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Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte

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Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse 147<br />

Hilfswerkes <strong>für</strong> die Kinder der Landstraße ist im vergangenen Jahr vollzogen worden.<br />

Die schrittweise Übergabe der Betreuungsfälle an die Vormundschaftsbehörden<br />

ist bis auf wenige bereits erfolgt. Da das Zentralsekretariat nicht mehr in der Lage<br />

ist, direkte Sozialhilfe von einer Zentralstelle aus zu leisten, dürften die ortsansäßigen<br />

Institutionen die Betreuung dieser Kinder am besten gewährleisten.» 298<br />

Das «Hilfswerk» wurde im Stiftungsrat also nicht einmal in den Jahren seiner Auflösung<br />

diskutiert; jedenfalls existiert kein einziger betreffender Protokollvermerk. Das<br />

ist schwer verständlich angesichts des offen zutage getretenen Unrechts einerseits,<br />

der in den Medien und zwischen Pro Juventute und Betroffenen geführten Debatte<br />

andererseits. Zur Sprache kam die Sache aber in der Stiftungskommission, wo man<br />

an mehreren Sitzungen die Anschuldigungen und das weitere Vorgehen erörterte.<br />

Eine Spezialkommission überprüfte sämtliche Dossiers und suchte nach Lösungen<br />

<strong>für</strong> die einzelnen Personen. 299<br />

Dass das «Hilfswerk» in all den Jahren zuvor nie auch nur der Rede wert war, mag<br />

mit seiner relativ geringen Bedeutung zusammenhängen, die es innerhalb der Stiftung<br />

im Vergleich zu anderen Pro-Juventute-Aktivitäten tatsächlich auch hatte.<br />

Diese Marginalität spiegelt sich in den Budgets, sie kann aber auch daran ermessen<br />

werden, dass in den mit mehreren Dutzend und manchmal über hundert Seiten jeweils<br />

recht umfangreichen Jahresberichten der Abschnitt zu den «Kindern der Landstrasse»<br />

kaum mehr als einige Zeilen bis eine halbe Seite ausmacht, ja oft nicht<br />

einmal mit einem eigenen Untertitel hervorgehoben ist. 300<br />

Dies alles sind Indizien da<strong>für</strong>, dass das «Hilfswerk <strong>für</strong> die Kinder der Landstrasse»<br />

innerhalb der Pro Juventute wie in den Augen der verantwortlichen Gremien von<br />

ebenso marginaler Bedeutung wie unbestritten war. Es lässt sich schwer ausmachen,<br />

welche Bedeutung Alfred Siegfried, der ja ein ausgesprochenes Geltungsbedürfnis<br />

hatte, innerhalb der Pro Juventute hatte. Die Ehrung in der Einleitung des 1963<br />

erschienenen Buches «Kinder der Landstrasse» weist darauf hin, dass sein Engagement<br />

und seine Leistung geschätzt wurden. Das Nicht-erwähnt-Werden in den obersten<br />

Gremien deutet daher auf eine problemlose Akzeptanz seiner Tätigkeit und ein<br />

vollständiges Einverständnis mit seinen Ideen hin. Nach seinem Abgang verlor das<br />

«Hilfswerk» sicher an Bedeutung, weil dessen Leiter nicht mehr zugleich Leiter der<br />

Abteilung «Schulkind und Fürsorge» war und weil Clara Reust als Person deutlich<br />

weniger durchsetzungsfähig erscheint als Siegfried.<br />

Die Pro Juventute beklagte sich immer wieder über Konkurrenz durch Fürsorgeprojekte,<br />

die «auf den ersten Blick als aktueller und interessanter erscheinen mögen». 301<br />

Schon 1916, im vierten Jahr ihrer Tätigkeit und zehn Jahre vor Beginn des «Hilfswerks<br />

<strong>für</strong> die Kinder der Landstrasse», war es zu einem öffentlich ausgetragenen<br />

Konflikt mit der «Schweizerischen Vereinigung <strong>für</strong> Kinder- und Frauenschutz»<br />

298 Jahresbericht 1973/74 zuhanden der Sitzung vom 8. April 1974 in La Chaux-de-Fonds, 294, PJA<br />

A 30 Stiftungsrats-Sitzungen, Ordner 20: 1972–1974.<br />

299 Protokolle der Sitzungen vom 7. Juni 1972, 30. Aug. 1972, 1. Dez. 1972, 5. Jan. 1973, 30. Mai<br />

1973, PJA A 29, Protokolle der Stiftungskommissions-Sitzungen 1972 und 1973.<br />

300 Auch in einem in den Stiftungsratsakten liegenden 24seitigen Referat über die Tätigkeit der Pro<br />

Juventute, das der damalige Zentralsekretär Ledermann an der Stiftungsratssitzung vom 27. Sept.<br />

1968 hielt, sucht man vergeblich eine Bemerkung zum «Hilfswerk». Im damaligen Jahresbericht<br />

waren diesem gerade noch zehn Zeilen gewidmet. PJA A 30 Stiftungsrats-Sitzungen, Ordner 18:<br />

1966–1968.<br />

301 Brief Ledermann an den Bundesrat, EDI, 27. Juni 1958, BAR, J II.187, 1201.

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