Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer
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Naturraum hamburgisches <strong>Wattenmeer</strong><br />
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Das <strong>Wattenmeer</strong> gehört zu den weltweit jungen Landschaftsformen. Seine geologische Geschichte wurden von zahlreichen<br />
jüngeren erdgeschichtlichen Ereignissen, die insbesondere durch kurzfristige Klimaveränderungen hervorgerufen wurden,<br />
maßgeblich beeinflusst. Im Ergebnis entstand eine völlig verwandelte, neu geformte Landschaft.<br />
Entstehung des hamburgischen <strong>Wattenmeer</strong>es<br />
Entstehung der Nordsee<br />
Das Gebiet der heutigen Nordsee ist uns wie selbstverständlich<br />
als große einheitliche Wasserfläche vertraut. Doch ein Blick zurück<br />
in die Erdgeschichte lehrt uns, dass hier zur Devonzeit, als<br />
Urfarne, die ersten Insekten und Fische die Erde bevölkerten,<br />
Festland vorlag. Während der darauffolgenden Karbonzeit hob<br />
sich der mitteleuropäische Gebirgsgürtel heraus und das nördliche<br />
Festland sank ab. Die Nord-Süd-Furche begann sich zu vertiefen,<br />
die Entstehung der Nordsee konnte ihren Lauf nehmen.<br />
Vom Ozean flutete Meerwasser ein, das im trocken-heißen Klima<br />
der Perm-Zeit verdunstete. So entstanden die norddeutschen Salzlager.<br />
Während der Kreidezeit, als bereits urtümliche kleine Säugetiere<br />
unter Laubhölzern lebten, kam es zu weiteren Überflutungen.<br />
Im Tertiär schließlich erlangte die Nordsee in etwa ihre heutige<br />
Ausdehnung.<br />
Die Eiszeiten<br />
Auch der weitere erdgeschichtliche Verlauf beeinflusste die<br />
Nordsee nachhaltig, denn sie lag im Bereich der großen Inlandeisgletscher.<br />
Alle drei norddeutschen Eiszeiten, Elster-, Saaleund<br />
Weichseleiszeit, ließen die Nordsee trockenfallen und bedeckten<br />
sie mit Inlandeis. Während der jüngsten Eiszeit bildeten<br />
die in die Nordsee mündenden Flüsse Weser- und Elbe-Urstrom,<br />
Rhein, Themse und Humber einen großen Schmelzwasserstausee,<br />
in dem Beckentone entstanden. Jede Eiszeit lieferte dem Nordseeboden<br />
Moränen- und Schmelzwassersedimente (Kiese, Sande,<br />
Tone). Am Ende der Weichseleiszeit schmolzen die Inlandeismassen<br />
ab, so dass der Meeresspiegel im gesamten Weltmeer anstieg.<br />
Die Nordsee dehnte sich wieder nach Süden aus und überflutete<br />
die Küstenlandstriche. Der Anstieg des Meeresspiegels vollzog<br />
sich nicht gleichmäßig; Perioden starken Anstiegs wechselten mit<br />
Stagnationsphasen. Das überflutete Land, welches sich durch<br />
weitläufige Moore, Sümpfe und Bruchwälder auszeichnete,<br />
wurde dabei mit Ablagerungen von Tonen und Sanden überschichtet.<br />
Die von den Sedimenten überlagerten Torfböden sind<br />
heute noch im Untergrund der Watten zu erbohren. Durch<br />
Altersbestimmung dieser Torfe kann das Vorrücken des Meeres<br />
<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />
und damit der Beginn der Wattenbildung auf etwa 5.500 Jahre v.<br />
Chr. zurückdatiert werden.<br />
Die Gezeiten<br />
Auch die Gezeiten haben die Entstehung des <strong>Wattenmeer</strong>es entscheidend<br />
beeinflusst. Im Zusammenspiel mit dem eiszeitlich<br />
bedingten Sedimentüberschuss in der Nordsee, dem nacheiszeitlichen<br />
Anstieg des Meeresspiegels und Strömungen, die die<br />
Sedimente (Sand, Ton) aus der offenen See an die Küste verfrachteten,<br />
formten sie das <strong>Wattenmeer</strong> und die Marschengebiete<br />
in den strömungsberuhigten Randbereichen des Festlandes.<br />
Sobald die natürliche Aufschlickung eine bestimmte Höhe<br />
erreicht hatte, siedelte sich Vegetation an, die wiederum als<br />
Schlickfänger wirkte und eine weitere Sedimentation förderte.<br />
Mit dem Herauswachsen der Wattsedimente aus dem Bereich täglicher<br />
Überflutungen erfolgte der Übergang vom marinen Watt<br />
zur Salzmarsch. Gleichzeitig begannen bodenbildende Prozesse,<br />
die den Boden in seiner Struktur und seinen chemischen und physikalischen<br />
Eigenschaften tiefgreifend veränderten.<br />
