Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte
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88 Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse<br />
Aus Lachen wird schon vier Tage später, am 20. Januar 1942, in positivem Sinn rapportiert,<br />
an den Bericht aber gleich die Bitte angehängt, die Pro Juventute möge «andere<br />
frische Kleine senden».<br />
Da die Pro Juventute einen Zusatzbericht zum diagnostizierten Herzfehler wünscht<br />
mit der Begründung, man sei es «eventuell in Frage kommenen Pflegeeltern schuldig<br />
…, auch von ärztlicher Seite ein genaues Gutachten zu haben», trifft Ende Januar ein<br />
entsprechendes Zeugnis des Lachener Arztes ein.<br />
Ein Bericht der Pro Juventute nennt Ausgaben <strong>für</strong> 1940 von Fr. 183.–, <strong>für</strong> 1941 von<br />
Fr. 427.20 und schliesst mit dem Fazit, es werde an eine «Versetzung in eine Privatfamilie»<br />
gedacht. Damit klappt es aber nicht sogleich. Einem Bericht vom 16. April<br />
1942 an einen Aargauer Gönner, der eine Patenschaft übernehmen wollte, ist zu entnehmen,<br />
dass es «kleine Buben bekanntlich äusserst schwer haben, Pflegeeltern<br />
finden zu können», doch sei hier der Herzfehler der hauptsächliche Hinderungsgrund<br />
gewesen. Im Juli bahnt sich eine Veränderung an. Eine Anfrage eines Bündner Gemeindesekretärs<br />
der Pro Juventute wird vom Bezirkssekretariat in Chur an die Zürcher<br />
Zentrale weitergeleitet. Darin wird ausgeführt, eine Familie würde «gern einen<br />
Knaben im Alter von 1–5 Jahre zur Erziehung und wenn möglich zur späteren Adoption<br />
aufnehmen. / Ist die Pro Juventute in der Lage ein solches Kind zu vermitteln<br />
und welche Schritte muss ich noch unternehmen?» Das Zentralsekretariat in Zürich<br />
wendet sich darauf direkt an den betreffenden Pro-Juventute-Gemeindesekretär, der<br />
von Beruf Pfarrer ist, und sucht um ein Leumundszeugnis nach. Im Oktober stattet<br />
Siegfried den seit längerem angekündigten Besuch ab, um sich einen persönlichen<br />
Eindruck von den Verhältnissen der interessierten Familie zu verschaffen. Bei dieser<br />
handelt es sich um zwei ledige Geschwister, eine Frau und einen Mann im Alter von<br />
30–40 Jahren, und deren Mutter. Da der Eindruck positiv ist, bietet die Pro Juventute<br />
am 13. Oktober der Familie B. K. sowie zwei Fünfjährige an. Die beiden Geschwister<br />
entscheiden sich schon einen Tag später <strong>für</strong> B. K. und verbitten sich allfällige<br />
Elternbesuche, da sie eine Adoption erwägen. Am 17. Oktober 1942 überbringt Siegfried<br />
sein Mündel B. K. persönlich der künftigen Pflegefamilie.<br />
In der Folge müssen wiederum Formalitäten erledigt werden. Für B. K. wird das<br />
erste Inventar erstellt – sein Besitz an Kleidern, Schuhen und Finken wird auf Fr.<br />
74.70 taxiert –, und die Oberin des Kinderheims erstattet die Rationierungskarten <strong>für</strong><br />
Lebensmittel, Schuhe, <strong>Text</strong>ilien und Seife sowie den Heimatschein. Die Pro Juventute<br />
übermittelt alles Nötige der Pflegefamilie, welche einen ersten Bericht in einem<br />
Monat in Aussicht stellt. Erneut bietet sich die Oberin des Kinderheims als Kundin<br />
an mit den Worten: «Ich empfehle mich <strong>für</strong> weitere Aufnahmen von Kindern. Were<br />
Ihnen sehr dankbar da<strong>für</strong>.»<br />
Unterdessen erkundigt sich Siegfried bei der Churer Repräsentantin des Seraphischen<br />
Liebeswerks über die Pflegefamilie. Der Bericht fällt ausgesprochen negativ<br />
aus, und von der Plazierung eines Pflegekindes wird dringend abgeraten. Im übrigen<br />
handle es sich um Leute, die «wenn nicht in dieser, so doch in der letzten Generation<br />
noch Korber gewesen» seien. Siegfried gibt in seinem Antwortschreiben zu bedenken,<br />
zuerst die Probezeit abwarten zu wollen, schliesst dann aber mit folgenden<br />
Worten: «Haben Sie im ganzen Kanton Beziehungen, die Ihnen Auskünfte vermitteln?<br />
In diesem Fall würde ich mich Ihrer gerne dann und wann einmal bedienen;<br />
denn wo Gemeindesekretariat, Pro Juventute und Pfarramt Personalunion darstellen,<br />
ist es manchmal nicht leicht, zu eindeutigen Informationen zu kommen.»