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Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer

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Insel Neuwerk/Vorland<br />

68<br />

Ringelgänse und Landwirtschaft<br />

Pflanzenfressende Entenvögel (neben Ringelgänsen z.B. auch<br />

Pfeifenten, Schwäne, Graue Gänse und Weißwangengänse) nutzen<br />

zu bestimmten Jahreszeiten dieselben Flächen, die auch von<br />

der Landwirtschaft beansprucht werden. Daher kommt es immer<br />

wieder zu Spannungen zwischen Naturschutz und Landwirtschaft.<br />

Die natürliche Beweidung durch die Entenvögel kann<br />

bei starkem Vogelbesatz zu wirtschaftlichen Einbußen führen.<br />

Auch auf Neuwerk kamen die Gänse in den Ruf, die Landwirtschaft<br />

zu schädigen. Die Gänse weiden von März bis Juni im<br />

Vorland und reduzieren dort die zu diesem Zeitpunkt begrenzt<br />

nutzbaren Nahrungsgrundlagen gemeinsam mit dem bereits im<br />

April ausgebrachten Vieh. Außerdem sind seit einigen Jahren<br />

weidende Ringelgänse nicht nur im Außengroden, sondern auch<br />

im Binnengroden zu beobachten.<br />

Allerdings sind die Gänsebestände auf Neuwerk nicht so hoch<br />

wie in anderen Salzwiesenbereichen der deutschen und niederländischen<br />

Küste, in denen es zu starken Ernteausfällen kommt.<br />

Mit durchschnittlich etwa 17 Tieren pro Hektar wird nur eine<br />

relativ geringe Dichte im Vorland Neuwerks erreicht. Die Gänse<br />

verteilen sich jedoch im Vorland nicht gleichmäßig. Sie bevorzugen<br />

die Salzwiesenbereiche entlang der Priele, vermutlich da dort<br />

die bevorzugten Salzwiesenpflanzen in größerer Häufigkeit vorkommen.<br />

Daher ist in diesen Bereichen die Intensität der<br />

Beweidung höher, in anderen hingegen, die von weniger attraktiver<br />

Vegetation bestanden werden, deutlich geringer.<br />

Insgesamt entnehmen die Ringelgänse jedoch nur einen Bruchteil<br />

der Biomasse des Vorlandes. Zur Deckung ihres Energiebedarfes<br />

benötigen sie etwa 10-20% der täglich nachwachsenden Pflanzenmasse.<br />

Da die Gänse jedoch bestimmte Bereiche bevorzugen,<br />

ist in diesen Flächen die Pflanzenentnahme intensiver. Von<br />

Ringelgänsen ist bekannt, dass sie ihre Weidepflanzen "managen"<br />

können. Durch Abweiden derselben Fläche in mehrtägigem Abstand<br />

können sie die Nahrungspflanzen in einer von ihnen bevorzugten<br />

Qualität und Quantität erhalten. Insgesamt entnehmen sie<br />

dann täglich etwa 75% der nachwachsenden Biomasse.<br />

In Teilbereichen im Vorland Neuwerks ist diese Balance zwischen<br />

Abfressen und Nachwachsen jedoch empfindlich gestört, da auch<br />

das sehr früh auf die Weide entlassene Vieh (Ochsen und Pferde)<br />

in die besonders früh wüchsigen und schmackhaften Bereiche<br />

drängt. Dort steht es dann in direkter Konkurrenz zu den Gänsen.<br />

Dadurch wird in diesen bevorzugten Teilflächen die Grasnarbe so<br />

schwer geschädigt, dass sie sich im Sommer kaum noch erholen<br />

kann.<br />

<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />

Auf vergleichbaren Flächen im Ostvorland, die während des<br />

Frühjahrs nur von Ringelgänsen beweidet werden können, treten<br />

diese Effekte nicht auf. Im Gegenteil: nach Abzug der Gänse steigert<br />

sich die Produktionsleistung in diesen Flächen, vermutlich<br />

durch die düngende Wirkung des Gänsekots.<br />

Probleme durch Nahrungsverknappung, die den Landwirten im<br />

Laufe des Sommers im Vorland entstehen, sind daher nicht<br />

ursächlich auf die Gänse zurückzuführen, da diese nur in so geringer<br />

Zahl dort auftreten, dass von ihnen keine merkliche<br />

Beeinträchtigung ausgeht. Vielmehr muss berücksichtigt werden,<br />

