Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer
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Insel Scharhörn<br />
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Herbst-Löwenzahn und das Gänse-Fingerkraut einzelne<br />
Farbtupfer setzen. Andere Charakterarten der Salzwiesenvegetation<br />
wie z.B. Strandflieder oder Strand-Aster treten auf<br />
Scharhörn derzeit nicht auf. Die Salzwiesen sind aufgrund seltener<br />
Überflutung und niederschlagsbedingter Aussüßung brackwasserbeeinflusst.<br />
Die etwas höheren Bereiche der Senken, ja sogar Randbereiche<br />
der Dünenkämme, sind überwiegend mit stickstoffliebenden<br />
Hochstaudenfluren bestanden. Vermutlich durch immer wiederkehrenden<br />
Eintrag von Angespül (organisches Material) sowie<br />
reichhaltige Nährstoffversorgung durch Vogelkot konnten sich<br />
dichte Bestände aus Geruchloser Kamille, Gewöhnlichem Beifuß<br />
und Acker-Gänsedistel bilden und in die Röhrichte aus Schilf und<br />
Strandsimse und auch Strand-Quecke und Strandroggen hineinwachsen.<br />
Folgen der Inseldynamik für die Vegetation<br />
Scharhörn wird seit Beginn der neunziger Jahre nur noch von den<br />
Kräften der Natur geformt und gibt daher einen guten Einblick in<br />
die Dynamik der Wattenlandschaft. Erosion an der wasser- und<br />
windexponierten Nord- und Westseite, Sedimentation an der Südostseite<br />
haben in der 70jährigen Geschichte der Insel bereits zu<br />
einer deutlichen Lageveränderung geführt. Von der Insel, wie sie<br />
für 1935 belegt ist, sind heute keine Reste mehr vorhanden, von<br />
der Lage um 1953 zeugt nur noch der nordwestliche Rand mit<br />
einem alten Dünenkomplex, der "Hüttendüne", die Anfang der<br />
50er Jahre aufgeweht wurde. Diese, für Scharhörner Verhältnisse,<br />
alte Düne ist dicht mit Rosen bestanden, die aber durch die fortwährende<br />
Erosion direkt an die Abbruchkante gelangt sind und<br />
nacheinander abrutschen. Die heruntergestürzten Sandmassen<br />
werden im Sommer von Strandroggen und Quecken wieder<br />
durchwachsen und, falls keine starken Stürme im Winter eintreten,<br />
auch bis ins nächste Jahr stabilisiert. Sie verwehren normalen<br />
Hochwässern den Zutritt in das Innere der Insel. Die inmitten der<br />
Düne liegende Hauptdüne ist 1970/71 aufgeweht worden.<br />
Flächengröße<br />
Die Flächengröße der Insel war immer abhängig von den<br />
Witterungsbedingungen und von der Intensität der Dünenschutzmaßnahmen.<br />
Während in den ersten Jahren starke Fluten wieder<br />
große Teile der gerade befestigten Insel wegspülten, waren nach<br />
dem Aufwachsen der Insel über den Flutbereich insbesondere die<br />
Sedimentationsverhältnisse ausschlaggebend. Nach 1935 war die<br />
Flächenbilanz beständig positiv, zwischen 1973 und 1983 verlor<br />
die Insel jedoch nahezu ein Drittel ihrer Fläche.<br />
1997 erreichte die Insel eine Größe von über 20 ha. In den letzten<br />
<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />
Jahren war die Sedimentation im Südosten größer als die relativ<br />
geringfügige Erosion im Nordwesten. Eventuell machen sich<br />
auch die letzten Sandvorspülungen Anfang dieses Jahrzehnts<br />
bemerkbar, die eine gute Sandnachlieferung bewirkten.<br />
Wandel der Vegetation<br />
Die Vegetation der Insel ist durch Untersuchungen in den 1950er<br />
und 1980er Jahren und in neuester Zeit bearbeitet worden, so dass<br />
