Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte
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Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse 113<br />
Ende September verdankt B. K. den Erhalt eines Pakets («2 P. Dörrfrüchte»), beteuert,<br />
sich zu bessern, und bittet um einen Besuch durch Clara Reust und<br />
Entlassung aus der Anstalt auf Ende Jahr. Gerne würde er in einer Farbenfabrik<br />
arbeiten.<br />
Am 30. Oktober wird B. K. in Bellechasse von Reust besucht. Bei dieser<br />
Gelegenheit erfährt sie, dass B. K. selber den Wunsch geäussert habe, nach<br />
Bellechasse versetzt zu werden, «als es in Herdern Krach gegeben und man ihm die<br />
Versorgung in Kalchrain angedroht habe». Danach wird nochmals die<br />
Beerdigungsangelegenheit aufgerollt, schliesslich dann aber die Zukunft B. K.s<br />
besprochen. Er wird von Clara Reust aufgefordert, schriftlich einige Fabriken<br />
nennen, vorerst aber genau aufschreiben, was und wo er in Deutschland gearbeitet<br />
und verdient habe. Von Frauen – so B. K. – habe er «gründlich genug».<br />
Am 4. November bedankt sich B. K. <strong>für</strong> den Besuch und liefert die gewünschten<br />
Angaben, darunter einige Adressen von Farbenfabriken in Zürich, Luzern und in der<br />
Ostschweiz. Er hoffe, so schliesst er, es möge mit seiner Entlassung möglichst bald<br />
klappen.<br />
Die Festtagswünsche übermittelt B. K. diesmal schon am 9. Dezember, und kurz vor<br />
Weihnachten bittet B. K. unter Beilage eines Kostenvoranschlags über Fr. 70–100.–<br />
darum, seine Zähne flicken lassen zu dürfen. Mit der betreffenden Bewilligung<br />
kündigt Reust an, dass die Entlassung erst im neuen Jahr erfolgen könne.<br />
Sie gratuliert B. K. am 9. Januar 1963 zum 24. Geburtstag, versichert, sich um eine<br />
Stelle <strong>für</strong> ihn zu bemühen, und legt «1 P. Schoggi (Bonbons surfins chocolat Lindt)»<br />
bei, wo<strong>für</strong> sich B. K. bedankt.<br />
Gemäss Rechenschaftsbericht, den sie am 5. Februar zuhanden der Heimatgemeinde<br />
verfasst, soll B. K. spätestens im Frühjahr entlassen werden, doch ist auch noch am<br />
29. März «trotz Hochkonjunktur» keine geeignete Stelle gefunden. Darüber zeigt<br />
sich B. K. am 4. April enttäuscht und möchte da<strong>für</strong> einen Tag Osterurlaub. Davon<br />
wiederum hält Reust nichts so kurz vor der Entlassung, möchte den Entscheid aber<br />
dem Anstaltsdirektor überlassen.<br />
Mitte April schlägt B. K. vor, es vorübergehend halt bei einem Maler in O. SG zu<br />
versuchen, dessen Adresse er gleich angibt. In der Folge werden auf dem Zentralsekretariat<br />
Listen mit insgesamt 23 Farben- und Lackfabriken samt Telefonnummern<br />
erstellt und einige auch angefragt.<br />
Nach einigen Absagebriefen zeigt sich die auf Skiwachs und andere Produkte spezialisierte<br />
Firma St. in B. interessiert; B. K. müsse sich aber persönlich vorstellen kommen<br />
und handschriftlich bewerben, da alle Bewerbungen vom Institut <strong>für</strong> Angewandte<br />
Psychologie (IAP) in Zürich begutachtet würden.<br />
Clara Reust weist B. K. umgehend an, eine Bewerbung abzufassen und zu diesem<br />
Zweck beim Direktor neutrales Papier anzufordern. Da B. K. <strong>für</strong> eine Vorstellung<br />
über keine entsprechende Kleider verfügt – bei einer Überschwemmung gingen fast<br />
all seine Kleider verloren –, muss der Vorstellungstermin trotz Drängen der Firma<br />
hinausgeschoben werden. Bis B. K. schliesslich vorsprechen kann, entfaltet sich in<br />
den folgenden Tagen besonders um die Regelung der Kleiderfrage sowie des Transport-<br />
und Übernachtungsproblems – das Firmendomizil B. SG liegt zu weit von<br />
Bellechasse weg, um am gleichen Tag mit der Bahn hin- und zurückfahren zu kön-