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Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte

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116 Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse<br />

Am 6. November macht Clara Reust einen Besuch in B. SG und protokolliert die geführten<br />

Gespräche und Eindrücke ausführlich. Über die angebliche Kündigung wird<br />

kein einziges Wort verloren. Firmeninhaber St. ist mit der Arbeit B. K.s zufrieden,<br />

nicht aber mit dessen Umgangsformen gegenüber den Vorgesetzten. Überdies wisse<br />

B. K. «mit seinem Geld in keiner Weise recht umzugehen», verlange dauernd einen<br />

Vorschuss und ziehe in den Wirtschaften herum, wo er sich betrinke. Darauf wird<br />

ein schärferes Lohnregime beschlossen. Davon nun aber will B. K. nichts wissen,<br />

denn «wenn man ihm überhaupt kein Geld mehr gebe, (oder nur ein paar lumpige<br />

‹Stütz›) sei ihm ohnehin alles verleidet, auch das Arbeiten, dann höre er lieber<br />

gerade sofort auf damit». Als ihm Clara Reust mit der erneuten Verwahrung in<br />

Bellechasse droht, räumt B. K. ein, das würde ihm «schaurig stinken», und beginnt<br />

auf die Behörden zu schimpfen.<br />

Beim Treffen mit der Zimmerwirtin, der – so Clara Reust – «die Geistesschwäche,<br />

trotz nettem Aussehen, im Gesicht geschrieben» stehe und wo «überall ein unangenehmer<br />

(Geschmack) Gestank» herrsche, kann eine Einigung bezüglich der Geldforderungen<br />

erzielt werden. Die von Frau Y. ursprünglich geforderten Fr. 400.– lösen<br />

sich in Luft auf, so dass B. K. nichts schuldig bleibt; doch soll er die Raten <strong>für</strong> Kost<br />

und Logis regelmässig bezahlen. B. K., der nach Clara Reust einen «abscheulichen<br />

Bart» trägt und «auch sonst sehr ungepflegt» ist wie ein «Strizzi», verspricht abschliessend,<br />

den Bart schneiden zu lassen.<br />

Als Clara Reust anderntags bei der Verwaltung der Heimatgemeinde vorspricht, um<br />

einen vorläufigen Steuererlass <strong>für</strong> B. K. zu erwirken, werden ihr vom Gemeindekassier<br />

allerlei Geschichten über die «verschiedenen K.» erzählt.<br />

Am 9. November bittet St. um Aufklärung, da Frau Y. erneut behaupte, B. K. sei ihr<br />

Fr. 400.– schuldig.<br />

Tags darauf meldet die Kantonspolizei St. Gallen in B. SG folgenden Vorfall: Als<br />

sie einen völlig betrunkenen Mann auf die Wache hätten abführen wollen, sei der<br />

daneben stehende B. K. derart unflätig geworden («Schafsäckel usw.»), dass sie ihn<br />

auch gleich mitgenommen hätten. B. K. werde nun wegen Trunkenheit, Behinderung<br />

der Polizeidienste und Beschimpfung der Polizeiorgane angezeigt.<br />

Zwei Tage später beschwert sich Frau Y. telefonisch über B. K., der ihr keinen Rappen<br />

Kostgeld bezahle. Im Brief an Clara Reust vom gleichen Datum beziffert sie die<br />

Schulden B. K.s auf total Fr. 600.–.<br />

In dieser Angelegenheit ruft am 22. November Treuhänder S. aus B. SG an und<br />

kündigt an, Frau Y. wolle B. K. betreiben. Clara Reust versucht ihn davon abzubringen<br />

mit dem Argument, bei B. K. sei ohnehin nichts zu holen, und verspricht die<br />

Überweisung eines Teilbetrags. Davon setzt sie am 25. November Frau Y. per Eilboten<br />

in Kenntnis, nachdem sie sich über die Lohnauszahlungsusanzen informiert hat.<br />

Per Einschreiben bittet sie den eingeschalteten Treuhänder, auf eine Betreibung zu<br />

verzichten.<br />

Die Krankenkasse «Helvetia» wendet sich am 30. November an die Pro Juventute:<br />

B. K. bezahle seine Beiträge nicht, da ihm das Geld abgenommen werde. Darauf gibt<br />

Clara Reust dem Lohnbüro der Firma St. genaue Anweisungen betreffend den Lohnrückhalt.<br />

B. K. sollen ab sofort monatlich nur noch Fr. 30.– als Taschengeld ausbezahlt<br />

werden. Das finde sie selbst zwar auch sehr wenig, doch müsse sie da<strong>für</strong> sorgen,<br />

dass die Schulden getilgt würden.

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