sich endlich bei einer Krankenkasse anzumelden, platzt er<br />
schliesslich mit der Neuigkeit heraus, die Heimatgemeinde habe nach seinem erneuten<br />
Nachhaken einen neuen Vormund bestellt und seinem Meister den Namen des<br />
Betreffenden telefonisch mitgeteilt.<br />
Tags darauf ruft der Arbeitgeber auf dem Zentralsekretariat an. Mit B. K. sei er nicht<br />
zufrieden, dieser «vestehe nicht viel von der Malerarbeit» und sei jetzt überdies noch<br />
krank. Ferner sei ihm das Zimmer in Z. gekündigt worden, und das Mädchen, das er<br />
kennengelernt habe, müsse er bald heiraten. Trotzdem würde er es aber mit B. K.<br />
nochmals versuchen.<br />
Als Clara Reust ihr Mündel einen Monat später besucht, ist der Vormundwechsel<br />
bereits kein Thema mehr. Auch ist die Freundin B. K.s, die 18jährige K. L.,<br />
entgegen den Aussagen seines Arbeitgebers nicht schwanger. Dennoch möchte er sie<br />
möglichst bald heiraten, wogegen sich Clara Reust wendet und B. K. bei einem<br />
Fehlverhalten mit mindestens zwei Jahren Verwahrung in Bellechasse droht.<br />
Zweimal telefoniert B. K. in der Folge: Das erstemal, am 9. November 1960, kann er<br />
Clara Reust nicht erreichen, doch besucht er diese dann nach telefonischer Ankündigung<br />
am 2. Dezember in ihrem Büro. Dabei, so Reust, sehe er, «nach seiner Auffassung,<br />
modern und schneidig aus», mache aber einen nervösen Eindruck und rauche<br />
ständig, wolle wegen Schmerzen einen Herzspezialisten aufsuchen, rede nur von<br />
Geld und davon, sich an Weihnachten mit K. zu verloben.<br />
Am 7. Dezember meldet sich B. K. erneut telefonisch auf dem Zentralsekretariat und<br />
teilt mit, dass er die Stelle in gegenseitigem Einverständnis gekündigt habe und<br />
schon am nächsten Tag wieder bei Maler O. in F. eintreten könne, allerdings nur<br />
befristet bis Ende Jahr; danach wolle er – wie schon angekündigt – ins besser zahlende<br />
Hotelfach wechseln.<br />
Als Clara Reust am 8. Dezember telefonisch nach dem Grund <strong>für</strong> den abrupten<br />
Stellenwechsel fragt, gibt B. K. zur Antwort, die «elenden Rätsch- und Tratschweiber»<br />
in Z. AG hätten ihn verleumdet und einen «Huere-Bueb» genannt, was er<br />
sich nicht gefallen lasse. Gemäss der eigenhändigen Telefonnotiz droht Reust mit<br />
der Wiedereinlieferung in Bellechasse, «wenn er sich jetzt nicht sesshaft und<br />
arbeitsam verhalte».