dass die Produktionsleistung der Vegetationsnarbe in den sandigen<br />

und nährstoffarmen Salzwiesen Neuwerks nur vergleichsweise<br />

gering ausfällt. Der Viehbesatz, auch durch den höheren<br />

Nahrungsbedarf der modernen, schweren Viehrassen, sollte dementsprechend<br />

angepaßt werden.<br />

Methoden zur Ermittlung von<br />

Flächennutzungen durch Ringelgänse<br />

• Kotkartierung<br />

Auszählung von Gänse-Kotwürstchen auf<br />

Probeflächen; deren Menge ist ein Maß für die<br />

Aufenthaltsdauer von Gänsen<br />

• Direkte Beobachtung (Habitatkartierung)<br />

Regelmäßige Zählung der einzelnen<br />

Ringelgansgruppen und Übertragung ihrer<br />

Aufenthaltsorte in Karten<br />

• Rastererfassung<br />

Regelmäßige Beobachtung von im Gelände<br />

festgelegten Probeflächen und Ermittlung der<br />

Gänsezahlen auf diesen Flächen<br />

Ringelgänse und Störungen<br />

Ringelgänse reagieren empfindlich auf sprunghafte Veränderungen<br />

in ihrer Umwelt. Bei Störungen fliegen sie auf, wodurch<br />

sie viel Energie verbrauchen und ihnen Zeit zum Fressen<br />

verloren geht. Den erhöhten Energiebedarf versuchen sie über<br />

Verhaltensänderungen zu kompensieren, indem sie ansonsten für<br />

andere Tätigkeiten (Schlafen, Putzen) verwandte Zeit zusätzlich<br />

zum Fressen nutzen. Für die Gänse ist es überlebenswichtig, sich<br />

eine genügende Fettschicht für ihren anstrengenden Weiterflug in<br />

die sibirischen Brutgebiete anfressen zu können. Auch ist der<br />

Bruterfolg bei wohlgenährten Tieren größer als bei schlecht<br />

ernährten.<br />

Die häufigsten Störreize auf Neuwerk gehen von Fußgängern und<br />

tieffliegenden Flugzeugen und Hubschraubern, vereinzelt auch<br />

von Greifvögeln, aus.<br />

Vermutlich aufgrund der besonderen Exposition gegenüber<br />

Störungen werden deichnahe Bereiche im Frühjahr weitgehend<br />

gemieden. Gänse sind hier nur in den frühen Morgenstunden zu<br />

beobachten, wenn der Ausflugsverkehr noch nicht eingesetzt hat.<br />

In dieser Zeit und in den Herbstmonaten, wenn deutlich weniger<br />

Gäste die Insel besuchen, nutzen die Gänse auch unmittelbar am<br />

Deichfuß liegende Flächen. Schlafplätze befinden sich sogar in<br />

unmittelbarer Nähe der während des Tages häufig benutzten<br />

Wattwagenauffahrt. Damit reagieren die Gänse effektiv auf den<br />

tatsächlichen Störreiz bzw. dessen Ausbleiben. Ähnliche Beobachtungen<br />

sind auch aus dem Vorland von Westerhever in<br />

Schleswig-Holstein bekannt geworden.<br />

Obwohl sich die Gänse auch in begrenztem Umfang an bestimmte<br />

Einflüsse gewöhnen können (z.B. Traktoren), ist die direkte<br />

Annäherung von Fußgängern immer Anlass, aufzufliegen, wenn<br />

die Fluchtdistanz unterschritten wird. Besonders im Nordvorland<br />

entlang des Hauptpriels werden die Gänse immer wieder durch<br />

Spaziergänger aufgescheucht. Neben unvorsichtigen Annäherungen<br />

sind auch ganz bewußte Störungen beobachtet worden:<br />

auffliegende Gänseschwärme wirken auf die Beobachter besonders<br />

eindrucksvoll und attraktiv. Im östlichen Vorland halten sich<br />

die Gänse gern entlang des Sommerdeiches auf, der aber durch<br />

den nahebei führenden Wanderweg zu den störungsintensiven<br />

Zonen zählt. Auf Neuwerk kommt hinzu, dass viele Erholungssuchende<br />

besonders während der Hochwasserzeit in die Vorländer<br />

gehen, da das Ausflugsschiff um den Hochwasserzeitpunkt<br />

vor Anker liegt. Gerade zu dieser Zeit bieten sich den Ringelgänsen<br />

keine Ausweichmöglichkeiten außerhalb der Insel, so dass<br />

sie auf relativ kleinen Flächen zusammengedrängt werden.

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