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Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer

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Insel Neuwerk/Vorland<br />

66<br />

Ringelgänse zählen im Frühjahr zu den auffälligsten Tieren der Wattenlandschaft.Viele tausend Tiere zählende Schwärme<br />

bevölkern heute wieder die Salzwiesen und demonstrieren die Bedeutung des <strong>Wattenmeer</strong>es im Lebensablauf dieser Tiere.<br />

Durch die Nutzung auch landwirtschaftlich beanspruchter Flächen stehen die Gänse jedoch im Spannungsfeld zwischen<br />

Naturschutz und Landwirtschaft.<br />

Die Ringelgänse im Vorland<br />

Die häufigsten Gänse des <strong>Wattenmeer</strong>es sind die Ringelgänse<br />

(Branta bernicla). Gemeinsam mit den Weißwangengänsen,<br />

Kanadagänsen und Rostgänsen bilden sie die Gruppe der<br />

Meeresgänse, die sich deutlich von den in der Kulturlandschaft<br />

häufigen "Grauen" Gänsen (Anser spec.) unterscheiden.<br />

Die Ringelgänse Europas trennen sich in zwei Unterarten, die<br />

deutlich unterschiedliche Brut- und Überwinterungsgebiete besitzen:<br />

Die im <strong>Wattenmeer</strong> vorkommende Dunkelbäuchige Ringelgans<br />

(Branta bernicla bernicla) hat ihr zentrales Brutgebiet auf<br />

der Taimyr-Halbinsel in Nord-Sibirien. Ihr Überwinterungsgebiet<br />

Abb. 1: Rastender Schwarm von Ringelgänsen im <strong>Wattenmeer</strong>.<br />

Foto Janke.<br />

liegt in Nordwest-Europa, damit ist sie die im deutschen <strong>Wattenmeer</strong><br />

verbreitetste und häufigste Unterart. Die Hellbäuchige<br />

Ringelgans (Branta bernicla hrota) brütet auf Spitzbergen, Grönland<br />

und im Nordwesten Kanadas. Sie überwintert an der amerikanischen<br />

Atlantikküste, in Nordengland, Irland und Dänemark.<br />

Nur gelegentlich lassen sich vereinzelte Tiere dieser hellbäuchigen<br />

Rasse im deutschen <strong>Wattenmeer</strong> beobachten.<br />

Frühere Bestände der Ringelgänse müssen überwältigend groß<br />

gewesen sein, wie zeitgenössische Berichte vermelden, doch gibt<br />

es keine Bestandsangaben aus diesen Zeiten. Zu Beginn dieses<br />

Jahrhunderts wird der Weltbestand noch mehrere hunderttausend<br />

Tiere umfaßt haben. Dann schrumpften die Bestände der<br />

Ringelgänse bis in die fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts auf nur<br />

<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />

16.500 Vögel. Intensive Bejagung in den Winterquartieren, auf<br />

dem Zug und in den Brutgebieten und das massenhafte Absterben<br />

des Seegrases, ihrer bevorzugten Winternahrung, führte zu diesem<br />

Rückgang. Seit der Einstellung der Verfolgung und aufgrund<br />

verstärkter Schutzbemühungen verzehnfachte sich der Bestand<br />

innerhalb von 30 Jahren und erreichte sein vorläufiges Bestandshoch<br />

1992 mit etwa 300.000 Exemplaren. In den letzten Jahren<br />

sind wieder deutlich weniger Gänse gezählt worden, was auf<br />

einen geringen Bruterfolg in der sibirischen Heimat und sehr<br />

strenge Winter zurückgeführt wird.<br />

Für mehr als ein Viertel des Jahres ist das <strong>Wattenmeer</strong> die Heimat<br />

der Ringelgänse: während des Zuges im Frühjahr und im Herbst<br />

ist nahezu die gesamte paläarktische Population im <strong>Wattenmeer</strong><br />

vertreten. Wesentlich mehr Gänse als im Herbst kann man im<br />

Frühjahr beobachten, wenn von März bis Ende Mai die Ringelgänse<br />

in die Salzwiesen einfallen, um dort Kräfte für den Zug in<br />

ihre arktischen Brutgebiete zu sammeln und sich Nahrungsreserven<br />

anzufressen. Im Winter weichen sie in die Küstenabschnitte<br />

Englands, Frankreich oder der Niederlande aus, in milden<br />

Wintern überwintern einige Tiere auch im <strong>Wattenmeer</strong> selbst,<br />

vornehmlich in den dänischen und schleswig-holsteinischen<br />

Teilen. Im Frühjahr werden die schleswig-holsteinische und niederländische<br />

Küste bevorzugt aufgesucht. Vereinzelt werden auch<br />

übersommernde Exemplare im <strong>Wattenmeer</strong>bereich angetroffen.<br />

Ringelgänse im <strong>Nationalpark</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />

Im Bereich des Hamburgischen <strong>Nationalpark</strong>s sind Ringelgänse<br />

seit jeher eine vertraute Erscheinung. Bereits in alten vogelkundlichen<br />

Berichten wird von großen Schwärmen mit vielen<br />

Tausenden von Tieren auf Neuwerk berichtet. Seit den vierziger<br />

Jahren wurden auf dem Frühjahrszug jedoch lediglich noch etwa<br />

500 Tiere gezählt. Seither hat sich der Bestand auch aufgrund<br />

internationaler Schutzbemühungen zunächst langsam und anschließend<br />

wieder deutlich erholt. So rasten in den letzten Jahren<br />

auf Neuwerk wieder große Bestände. Ringelgansschwärme von<br />

bis 2000 Exemplaren sind im Mai keine Seltenheit mehr<br />

(Tageshöchstzahlen 1996: 1670; 1997: 2850). Die Herbstbe-<br />

stände sind dagegen deutlich kleiner und erreichen lediglich<br />

Stärken von 600-700 Tieren.<br />

Auch in den Watten vor Scharhörn sind die Ringelgänse regelmäßige<br />

Gäste. Konnten in den achtziger Jahren noch große<br />

Schwärme von über 1000 Tieren bei der Nahrungsaufnahme in<br />

den von der Insel abgelegenen Seegras- und Algenwiesen beobachtet<br />

werden, so rasten die Vögel auf den offenen Wattgebieten<br />

jetzt nur noch kurz.<br />

Ringelgänse sind recht ortstreu, doch nutzen sie mehrere<br />

Nahrungsplätze in einem von ihnen leicht zu erreichenden<br />

Radius. Die Ringelgänse Neuwerks nutzen vermutlich auch die<br />

Salzwiesen an der Wurster Küste, von Trischen und die Algenmatten<br />

vor Scharhörn. Wahrscheinlich werden deshalb auf<br />

Neuwerk von Tag zu Tag stark wechselnde Bestandsgrößen beobachtet.<br />

Ein reich gedeckter Tisch<br />

Ringelgänse sind reine Pflanzenfresser. Aufgrund ihres wenig<br />

effizienten Verdauungssystems sind sie auf leicht verdauliche,<br />

eiweißreiche Nahrung angewiesen. Im Herbst bevorzugen sie<br />

Seegras und Algen, die sie in den Wattflächen unterhalb der<br />

Tidewasserlinie abweiden. Im Frühjahr, wenn Seegras und Algen<br />

nicht zur Verfügung stehen, müssen die Gänse jedoch auf andere<br />

Nahrungspflanzen ausweichen. Sie suchen die Salzwiesen auf<br />

und beweiden dort junge Gräser (Andel, Rot-Schwingel) sowie<br />

einige von ihnen besonders bevorzugte Kräuter (z.B. Strand-<br />

Wegerich und Strand-Aster). Aufgrund des großräumigen<br />

Bestandsrückgangs der Seegraswiesen sind die Gänse nun auch<br />

im Herbst gezwungen, auf den Salzwiesen zu fressen. Selten nur<br />

gehen sie jedoch auf binnendeichs gelegene Grünländer und<br />

Ackerflächen, im Gegensatz z.B. zu Pfeifenten oder Weißwangengänsen,<br />

die gerade auf Ackerkulturen beträchtliche<br />

Schäden anrichten können.<br />

Die Gänse nutzen im Frühjahr sowohl ungenutzte als auch beweidete<br />

Salzwiesen. Allerdings werden extensiv beweidete Flächen<br />

in der Regel deutlich bevorzugt. Eine Nutzungsaufgabe oder<br />

deutliche Beweidungsreduzierung intensiv begraster Salzwiesen<br />

verringert demnach nicht deren Attraktivität für die Ringelgänse.<br />

Im Vorland von Neuwerk wählen die Ringelgänse ihre Rastplätze<br />

offenbar nach verschiedenen Kriterien aus. Neben dem Angebot<br />

an nährstoffreichen Nahrungspflanzen bestimmt die Störungsarmut<br />

die Wahl der von ihnen bevorzugten Standorte, obwohl in<br />

den vergangenen Jahren die Fluchtdistanz der Tiere gegenüber<br />

Menschen deutlich geringer geworden ist.

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