Die Ausprägung der Küstenlinie wurde maßgeblich durch den<br />
Tidenhub bestimmt. In Gebieten mit einem mittleren Tidenhub<br />
zwischen 1,35 m und 2,90 m entstand ein System aus Wattflächen<br />
mit vorgelagerten Dünen- oder Barriere-Inseln, wie z. B. an der<br />
westfriesischen und ostfriesischen Küste. Überschreitet der mittlere<br />
Tidenhub die Marke von 2,90 m, was in der inneren<br />
Deutschen Bucht beobachtet wird, so fällt die Bildung der<br />
Barriere-Inseln aus, statt dessen werden offene Wattflächen seeseitig<br />
durch kleine, stark veränderliche Sandbänke begrenzt.<br />
Die Entstehung Neuwerks und der Sände<br />
Die ungeschützte Lage der Sände zur offenen Nordsee bewirkt<br />
deren fortwährende Veränderungen der Morphologie und Lage.<br />
Durch das Zusammenwirken von Brandung, Gezeiten- und Driftströmungen<br />
sowie der Windverhältnisse reichern sich Sedimente<br />
im hochgelegenen Kopfbereich der Wattrücken an. Mit der<br />
Bildung von Untiefen wird die Brandungsenergie herabgesetzt.<br />
Dadurch kann weiteres Material sedimentieren und schließlich<br />
die Sände über MThw aufhöhen. Durch Extremhochwässer und<br />
windbedingte Anlagerung weiterer Sedimente setzen sich<br />
Anlandungs-, Transport- und Sortierungsprozesse fort. Diese<br />
Erscheinungen können auch im hamburgischen <strong>Wattenmeer</strong> festgestellt<br />
werden, wo sich die Scharhörnplate im exponierten<br />
Bereich des Wattrückens gebildet hat.<br />
Im Bereich des hamburgischen <strong>Wattenmeer</strong>s liegt der Tidenhub<br />
bei etwa 3,0 m. Aufgrund der hohen Strömungsdynamik ist daher<br />
die Ausbildung von Barriere-Inseln, wie sie an den ostfriesischen<br />
Inseln vorliegt, hier nahezu unwahrscheinlich. Wie konnten im<br />
hamburgischen <strong>Wattenmeer</strong> dennoch drei Inseln entstehen?<br />
Bohrungen im Bereich Scharhörn/Neuwerk zeigen eiszeitliche<br />
Ablagerungen etwa in 20 bis 25 m Tiefe. Über ihnen liegen etwa<br />
7.700 Jahre alte dünne Torfschichten. Kleieschichten von wenigen<br />
Dezimetern Schichtdicke (bis max. 2,80 m) über den Torfen<br />
zeigen die relativ kurze Zeitspanne der Marschenbildung im<br />
Bereich des heutigen Neuwerk. Oberhalb dieser Schicht finden<br />
sich schichtungslose, kalkhaltige, graue Feinsande mit Muscheln,<br />
die diese Ablagerungen als Sedimente des Meeresbodens kennzeichnen.<br />
Auch auf Neuwerk ergaben Bohrungen beim Turm<br />
1908 eine identische Schichtfolge.<br />
Entgegen vielfach geäußerter Vermutungen ist Neuwerk daher<br />
keine Hallig, sondern eine sandige Insel, eher vergleichbar den<br />
jungen Inseln Mellum und Trischen. Durch das Zusammenspiel<br />
von winterlichen Extremhochwässern und sommerlichen<br />
Trockenperioden, durch Sandanflug und Sedimentanspülung ist<br />
die Insel vermutlich langsam in die Höhe gewachsen und wurde<br />
so dem Einflußbereich der täglichen Gezeitenbewegung entzogen.<br />
Aufgrund der hohen Strömungsdynamik am Standort haben<br />
sich vornehmlich grobkörnigere Bestandteile abgelagert. Davon<br />
zeugen Profilbohrungen der obersten Bodenschichten im Vorland<br />
Neuwerks, die deutliche Flutschichtungen und Horizontabfolgen<br />
sandiger und schlickiger Sedimente zeigen. Früher bestanden<br />
größere Dünenkomplexe auf Neuwerk, vornehmlich im Norden<br />
und Osten des Vorlandes.<br />
Auch auf Scharhörn sind ähnliche Prozesse zu beobachten: Im<br />
Südosten der Insel haben sich im Strömungsschatten Buchten<br />
gebildet, in denen Feinmaterial sedimentiert. Dennoch kann<br />
Scharhörn in seiner heutigen Ausprägung nicht als gänzlich natürlich<br />
bezeichnet werden, da die Entwicklung der auf der<br />
Scharhörnplate natürlich entstandenen Primärdünen in den zwanziger<br />
Jahren durch Errichtung von Sandfangzäunen und Bepflanzung<br />
gefördert und die entstandene Düneninsel auch weiterhin<br />
durch verschiedene Maßnahmen bis 1991 gesichert wurde (siehe<br />
S.78). Die Düneninsel Nigehörn ist nicht natürlicher Genese, sondern<br />
erst vor 1989 aufgespült worden (siehe Seite 96).