Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte

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170 Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse liche Kapitel» der Aktivitäten des «Hilfswerks» «unter der Ägide» der Pro Juventute und «im Auftrag oder nach Wunsch der Kantone» durchgeführt worden sei. 375 Diese Einschätzung ist zwar richtig, entbindet den Bund und die Bundesbehörden aber nicht von ihrer Verantwortung, und selbst wenn eine direkte rechtliche Verantwortung noch nicht abgeklärt ist, bleibt eine klare politische und moralische Mitverantwortlichkeit. 376 375 Amtliches Bulletin der Bundesversammlung, Sommersession 1986, 2. Sitzung, 3. Juni 1986, Nationalrat 96 (1986), 559. 376 Da gewisse Massnahmen des «Hilfswerkes» auch juristisch auf heiklem Boden stehen, wäre darüber hinaus sogar zu fragen, inwieweit der Bund seine Stiftungsaufsicht vernachlässigte. Diese Frage müsste von Juristen überprüft werden.
Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse 171 7. Bilanz und Massnahmen 7.1. Bilanz 7.1.1. Betroffene Die im Bundesarchiv aufbewahrten Akten des von der Pro Juventute 1926 bis 1973 geführten «Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse» enthalten zahlreiche Informationen zur Erfassung und Betreuung von rund 600 schweizerischen Kindern und Jugendlichen, die in allererster Linie als Betroffene zu gelten haben. Die erstmals aussenstehenden Wissenschaftlern in ihrer Gesamtheit zugänglichen Akten bestätigen eine schon lange geäusserte Vermutung mehr als deutlich: Vielen heranwachsenden Menschen in schwierigen Lebenssituationen ist vom «Hilfswerk» nicht fürsorglich geholfen, sondern durch schwere Demütigungen, durch aktive Diskriminierung und mit unsäglichem psychischem und physischem Zwang grosses Unrecht angetan, wenn nicht allergrösster Schaden zugefügt worden. Im übrigen bleibt häufig unbeachtet, dass zu den Betroffenen nicht nur die Kinder, sondern auch Mütter, Väter und Verwandte, in einem etwas anderen Sinne durchaus auch gutwillige Pflegeeltern und andere hilfsbereite Menschen gehören. Die pauschale Feststellung, dass das Negative allfällig vorhandene bzw. behauptete positive Wirkungen des «Hilfswerks» bei weitem übertrifft, ist auch dann erlaubt, wenn die verarbeiteten Quellen nur einen bestimmten Ausschnitt des Geschehens wiedergeben. Um das ganze Ausmass des Schreckens und des erlittenen Unrechts im juristischen und moralischen Sinne deutlich zu machen, wären tatsächlich alle «Hilfswerk»-Akten sowie weiteres schriftliches Material bei andern Institutionen und Amtsstellen für die Untersuchung auszuwerten. Vor allem müssten auch Materialien und Aussagen der Betroffenen und der Beteiligten systematisch miteinbezogen werden. Eines der wichtigen Probleme der vorliegenden Untersuchung liegt darin, dass Jenische und Fahrende («Vaganten» in der Sprache des «Hilfswerks») schweizerischer Herkunft, die von der Pro Juventute nicht erfasst wurden, auch in diesen Akten nicht auftreten. Wer als «Fahrender», «Jenischer» oder «Vagant» zu betrachten sei, wurde durch die Täter, durch die Leiter und Leiterin sowie Helfer des «Hilfswerks» und die zuweisenden Gemeindebehörden, definiert. Die von der Pro Juventute erfasste soziale Gruppe ist deshalb nicht so einfach zu umschreiben und enthält in bezug auf Herkunft, soziale Stellung oder gar ethnische Zuordnung mehrere Schnittmengen. Die damit verknüpften Fragen, insbesondere jene nach der sozialen und historischen Konstituierung bzw. Konstruktion von ethnischen Kategorien, bedürfen der weiteren Untersuchung. 7.1.2. Verantwortlichkeiten Die stereotype Berufung auf den sogenannten «Zeitgeist» darf nicht dazu herhalten, individuelle Vergehen gegen Recht und Menschenwürde zu rechtfertigen und eine erhebliche Mitschuld einzelner Individuen, Gruppen und Organisationen zu ver-
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Inhaltsverzeichnis Vorwort 5 1. Ein
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