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Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte

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112 Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse<br />

– also nicht in die Fremdenlegion, die mit keinem Wort erwähnt wird –, abgesetzt<br />

habe. Dort habe er drei Monat bei einem Malermeister gearbeitet, dann vom 17.<br />

Oktober 1961 bis zum 19. Januar 1962 als Arbeiter in der Fadenfabrik Buxtehude.<br />

Der Verbleib der Kleider B. K.s ist unklar. Nach seinen Aussagen befinde sich ein<br />

Teil bei seiner Mutter in C. SG, wo sich übrigens auch ein Bruder aufhalte, ein<br />

anderer Teil in einem grossen Koffer, den er seinen Pflegeeltern geschickt habe. Am<br />

Telefon spreche er – so Clara Reust in ihrer Notiz – «ein etwas auffälliges ‹Hochdeutsch›».<br />

Die Pflegefamilie wird gebeten, die Kleider B. K.s direkt nach Herdern zu<br />

schicken, was diese in der Hoffnung, es gehe B. K. gut, umgehend tun.<br />

Am 18. Februar 1962 schreibt B. K. einen Brief an Reust, in dem er sein Handeln<br />

rechtfertigt. Zwar räumt er ein, auch Fehler gemacht zu haben, so dass er «die Strafe<br />

verdient» habe, doch sei er nicht allein schuld daran, dass er «auf den falschen Pfad<br />

geraten» sei. In Deutschland, wo er gearbeitet und Familienanschluss gehabt habe,<br />

sei es ihm «besser gegangen weder in der Schweiz». Den Dank an Clara Reust<br />

verbindet er mit dem Wunsch nach einem dunklen Anzug Grösse 46 oder 48 sowie<br />

Unterwäsche.<br />

Am 24. April wird telefonisch berichtet, B. K. sei von seinem ersten Ausgang<br />

betrunken nach Hause gekommen und gegenüber dem Verwalter D. tätlich geworden.<br />

Dieser wolle B. K., der sich momentan auf dem Polizeiposten in Frauenfeld<br />

befinde, auf keinen Fall mehr behalten.<br />

Noch gleichentags beschliesst Reust, B. K. nach Bellechasse bringen zu lassen, was<br />

bereits am nächsten Tag ausgeführt wird. Die Frauenfelder Polizei stellt da<strong>für</strong> eine<br />

Rechnung von Fr. 20.05.<br />

Aus Schriftstücken von anfangs Mai geht hervor, weshalb B. K. gegen den Direktor<br />

tätlich wurde. Letzterer hatte nämlich B. K. nicht an der Beerdigung seiner leiblichen<br />

Mutter teilnehmen lassen, da er B. K. nach einigen vorhergegangenen Eskapaden<br />

keinen Glauben schenkte. So wird der Sachverhalt B. K. von den Behörden seiner<br />

Heimatgemeinde, bei denen sich B. K. schon am 8. April beschwert hat, am 4. Mai<br />

geschildert.<br />

Clara Reust wundert sich darauf, woher B. K. vom Tod seiner Mutter erfahren habe,<br />

denn: «Wir wussten auf alle Fälle nichts davon.»<br />

Am 8. Juli beklagt sich B. K. bei Clara Reust über die «Gemeinheit», die ihm angetan<br />

worden sei, aber auch darüber, dass er auch von ihr immer noch keine Antwort<br />

auf seinen Brief (der sich nicht in den Akten befindet) erhalten habe. «Aber das ist<br />

halt», meinte er, «heute so. Wenn der Mensch hinein gesperrt wird, so denkt mann,<br />

der solle nur warten.» Abschliessend erkundigt er sich, wie lange er voraussichtlich<br />

in Bellechasse bleiben müsse.<br />

Die Reaktion Reusts erfolgt erst nach anderthalb Monaten. Zwar habe er natürlich<br />

das Recht, sich zu wehren, wenn er glaube, ungerecht behandelt worden zu sein,<br />

doch rechtfertigt Clara Reust schliesslich das Verhalten des Herdern-Direktors<br />

ebenso wie jenes der Heimatgemeinde und rügt den Ton in B. K.s Brief («… das<br />

darfst Du nicht sagen, ohne Dir selber erneut zu schaden.»).<br />

Für die aufgelaufenen Kosten von Fr. 113.85 stellt Reust der Heimatgemeinde am<br />

28. August Rechnung und begründet gleichzeitig die Einweisung in Bellechasse auf<br />

vorläufig unbestimmte Dauer.

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