auch über Veränderungen der Vegetation und der Flora umfangreiche<br />
Kenntnisse vorliegen.<br />
Dabei hat sich gezeigt, dass seit den fünfziger Jahren im wesentlichen<br />
sehr ähnliche Vegetationseinheiten bestehen. Lediglich<br />
ihre Lage und Ausdehnung ist abhängig von den jeweils herrschenden<br />
Sedimentations- und Erosionsbedingungen. Tertiärdünen<br />
und ausgeprägte Graudünen konnten bislang nicht auf der<br />
Insel entstehen. Dazu ist sie einfach zu jung. Bodenbildungsprozesse,<br />
die auf Dauer erst die Grundlage für Nährstoff- und<br />
Wasserversorgung der Gehölze liefern, brauchen Zeit. Soviel Zeit<br />
steht aber auf Scharhörn nicht zur Verfügung. Die ältesten<br />
Dünenbereiche sind hier weniger als 50 Jahre alt, und ehe es zu<br />
einer weiteren Dünen-Alterung kommen kann, werden diese<br />
Bereiche wieder vom Meer fortgespült.<br />
Andererseits haben sich Veränderungen in der Zusammensetzung<br />
der Pflanzengemeinschaften eingestellt. Während seit ihrem Bestehen<br />
über 220 Pflanzenarten auf der Insel nachgewiesen werden<br />
konnten, sind aktuell lediglich etwa 120 Arten regelmäßig auf der<br />
Insel zu finden. Dies zeigt, wie groß die Besiedlungsmöglichkeit<br />
einerseits ist, wie wenige Arten aber andererseits unter den extremen<br />
Bedingungen dort zu leben vermögen.<br />
Abb. 4: Spülsaumgesellschaften an der Westseite Scharhörns mit<br />
Meeresenf (1996). Foto Janke.<br />
Weitere Entwicklung Scharhörns<br />
Die häufig geäußerte Vermutungen, dass die Insel in absehbarer<br />
Zeit vollständig zerschlagen würde, ist anhand der jüngsten Entwicklung<br />
ebenso wenig zu belegen wie eine mögliche weitere<br />
Flächenzunahme. Wie sich die vorhergesagte Meeresspiegelerhöhung<br />
oder der Anstieg des mittleren Tidenhubs auf Scharhörn<br />
auswirken wird, ist nicht abzusehen. Zwar könnten sich dadurch<br />
die erosiven Kräfte an der Nordkante deutlich verstärken,<br />
andererseits können Dünenbildungsprozesse hierdurch gefördert<br />
werden.<br />
Stetiger Wandel ist die Norm in einem derartig dynamischen<br />
System wie dem <strong>Wattenmeer</strong>. Veränderung ist das Merkmal der<br />
Wattenlandschaft, und die Insel Scharhörn ist charakteristisches<br />
Zeichen des Wandels. Nur kurzfristige Konstanz von Lebensräumen<br />
und Besiedlungsmustern sind eng gekoppelt mit räumlicher<br />
Variabilität, so dass die zeitliche Abfolge der Dünenbildung,<br />
die Sukzession, sogar bei einem Rundgang um die Insel deutlich<br />
werden kann. Auf- und Abbau, Umgestaltung, Einwanderung und<br />
Abwanderung von Pflanzen- und Tierarten sind normale Veränderungen.<br />
Auch besonders seltene und schutzbedürftige Tier-<br />
Abb. 5: Steiler Dünenhang im Norden Scharhörns. Foto Janke (1996).<br />
und Pflanzenarten können von diesem Wandel betroffen werden<br />
und Scharhörn verlassen. Dafür werden sie sich an anderer geeigneter<br />
Stelle im <strong>Wattenmeer</strong> niederlassen. Dies setzt allerdings<br />
voraus, dass auch genügend Bereiche vorhanden sind, in denen<br />
sich selbst gestaltende, dynamische Prozesse stattfinden können.<br />
Dynamische Inseln sind durch die weitgehende Küstenfestlegung<br />
im gesamten <strong>Wattenmeer</strong> selten geworden. Gerade ihre frühen<br />
Stadien sind auf Scharhörn gut zu erkennen. Die weitere Entwicklung<br />
der Insel und ihrer Dünen ist daher von großem Wert für<br />
die Wissenschaft.