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Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte

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70 Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse<br />

schaftliche Bedeutung dieser Arbeit». 200 Dr. med. I. B., O. Med. Rat, Landau/Pf.,<br />

dankte Siegfried <strong>für</strong> das Buch, das ihm sehr gut gefalle. «Ich denke, es wird uns als<br />

Richtschnur dienen, wenn wir (auf Grund unseres neuen Sozialhilfegesetzes) einen<br />

Fürsorgedienst <strong>für</strong> die Nichtsesshaften aufbauen. Wesentliche Differenzen zu<br />

meinen Ansichten habe ich nicht gefunden, und soweit sie bestehen, erkläre ich sie<br />

aus Unterschieden im Beobachtungsgut. Die jenischen Gruppen differieren beträchtlich,<br />

insbesondere hinsichtlich ihrer Fähigkeit, Menschen (soziologisch) zu binden,<br />

die ihrem Wesen nach nicht zu den Reisenden gehören. Wie Sie bin ich der Meinung,<br />

dass Sesshaftigkeit noch nicht mit Adaption oder gar Integration gleichgesetzt<br />

werden kann. Nur der Übergang zu planmässiger, produktiver Lebensweise, das<br />

heisst, zu stetiger Lohnarbeit, könnte als voller Erfolg einer Umerziehung gelten.» 201<br />

Die Reaktionen zeigen, dass das Vorgehen des «Hilfswerks» sowohl bei den meisten<br />

übrigen Fürsorgeinstitutionen wie auch in den Medien weitgehend gutgeheissen und<br />

unterstützt wurde. In der Regel wurden Siegfrieds Meinungen unbesehen übernommen<br />

und als Tatsachen weitergegeben. Unter den in den Akten enthaltenenen<br />

Briefen und Rezensionen befinden sich überhaupt keine kritischen oder negativen.<br />

Ob anderswo solche erschienen sind, wäre abzuklären. Einerseits ist diese Haltung<br />

sicher auf das Talent Siegfrieds, sein Anliegen zu verkaufen, zurückzuführen.<br />

Andererseits wird sehr deutlich, dass das «Hilfswerk <strong>für</strong> die Kinder der Landstrasse»<br />

nicht isoliert handelte, sondern sich von einem relativ breiten Konsens getragen<br />

wusste. Dieser Konsens basierte allerdings nicht auf einer genauen Kenntnis des<br />

Vorgehens des «Hilfswerks», sondern weitgehend auf dessen <strong>für</strong> die Öffentlichkeit<br />

bestimmten Ausführungen. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass<br />

grosse Teile der Öffentlichkeit Massnahmen zur Sesshaftmachung der Fahrenden<br />

durchaus begrüssten. Allerdings wäre zu fragen, wieweit diese Akzeptanz nicht erst<br />

geschaffen wurde durch die «Hilfswerks»-Geschichten von all den unglücklichen<br />

Kindern.<br />

In den Akten des «Hilfswerks» finden sich generell nur ganz vereinzelt Spuren von<br />

Skepsis, Kritik oder gar Infragestellung der Aktion oder ihrer Methoden von seiten<br />

der übrigen beteiligten Gruppen und Behörden, der Öffentlichkeit oder der Medien.<br />

Dennoch tauchen Behörden auf, die nicht mit der Pro Juventute zusammen arbeiten<br />

wollten. 202<br />

Der «Schweizerische Beobachter» intervenierte bereits 1956 einmal nach einer Anfrage<br />

der gleichen Person, die später eine wesentliche Rolle bei der Beendigung der<br />

Aktion spielte, begnügte sich damals aber mit der Antwort der Pro Juventute, ohne<br />

eigene Recherchen anzustellen. Es ist aber auffallend, dass einzelne Personen schon<br />

damals die problematische Seite des «Hilfswerks» deutlich erkannten. Rechtsanwalt<br />

Dr. Curt Fatzer aus Romanshorn, der 1960 die Interessen von Frau U. K. aus N. BL<br />

vertrat, nahm in einem Gespräch mit Clara Reust einen klaren Standpunkt ein: «Für<br />

unsere [gemeint sind die Sesshaften] Begriffe ist es nicht die Art des Wohnens [wie<br />

200 Besprechungsbeleg, BAR, J II.187, 1226.<br />

201 Brief 26. März 1963, BAR, J II.187, 1226.<br />

202 Vgl. etwa die Korrespondenz sowie Entscheide betreffend einen erfolgreichen Rekurs von RA<br />

Canova, div. Daten 1945/46, BAR, J II.187, 963; ein Hinweis darauf, man wolle im Kanton SZ<br />

«gar nichts wissen von Hrn. Dr. S.» («Man habe ihr dort gesagt, den PJ Dr. S., ja diesen Vogel<br />

kenne man schon, mit diesem wolle man nichts zu tun haben.»), vgl. Rapport über die Sitzung<br />

vom 8. April 1960 im Hotel-Restaurant «Elite», Zürich, in Sachen Y.-K. von N. BL, BAR,<br />

J II.187, 282.1.

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