Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer
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Insel Neuwerk/Vorland<br />
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Ringelgänse zählen im Frühjahr zu den auffälligsten Tieren der Wattenlandschaft.Viele tausend Tiere zählende Schwärme<br />
bevölkern heute wieder die Salzwiesen und demonstrieren die Bedeutung des <strong>Wattenmeer</strong>es im Lebensablauf dieser Tiere.<br />
Durch die Nutzung auch landwirtschaftlich beanspruchter Flächen stehen die Gänse jedoch im Spannungsfeld zwischen<br />
Naturschutz und Landwirtschaft.<br />
Die Ringelgänse im Vorland<br />
Die häufigsten Gänse des <strong>Wattenmeer</strong>es sind die Ringelgänse<br />
(Branta bernicla). Gemeinsam mit den Weißwangengänsen,<br />
Kanadagänsen und Rostgänsen bilden sie die Gruppe der<br />
Meeresgänse, die sich deutlich von den in der Kulturlandschaft<br />
häufigen "Grauen" Gänsen (Anser spec.) unterscheiden.<br />
Die Ringelgänse Europas trennen sich in zwei Unterarten, die<br />
deutlich unterschiedliche Brut- und Überwinterungsgebiete besitzen:<br />
Die im <strong>Wattenmeer</strong> vorkommende Dunkelbäuchige Ringelgans<br />
(Branta bernicla bernicla) hat ihr zentrales Brutgebiet auf<br />
der Taimyr-Halbinsel in Nord-Sibirien. Ihr Überwinterungsgebiet<br />
Abb. 1: Rastender Schwarm von Ringelgänsen im <strong>Wattenmeer</strong>.<br />
Foto Janke.<br />
liegt in Nordwest-Europa, damit ist sie die im deutschen <strong>Wattenmeer</strong><br />
verbreitetste und häufigste Unterart. Die Hellbäuchige<br />
Ringelgans (Branta bernicla hrota) brütet auf Spitzbergen, Grönland<br />
und im Nordwesten Kanadas. Sie überwintert an der amerikanischen<br />
Atlantikküste, in Nordengland, Irland und Dänemark.<br />
Nur gelegentlich lassen sich vereinzelte Tiere dieser hellbäuchigen<br />
Rasse im deutschen <strong>Wattenmeer</strong> beobachten.<br />
Frühere Bestände der Ringelgänse müssen überwältigend groß<br />
gewesen sein, wie zeitgenössische Berichte vermelden, doch gibt<br />
es keine Bestandsangaben aus diesen Zeiten. Zu Beginn dieses<br />
Jahrhunderts wird der Weltbestand noch mehrere hunderttausend<br />
Tiere umfaßt haben. Dann schrumpften die Bestände der<br />
Ringelgänse bis in die fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts auf nur<br />
<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />
16.500 Vögel. Intensive Bejagung in den Winterquartieren, auf<br />
dem Zug und in den Brutgebieten und das massenhafte Absterben<br />
des Seegrases, ihrer bevorzugten Winternahrung, führte zu diesem<br />
Rückgang. Seit der Einstellung der Verfolgung und aufgrund<br />
verstärkter Schutzbemühungen verzehnfachte sich der Bestand<br />
innerhalb von 30 Jahren und erreichte sein vorläufiges Bestandshoch<br />
1992 mit etwa 300.000 Exemplaren. In den letzten Jahren<br />
sind wieder deutlich weniger Gänse gezählt worden, was auf<br />
einen geringen Bruterfolg in der sibirischen Heimat und sehr<br />
strenge Winter zurückgeführt wird.<br />
Für mehr als ein Viertel des Jahres ist das <strong>Wattenmeer</strong> die Heimat<br />
der Ringelgänse: während des Zuges im Frühjahr und im Herbst<br />
ist nahezu die gesamte paläarktische Population im <strong>Wattenmeer</strong><br />
vertreten. Wesentlich mehr Gänse als im Herbst kann man im<br />
Frühjahr beobachten, wenn von März bis Ende Mai die Ringelgänse<br />
in die Salzwiesen einfallen, um dort Kräfte für den Zug in<br />
ihre arktischen Brutgebiete zu sammeln und sich Nahrungsreserven<br />
anzufressen. Im Winter weichen sie in die Küstenabschnitte<br />
Englands, Frankreich oder der Niederlande aus, in milden<br />
Wintern überwintern einige Tiere auch im <strong>Wattenmeer</strong> selbst,<br />
