Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte
Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte
Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse 93<br />
schon zwei Tage danach bitten die Pflegeeltern Alfred Siegfried brieflich, selber eine<br />
Stelle <strong>für</strong> B. K. zu suchen, da die jetzige einfach nicht geeignet sei.<br />
In dieser Situation erwägt Siegfried, B. K. vorübergehend wieder ins «Johanneum»<br />
in Neu St. Johann einzuweisen, doch finden die Pflegeeltern schon vorher eine Stelle<br />
bei einem Bauern in W. SG. Dort trifft B. K. auch tatsächlich ein, läuft aber bereits<br />
am 15. Juni wieder davon, wie der betreffende Bauer dem Zentralsekretariat der Pro<br />
Juventute in Zürich telefonisch mitteilt. Das Wochenende verbringt B. K. bei seinen<br />
Pflegeeltern, die ihn erfolglos zum Bauern nach W. zurückschicken wollen. Erneut<br />
bitten sie Siegfried, persönlich einzugreifen. Dieser wendet sich darauf umgehend an<br />
eine Vertreterin der Pro Infirmis in Chur mit der Bitte, B. K. am Ort der Pflegeeltern<br />
abzuholen und ins «Johanneum» zu bringen. Der «Johanneums»-Leitung schreibt er:<br />
«Ich habe dieses Katz- und Mausspiel nun wirklich satt. Fräulein E., Pro Infirmis<br />
Chur, wird Ihnen den Lausbub am nächsten Samstag bringen, und ich bitte Sie, ihn<br />
dann recht ordentlich zu beschäftigen, entweder in der Landwirtschaft oder in der<br />
Gärtnerei.» Die prompte Ausführung des Auftrags wird am 23. Juni verdankt. Auf<br />
den Bescheid der Leiterin «Nachgehende Fürsorge» im «Johanneum» am 1. Juli<br />
1953, B. K. sei faul und warte nur auf eine neue Stelle, antwortet Siegfried: «Diesmal<br />
geht es um Biegen oder Brechen. Er muss sehen, dass er gehorchen muss.»<br />
In rascher Folge eskalieren nun die Ereignisse, und die zahlreichen Akten widersprechen<br />
sich teilweise: Siegfried holt bei einer Uznacher Lehrerin Erkundigungen über<br />
die Bauernfamilie ein, von der B. K. letztmals davongelaufen ist und bei der er ihn<br />
wieder unterbringen will. Schliesslich wird er aber in einer Gärtnerei in T. GR plaziert,<br />
die eine Gewährsperson im «Johanneum» genannt hat. Nach wenigen Tagen<br />
reisst B. K. aber wieder aus. Jetzt schaltet Siegfried das Landjägerkommando Chur<br />
ein und bittet um Rückführung des Knaben, der sich wahrscheinlich bei seinen<br />
Pflegemutter aufhalte, ins «Johanneum». Dieser teilt er mit, B. K. könne nicht bei ihr<br />
bleiben, er müsse ins Heim zurück. Noch gleichentags wird Siegfried von der<br />
Pflegemutter hinterbracht, B. K. sei von zu Hause weggelaufen und halte sich jetzt<br />
wahrscheinlich bei ihrer Schwester in C. SG auf. Dies teilt Siegfried umgehend dem<br />
Landjägerkommando in Chur mit. Von dort geht am folgenden Tag – im Widerspruch<br />
zu den vorhergehenden Akten – die Meldung ein, B. K. sei bereits am 24. Juli<br />
in «die Anstalt Johanneum/SG rückversetzt» worden. Gleichentags telefoniert die<br />
Pflegemutter «in Aufregung», B. K. sei von C. SG abgehauen, kurz bevor die Polizei<br />
da gewesen sei. Vermutlich halte er sich jetzt bei einer Nichte in Z. SG oder bei<br />
jemandem in U. GR auf. Das wiederum berichtet Siegfried sofort der Bündner Polizei<br />
und bittet diese, sein Mündel nach dem Aufgreifen direkt in die Heil- und Pflegeanstalt<br />
«St. Pirminsberg» in Pfäfers zu überführen, «wo er auf seinen geistigen Zustand<br />
beobachtet werden soll».<br />
Am 1. August 1953 befindet sich B. K. wieder bei seinen Pflegeeltern, welche die<br />
Pro Juventute davon umgehend in Kenntnis setzen. Noch am gleichen Tag schnappt<br />
die Falle zu, und B. K. wird in die Heil- und Pflegeanstalt «St. Pirminsberg» in<br />
Pfäfers verbracht.<br />
In dieser geschlossenen Anstalt («Herr Direktor X. ist noch ein ehemaliger Schüler<br />
von mir und hat mir schon mehrmals sehr grosse Dienste erwiesen») soll B. K., wie<br />
Siegfried am 5. August in einem Brief an die Pflegeeltern schreibt, erst einmal <strong>für</strong><br />
drei Monate verbleiben. Auch sollten sie B. K. vorläufig nicht schreiben, denn: «Er<br />
soll jetzt ein wenig zappeln.» Gegenüber der Heimatgemeinde erklärt sich Siegfried