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Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte

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Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse 153<br />

dent der Stiftungskommission liessen es sich nicht nehmen, dazu eine Einleitung beizusteuern.<br />

Siegfried bedankte sich brieflich <strong>für</strong> «die allzu ehrenvolle Einleitung» 316 ,<br />

in der sich die Führung der Pro Juventute in der Tat voll und ganz hinter den «hochgeschätzten»<br />

ehemaligen Mitarbeiter und dessen Lebenswerk stellte und ihm <strong>für</strong> «all<br />

seine immense und ausgezeichnete Jugendhilfearbeit» dankte. 317 Eine Besprechung<br />

im Heft «Pro Juventute, Juni/Juli 1964», verfasst von einem «Dr. E. Brn.», zeigt dieselbe<br />

Wertschätzung: Siegfried habe sich im Rahmen seiner Pro-Juventute-Tätigkeit<br />

und weit darüber hinaus mit Hingabe <strong>für</strong> die der Verwahrlosung preisgegebene<br />

Jugend eingesetzt. Pro Juventute habe es von jeher als ein Gebot der Menschlichkeit<br />

betrachtet, «solche Kinder so früh als möglich in eine gesunde Umgebung zu<br />

verbringen». 318<br />

Ein Grossteil der im Bundesarchiv vorhandenen Geschäftsakten stammt aus der Zeit<br />

von Clara Reust, die 1960, nach einem kurzen Zwischenspiel mit Dr. Peter Doebeli,<br />

die Leitung des «Hilfswerks» übernahm. Ab diesem Moment wird der organisatorische<br />

Überbau der Pro Juventute etwas deutlicher, allerdings ebenfalls kaum je in der<br />

Form von klarer Kontrolle der Tätigkeit oder gar Kritik, sondern vor allem in der<br />

Form von allgemeinen, <strong>für</strong> alle Abteilungen geltenden Richtlinien, etwa dem Einfordern<br />

von monatlichen Tätigkeitsberichten und ähnlichem. Erst mit der als Folge der<br />

«Beobachter»-Artikel in den Jahren 1972 und 1973 auftretenden äusseren Kritik<br />

wird in den Akten auch eine stärkere Aktivität der allgemeinen Pro-Juventute-Strukturen<br />

sichtbar. Der Zentralsekretär und die Rechtsabteilung schalteten sich jetzt<br />

intensiv ein, diskutierten das weitere Vorgehen, erarbeiteten Stellungnahmen und<br />

Massnahmenpakete und begleiteten das «Hilfswerk» bis zu seiner Auflösung. 1973<br />

wurden 16 noch bestehende Vormundschaften aufgehoben und 9 weitere an die<br />

zuständigen Behörden übergeben. Dabei kam es auch zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten<br />

innerhalb der Stiftung. Clara Reust fühlte sich verraten durch die<br />

Nachgiebigkeit der Pro Juventute und nahm schliesslich den Hut. Auf der anderen<br />

Seite ärgerten sich Führung und Rechtsdienst über gewisse Abläufe innerhalb des<br />

«Hilfswerkes», über verpasste Fristen, unterlassene Arbeiten und fehlende Dokumentationen<br />

von Reust. 319<br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Pro Juventute die Aufsicht über das<br />

«Hilfswerk <strong>für</strong> die Kinder der Landstrasse» hatte, welches Teil des Zentralsekretariats<br />

war und von Pro-Juventute-Mitarbeitern und -Mitarbeiterinnen geführt wurde.<br />

Die Leitungsorgane der Pro Juventute standen bis zum Schluss hinter der Aktion und<br />

hatten offensichtlich auch grosse Mühe, die einsetzende Kritik zu akzeptieren. In<br />

einer Stellungnahme der Stiftungskommission vom Oktober 1972, worin auf die<br />

Vorwürfe des «Beobachters» reagiert wurde, tauchen die gleichen pauschalisierenden<br />

Feststellungen über die Fahrenden auf, wie sie das «Hilfswerk» jahrzehntelang<br />

propagiert hatte: «Bei den meisten Kindern der ‹Fahrenden› handelt es sich um erbund<br />

milieubedingt, charakterlich besonders schwierige Menschenkinder, bei deren<br />

Erziehung und Betreuung die betreffenden Mitarbeiter (Heim- und Pflegeeltern, so-<br />

316 Brief von Siegfried an Ledermann, 20. Febr. 1963, BAR, J II.187, 1239.<br />

317 Siegfried, Kinder, 1963, 3f.<br />

318 BAR, J II.187, 1239.<br />

319 «… lässt sie [Reust] es an Informationen fehlen. Man weiss nicht, was sie tut.» Aktennotiz über<br />

die Besprechung vom 27. Aug. 1973 betreffend das «Hilfswerk der Kinder der Landstrasse»,<br />

dazu Beiblatt mit dem Titel «Auffallend an dieser Besprechung», offenbar von R. Strübin, BAR,<br />

J II.187, 1218.

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