27.11.2012 Aufrufe

Gerontopsychiatrisch veränderte Menschen im Krankenhaus ...

Gerontopsychiatrisch veränderte Menschen im Krankenhaus ...

Gerontopsychiatrisch veränderte Menschen im Krankenhaus ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Das vierte Bett wurde etwas später belegt. Es kam eine ganz schweigsame<br />

alte Frau. Sie war angekleidet, man stellte einen Sessel für sie zurecht, und<br />

so verbrachte sie die ersten Tage <strong>im</strong> Sessel und nur die Nacht <strong>im</strong> Bett. Sie<br />

beobachtete meine Anwesenheit bei der Mutter mit unverhohlener Neugier,<br />

und schließlich kam sie an das Bett und fragte mich aus. Voller Mitleid betrachtete<br />

sie meine schwerkranke Mutter, und dann begann sie, von sich<br />

selbst zu erzählen. In zwei bis drei Tagen kannte ich ihre ganze Lebensgeschichte<br />

von der Kindheit an, über die Flucht bis zu dem Leben in Berlin.<br />

Sie war über 90 Jahre alt und hatte bisher in einer eigenen Wohnung gelebt.<br />

Jetzt hatte eine Nichte beschlossen, sie in einem He<strong>im</strong> unterzubringen. Hilflos<br />

hatte sie sich gefügt, und weil ihre Wohnung bereits aufgelöst wurde,<br />

hatte man sie <strong>im</strong> <strong>Krankenhaus</strong> quasi „zwischengelagert“. Sie war in das<br />

Z<strong>im</strong>mer mit den dementen Patientinnen gelegt worden, da sie wegen<br />

Schwerhörigkeit und Sehschwierigkeiten und wegen ihres hohen Alters als<br />

gerontopsychiatrisch krank eingestuft worden war. Sie hatte keine akute<br />

körperliche Erkrankung. Sie konnte sich bewegen, sich aus- und anziehen,<br />

sich waschen, essen und zur Toilette gehen - es fehlte ihr nur an persönlicher<br />

Zuwendung, Verständnis und Hilfe <strong>im</strong> alltäglichen Leben.<br />

Jede Untersuchung durch einen Gerontopsychiater hätte ihr die Chance<br />

gegeben, aus diesem Z<strong>im</strong>mer herauszukommen. So aber passte sie sich<br />

ihren Z<strong>im</strong>mergenossinnen an. Allmählich sprach sie nur noch das Allernötigste,<br />

sie zog sich keine Kleidung mehr an, sondern lief <strong>im</strong> Nachthemd herum,<br />

dann blieb sie <strong>im</strong> Bett liegen. Das Essen schmeckte ihr kaum noch, sie<br />

ließ es stehen. Sie dämmerte meist und wollte nicht mehr angesprochen<br />

werden. Besuch erhielt sie nie.<br />

Wie ich schon sagte, hatte ich bei diesem <strong>Krankenhaus</strong>aufenthalt meiner<br />

Mutter ein recht gutes Verhältnis zum Pflegepersonal, das mir durchaus zu<br />

verstehen gab, dass es meine kleinen Hilfsdienste sehr gern in Anspruch<br />

nahm und meine Anwesenheit in dem Z<strong>im</strong>mer als positiv ansah. Im Gegensatz<br />

dazu hatte ich Schwierigkeiten bei der Verständigung mit der Stationsärztin.<br />

Sie konnte nur sehr schwer akzeptieren, dass sie mir - als amtliche<br />

Betreuerin meiner Mutter - die Notwendigkeit von speziellen medizinischen<br />

Versorgungen erklären musste.<br />

Meine Mutter erkrankte nach dem Herzanfall auch noch an Magenblutungen<br />

und einer Lungenentzündung. Es sollten eine Magenspiegelung und eine<br />

Darmspiegelung vorgenommen werden, um die Blutungsquelle zu erkennen.<br />

17

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!