vornehmlich in den dänischen und schleswig-holsteinischen<br />
Teilen. Im Frühjahr werden die schleswig-holsteinische und niederländische<br />
Küste bevorzugt aufgesucht. Vereinzelt werden auch<br />
übersommernde Exemplare im <strong>Wattenmeer</strong>bereich angetroffen.<br />
Ringelgänse im <strong>Nationalpark</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />
Im Bereich des Hamburgischen <strong>Nationalpark</strong>s sind Ringelgänse<br />
seit jeher eine vertraute Erscheinung. Bereits in alten vogelkundlichen<br />
Berichten wird von großen Schwärmen mit vielen<br />
Tausenden von Tieren auf Neuwerk berichtet. Seit den vierziger<br />
Jahren wurden auf dem Frühjahrszug jedoch lediglich noch etwa<br />
500 Tiere gezählt. Seither hat sich der Bestand auch aufgrund<br />
internationaler Schutzbemühungen zunächst langsam und anschließend<br />
wieder deutlich erholt. So rasten in den letzten Jahren<br />
auf Neuwerk wieder große Bestände. Ringelgansschwärme von<br />
bis 2000 Exemplaren sind im Mai keine Seltenheit mehr<br />
(Tageshöchstzahlen 1996: 1670; 1997: 2850). Die Herbstbe-<br />
stände sind dagegen deutlich kleiner und erreichen lediglich<br />
Stärken von 600-700 Tieren.<br />
Auch in den Watten vor Scharhörn sind die Ringelgänse regelmäßige<br />
Gäste. Konnten in den achtziger Jahren noch große<br />
Schwärme von über 1000 Tieren bei der Nahrungsaufnahme in<br />
den von der Insel abgelegenen Seegras- und Algenwiesen beobachtet<br />
werden, so rasten die Vögel auf den offenen Wattgebieten<br />
jetzt nur noch kurz.<br />
Ringelgänse sind recht ortstreu, doch nutzen sie mehrere<br />
Nahrungsplätze in einem von ihnen leicht zu erreichenden<br />
Radius. Die Ringelgänse Neuwerks nutzen vermutlich auch die<br />
Salzwiesen an der Wurster Küste, von Trischen und die Algenmatten<br />
vor Scharhörn. Wahrscheinlich werden deshalb auf<br />
Neuwerk von Tag zu Tag stark wechselnde Bestandsgrößen beobachtet.<br />
Ein reich gedeckter Tisch<br />
Ringelgänse sind reine Pflanzenfresser. Aufgrund ihres wenig<br />
effizienten Verdauungssystems sind sie auf leicht verdauliche,<br />
eiweißreiche Nahrung angewiesen. Im Herbst bevorzugen sie<br />
Seegras und Algen, die sie in den Wattflächen unterhalb der<br />
Tidewasserlinie abweiden. Im Frühjahr, wenn Seegras und Algen<br />
nicht zur Verfügung stehen, müssen die Gänse jedoch auf andere<br />
Nahrungspflanzen ausweichen. Sie suchen die Salzwiesen auf<br />
und beweiden dort junge Gräser (Andel, Rot-Schwingel) sowie<br />
einige von ihnen besonders bevorzugte Kräuter (z.B. Strand-<br />
Wegerich und Strand-Aster). Aufgrund des großräumigen<br />
Bestandsrückgangs der Seegraswiesen sind die Gänse nun auch<br />
im Herbst gezwungen, auf den Salzwiesen zu fressen. Selten nur<br />
gehen sie jedoch auf binnendeichs gelegene Grünländer und<br />
Ackerflächen, im Gegensatz z.B. zu Pfeifenten oder Weißwangengänsen,<br />
die gerade auf Ackerkulturen beträchtliche<br />
Schäden anrichten können.<br />
Die Gänse nutzen im Frühjahr sowohl ungenutzte als auch beweidete<br />
Salzwiesen. Allerdings werden extensiv beweidete Flächen<br />
in der Regel deutlich bevorzugt. Eine Nutzungsaufgabe oder<br />
deutliche Beweidungsreduzierung intensiv begraster Salzwiesen<br />
verringert demnach nicht deren Attraktivität für die Ringelgänse.<br />
Im Vorland von Neuwerk wählen die Ringelgänse ihre Rastplätze<br />
offenbar nach verschiedenen Kriterien aus. Neben dem Angebot<br />
an nährstoffreichen Nahrungspflanzen bestimmt die Störungsarmut<br />
die Wahl der von ihnen bevorzugten Standorte, obwohl in<br />
den vergangenen Jahren die Fluchtdistanz der Tiere gegenüber<br />
Menschen deutlich geringer geworden ist.