Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte
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Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse 141<br />
lende Arbeitgeber. Einige brauchten einfach einen (möglichst billigen) Arbeiter und<br />
mochten sich nicht auch noch um den Menschen B. K. kümmern, andere wie etwa<br />
ein Rheintaler Inhaber einer chemischen Fabrik waren dagegen äusserst verständnisvoll<br />
und geduldig und setzten sich <strong>für</strong> B. K. selbst bei Behörden und Pro Juventute<br />
ein.<br />
Als Arbeiter wurde B. K. von fast allen Arbeitgebern ein gutes Zeugnis ausgestellt.<br />
Getrübt wurden die Arbeitsverhältnisse regelmässig aber dadurch, dass B. K. öfters<br />
nicht zur Arbeit erschien, sei es, dass er einen Rausch ausschlafen musste, sei es,<br />
dass er krank feierte oder einfach nicht arbeiten mochte. Dieses «Blauen-Machen»<br />
hatte mehr als einmal die Kündigung zur Folge, und von da führte schliesslich wieder<br />
ein direkter Weg in die Arbeitserziehungsanstalt.<br />
*<br />
Mit der Einweisung in ein Kinderheim begann <strong>für</strong> B. K. das, was – nach<br />
kursorischer Durchsicht der Akten anderer vom «Hilfswerk» betreuten Kinder – als<br />
typische Heimkarriere bezeichnet werden kann. 284 Es gehörte mit zu einer solchen<br />
Karriere, dass Heime und Anstalten aller Kategorien duchlaufen wurden; einzig das<br />
Zuchthaus blieb B. K. erspart. Die erste Stufe nach dem Kinderheim war nicht nur<br />
im Falle B. K.s ein sogenanntes Heim <strong>für</strong> bildungsfähige Schwachbegabte in Neu St.<br />
Johann. Da sich der jugendliche B. K. zunehmend renitent verhielt gegenüber den<br />
Anordnungen seines Vormunds, schlug dieser umgehend den Weg der<br />
Psychiatrisierung seines Mündels ein, das nach einem kurzen Ausreissversuch direkt<br />
in die Heil- und Pflegeanstalt «St. Pirminsberg» in Pfäfers zur Beobachtung<br />
eingeliefert wurde, einer Beobachtung, die laut Siegfried nicht mehr erbrachte, als er<br />
selbst schon vorher zu glauben wusste. Immerhin hatte er fortan ein von<br />
ausgewiesenen Fachleuten unterschriebenes Attest einer leichten Debilität seines<br />
Zöglings zur Hand.<br />
Nach weniger als fünf Jahren ausserhalb von Mauern und Zäunen wurde B. K. in die<br />
Arbeitskolonie Herdern TG eingewiesen und von dort nach einem durch höchst<br />
unsensibles Verhalten des Direktors verursachten Eklat direkt nach Bellechasse<br />
verbracht, wo er zunächst <strong>für</strong> ein Jahr zu bleiben hatte. Nach Bellechasse wurde er<br />
noch zwei weitere Male <strong>für</strong> jeweils rund zwei Jahre eingewiesen. Hierhin wäre er<br />
anstelle des «Kreckelhofes» bei Herisau auch lieber wieder verbracht worden, als er<br />
nach seiner Pro-Juventute-Zeit erneut <strong>für</strong> zwei Jahre interniert wurde.<br />
Wie in den Namen teilweise ausgedrückt, musste in all diesen Anstalten gearbeitet<br />
werden. 285 Beschäftigt war B. K. – und das dürfte auch bei anderen «Kindern der<br />
Landstrasse» der Fall gewesen sein – vor allem in der Landwirtschaft, im Pflegeheim<br />
auch in der Schreinerei, und während seines Aufenthalts im appenzellischen<br />
«Kreckelhof» arbeitete er extern in der Papier- und Folienveredlungsfabrik Walke<br />
AG. Einmal beklagt er sich gegenüber Clara Reust über das schlechte Essen und die<br />
im Winter ungenügende Beheizung der Räume in Bellechasse. Sonst ist über den<br />
konkreten Alltag und allfällige Missstände in diesen Anstalten aus den Akten prak-<br />
284 Zu den einzelnen Stationen vgl. oben, Kap. 4.2. Stationen im Leben B. K.s. Solche Heimkarrieren<br />
durchliefen selbstverständlich auch nicht-jenische Personen; vgl. dazu etwa die in «Die Wochenzeitung»<br />
veröffentlichte Artikelserie «Lebenslänglich versorgt: Geschichten aus dem Leben von<br />
Bruno Koller» (WoZ Nr. 35, 29. Aug. 1997, Nr. 36, 5. Sept. 1997, Nr. 38, 19. Sept. 1997).<br />
285 Auch im Heim <strong>für</strong> bildungsfähige Schwachbegabte wurde der Halbwüchsige zu Feld- und Stallarbeiten<br />
herangezogen.