Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer
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Insel Nigehörn<br />
102<br />
Öde Sandinseln, vegetationsarme Spülsäume und leere Strände erscheinen auf den ersten Blick als unwirtliche<br />
Lebensräume. Für einige Tierarten aber sind sie (über-) lebenswichtige Lebensstätten in ihrer natürlichen Umwelt.<br />
Gefährdete Brutvogelarten auf Nigehörn und Scharhörn<br />
Lebensräume<br />
Das <strong>Wattenmeer</strong> ist ein äußerst dynamisches System: seit<br />
Jahrtausenden zerschlägt die Kraft von Wind und Wellen an<br />
einem Ort das gewachsene Land, an anderer Stelle werden neue<br />
Inseln und Sandbänke aufgespült und zusammengeweht. Diese<br />
neuen, manchmal nur kurze Zeit bestehenden Lebensräume werden<br />
nicht nur von wenigen pflanzlichen Erstsiedlern erobert,<br />
schnell nehmen auch extrem spezialisierte Vogelarten die kargen<br />
Flächen in Besitz.<br />
Seeregenpfeifer und Zwergseeschwalbe legen ihre Nester mit<br />
Vorliebe auf Stränden in Salzwassernähe an. Offene Sandflächen,<br />
wenig bewachsene Primärdünen oder Schillflächen, vereinzelt<br />
auch Spülsäume mit Meersenf oder schütter bewachsene<br />
Weißdünen sind für diese Arten optimale Brutplätze. Die<br />
Brandseeschwalben gründen ihre Kolonien an ähnlichen Standorten,<br />
siedeln aber auch in niedrigen Salzwiesen und gering<br />
bewachsenen Flächen.<br />
Viele der derart ungeschützten, exponierten Gelege können durch<br />
ungünstige Witterungsverläufe, durch Übersandung und durch<br />
Sturmfluten verlorengehen. Wenn dies frühzeitig während der<br />
Brutsaison geschieht, können die Vögel Nachgelege errichten<br />
und so die Verluste dieses Jahres häufig kompensieren. Auch<br />
Jahre ohne Bruterfolg sind für diese Arten charakteristisch und<br />
stellen für den Gesamtbestand der Arten keine Gefahr dar.<br />
Ernsthafte Probleme bereitet ihnen jedoch die natürliche<br />
Veränderung des Brutgebietes, in deren Verlauf die anfänglich<br />
losen Sände festgelegt und von dichterer Vegetation bewachsen<br />
werden. Im Übergang von Primärdüne zur Weißdüne werden viele<br />
traditionelle Brutplätze dieser Arten aufgegeben. Sie sind<br />
jedoch in der Lage, sehr schnell neue, geeignete Brutplätze<br />
andernorts zu erkennen und zu besetzen. Der großräumige<br />
Austausch von Vogelbeständen über das gesamte <strong>Wattenmeer</strong><br />
hinweg war über Jahrtausende die Regel und sicherte den<br />
Gesamtbestand dieser Arten. Die wechselhafte Bruthäufigkeit in<br />
einzelnen Regionen ist daher typisch für sie.<br />
Warum jedoch legen diese Vögel ihre Gelege und Kolonien in<br />
solch exponierten und von der Vernichtung bedrohten Lebensräumen<br />
an? Konkurrenzschwäche zu anderen Arten, die ihre<br />
<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />
Gelege und Kolonien in besser geschützten Bereichen anlegen,<br />
können ursächlich sein. Außerdem ist Brand- und Zwergseeschwalbe,<br />
anders als den nah verwandten Arten Küsten- und<br />
Flussseeschwalbe, kein aggressives gemeinschaftliches Abwehrverhalten<br />
gegen potentielle Nesträuber zu eigen.<br />
Der offensichtliche Vorteil in der außergewöhnlichen Brutplatz-<br />
Wahl von Brandseeschwalbe, Zwergseeschwalbe und Seeregenpfeifer<br />
besteht in der Feindvermeidung. Sie reagieren während<br />
der Phase der Balz und des Brutbeginns äußerst empfindlich auf<br />
potentielle Beeinträchtigungen. Angriffe von Möwen, Störungen<br />
durch den Menschen, selbst Fluglärm während dieser empfindlichen<br />
Phasen führen zum Verlassen des Brutplatzes und zur<br />
Aufgabe der Brut.<br />
Abb. 1: Seeregenpfeifer. Foto Limbrunner.<br />
Lebensraumverlust<br />
Der früher übliche Wechsel von einem Brutplatz zum anderen ist<br />
heute kaum mehr möglich. Natürlich entstehende Sandplaten<br />
oder durch Düneneinbrüche erneut vegetationsarm gewordene<br />
Dünenbereiche sind sehr selten geworden.<br />
Verbliebene weite Strände und Sandinseln werden zudem auch<br />
vom Tourismus beansprucht. So entsteht eine Konkurrenzsituation<br />
zwischen Fremdenverkehr und den Ansprüchen der<br />
Vögel, die aufgrund der Empfindlichkeit der Arten nicht über<br />
Kompromisse geregelt werden kann. Nur der konsequente<br />
Ausschluß jeglicher Nutzungen vermag die Brutbestände in<br />
einem bestimmten Gebiet zu erhalten.<br />
Die besondere Schutzbedürftigkeit der Vogelarten wurden schon<br />
frühzeitig erkannt und Schutzmaßnahmen bereits seit Anfang des<br />
Jahrhunderts eingeleitet. Dennoch haben sich die konservierenden<br />
Maßnahmen letztlich als unzureichend erwiesen, da sich die<br />
geschützten Biotope von selbst im Rahmen ihrer natürlichen<br />
Entwicklung verändern und damit den spezialisierten Pionieren<br />
unter den Vogelarten die Lebensbedingungen entziehen.<br />
Brutpaare<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
Neuwerk Scharhörn Nigehörn<br />
1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999<br />
Abb. 2: Bestandsentwicklung des Seeregenpfeifers im Bereich des<br />
<strong>Nationalpark</strong>s <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong>.<br />
Bestände im deutschen <strong>Wattenmeer</strong><br />
Heutige Bestände erreichen nur noch einen Bruchteil derer aus<br />
dem vergangenen Jahrhundert. Katastrophale Auswirkungen auf<br />
alle Seeschwalbenarten hatte die Verseuchung der Küstengewässer<br />
mit Pestiziden in den sechziger Jahren. Als Fischfresser<br />
waren Seeschwalben besonders davon betroffen. Inzwischen<br />
haben sich die Bestände von diesen Auswirkungen zwar weitgehend<br />
erholt, aber infolge des Lebensraumverlustes sind im deutschen<br />
<strong>Wattenmeer</strong> nur noch rund 500 Brutpaare der Zwergseeschwalbe<br />
und weniger als 10.000 Brutpaare der Brandseeschwalbe<br />
beheimatet.<br />
Beim Seeregenpfeifer (ca. 600 Brutpaare) erscheint die Entwicklung<br />
momentan nur deshalb nicht so dramatisch, weil er in<br />
Schleswig-Holstein verstärkt in von Menschen geschaffenen<br />
Sekundärhabitaten (Spülfelder, Bodenentnahmestellen und neu<br />
eingedeichte Köge) siedeln kann. In einigen Jahren werden diese<br />
Standorte aufgrund der natürlichen Sukzession aber wieder als<br />
Brutplatz verloren gehen.