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Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte

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104 Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse<br />

Dieser Argumentation beugt sich B. K. («Wegen der Vormundschaft mache ich in<br />

Ordnung.»), und Siegfried beantragt bei der Heimatgemeinde – gestützt auf das<br />

erwähnte Gutachten, welches B. K. Schwachsinn mittleren Grades attestiere – die<br />

Fortführung der Vormundschaft. Das von B. K. selbst unterschriebene Gesuch<br />

schickt Siegfried am 22. Dezember 1958 nach.<br />

Der <strong>für</strong> Weihnachten geplante Besuch der Schwester L., die in C. SO wohnt, kommt<br />

nicht zustande.<br />

Am 22. Dezember antwortet die von Siegfried angefragte Polizeistelle, die Pflegeeltern<br />

hätten wegen B. K. mehrmals die Polizei im Hause gehabt, Straftaten seien<br />

aber keine bekannt. Für diese Auskunft bedankt sich Siegfried am 12. Januar 1959.<br />

Kurz vor Weihnachten 1958 trifft das angeforderte Attest des Zahnarztes ein, in dem<br />

er erklärt, B. K.s Zahnmaterial sei in Ordnung, die Zähne sollten also geflickt<br />

werden. Darauf wird dem Zahnarzt am 30. Dezember grünes Licht gegeben.<br />

Die Heimatgemeinde bittet Alfred Siegfried, weiterhin als Vormund von B. K. zu<br />

amten, da es schwierig sei, in der Gemeinde «jemanden zu finden, der einem solchen<br />

Burschen, der zudem noch weit weg wohnt, Stütze sein könnte», und schon am 27.<br />

Januar 1959 wird Siegfried von der Heimatgemeinde die Ernennungsurkunde als<br />

Vormund B. K.s zugestellt. Genau zwei Tage nach B. K.s Geburtstag kündigt die<br />

Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen die Sistierung der Waisenrente <strong>für</strong> B. K. an,<br />

da diese nur bis zum zwanzigsten Altersjahr ausgerichtet werde.<br />

Gemäss einem rapportierten Gespräch mit Frau G., der neuen Meistersfrau, ist man<br />

mit B. K. «gar nicht übel zufrieden». Es habe bisher keinen Konflikt gegeben, und<br />

verschwunden sei auch «die sonderbare Aufmachung (Röhrlihosen und dazu passender<br />

Schnurrbart), seit ihn die Polizei wegen eines Vergehens einvernommen [habe],<br />

mit dem er gar nichts zu tun hatte». B. K. habe «aber bei dieser Gelegenheit gemerkt,<br />

dass man sich nicht auffällig machen darf».<br />

Anfangs März werden die Formalitäten betreffend Fortsetzung der Lehre zwischen<br />

dem Arbeitsamt, dem neuen Lehrmeister sowie Siegfried erledigt. In der Woche hat<br />

B. K. 52 Stunden zu arbeiten, und ab dem zweiten Lehrjahr kommt er in den Genuss<br />

von zwölf Tagen Ferien.<br />

Dazu kommt es nicht: Am 17. März 1959 nämlich schreibt Siegfried an das Bezirksamt<br />

Kreuzlingen, dass B. K., der sich nach zweitägigem Fernbleiben von zu Hause<br />

auf dem Kreuzlinger Polizeiposten gemeldet habe, in die Arbeiterkolonie Herdern<br />

verbracht werden solle.<br />

Das Lehrverhältnis wird nur zwei Tage danach aufgelöst. Gegenüber dem Arbeitsamt<br />

liefert Siegfried folgende Begründung: «B. hat sich zuerst in N. und nun leider<br />

auch in M. so eigenartig benommen, dass ich ernstlich an seinem Geisteszustand<br />

zweifle. Debil war er ja schon immer, aber dabei gar nicht so lebensuntüchtig. Seit<br />

einigen Monaten hat er nun angefangen ganz unmotiviert auszubleiben, Nächte hindurch<br />

nicht heimzukommen und offenbar auch schlechte Gesellschaft aufzusuchen.<br />

Dass dies Herr G. so wenig dulden konnte wie seinerzeit Herr W. in N., begreife ich<br />

durchaus und darum sehe ich keine andere Lösung als Abbruch der Lehre. Da B. K.<br />

schon einmal psychiatrisch beobachtet wurde, ohne dass viel positives herauskam,<br />

habe ich ihn nun nach Herdern einweisen lassen und denke, dass er in einigen

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