Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer
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Insel Neuwerk/Vorland<br />
74<br />
Die Beweidung der Neuwerker Salzwiesen führt zu deutlichen Veränderungen in der Zusammensetzung und Struktur ihrer<br />
Vegetation und Besiedlung. Die Auswirkungen der Nutzungen zeigen sich besonders offenkundig in der Änderung der Flora<br />
und Vogelwelt.<br />
Auswirkungen der Viehbeweidung auf die Pflanzenund<br />
Tierwelt im Vorland<br />
Entwicklung und heutiges Management<br />
Die Salzwiesen Neuwerks werden bereits seit der Besiedlung der<br />
Insel als Weide für Rinder, Pferde, Schafe und früher auch Gänse<br />
genutzt. Mit der Eindeichung des Binnengrodens 1556-1559 wurde<br />
die Nutzung des Vorlandes durch Verträge geregelt, wobei die<br />
ursprünglich zugelassene Menge an Vieh im Grunde nur geringfügig<br />
von der in der heutigen Zeit abgewichen haben mag.<br />
Mit der Stärkung des Naturschutzgedankens, insbesondere unter<br />
dem Aspekt des Seevogelschutzes, begannen erste Abzäunungsmaßnahmen.<br />
Ein Bereich vor dem Sommerdeich im Osten der<br />
Insel ist seit 1988 von der Beweidung ausgenommen. Mit der<br />
Einrichtung des <strong>Nationalpark</strong>s traten grundsätzliche Veränderungen<br />
im Beweidungsregime ein: Das Vorland wurde in zwei<br />
Schutzzonen geteilt. In der Schutzzone I, dem Ostvorland, wird<br />
die Beweidung seit 1992 erst nach dem 1. August eines jeden<br />
Jahres gestattet. Das Nordvorland (Zone II) kann dagegen bereits<br />
ab dem 1. April beweidet werden. Auf den ungekoppelten<br />
Flächen werden etwa 115 Ochsen und Pferde gehalten (etwa 25%<br />
Pferde).<br />
Vegetationsstrukturen<br />
Die Strukturen der Pflanzenbestände in den beiden Zonen unterscheiden<br />
sich deutlich. Während im intensiv beweideten<br />
Nordvorland während der gesamten Vegetationsperiode ein<br />
äußerst kurzer Rasen mit maximal 5 cm Höhe besteht, ist im<br />
Ostvorland ein vielfältiges Mosaik aus verschieden hohen und<br />
dichten Pflanzenbeständen erkennbar. Hier können mind. 10 charakteristische<br />
Pflanzengesellschaften unterschieden werden, im<br />
nördlichen Vorland dagegen lediglich 8, wovon einige nur noch<br />
fragmentarisch ausgebildet sind (siehe Tab. 1). So sind z.B.<br />
Hauhechel-Fluren nur im Ostvorland vertreten, da der Dornige<br />
Hauhechel durch extensive Beweidung gefördert wird. Diese stachelige<br />
Pflanze wird nur in sehr jungem Zustand vom Vieh<br />
gefressen und ist daher im Nordvorland nur wenig vertreten.<br />
Durch die Aussperrung des Weideviehs bis zum August ist der<br />
Zwergstrauch im Ostvorland jedoch bereits so hart und wehrhaft<br />
herangewachsen, dass er vom Vieh verschmäht wird und sich<br />
<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />
ohne nennenswerte Verbissschäden entwickeln kann. In den<br />
gänzlich unbeweideten Bereichen tritt der Strauch nicht auf, weil<br />
dort die häufigen Überflutungen ein Aufkommen des salz- und<br />
nässeempfindlichen Gewächses nicht zulassen.<br />
Das Nordvorland wird geprägt durch Rotschwingelrasen und<br />
Grünländer, die viele Gemeinsamkeiten mit den Wiesengesellschaften<br />
der Binnendeichsländer aufweisen.<br />
Pflanzenarten<br />
Die Pflanzengesellschaften im Nord- und Ostvorland unterscheiden<br />
sich grundsätzlich voneinander. Im intensiv beweideten<br />
Nordvorland fehlen einige typische Salzwiesenarten gänzlich,<br />
andere sind nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden. Zu diesen<br />
gehören z.B. Strand-Aster und Strandflieder, die bevorzugt<br />
gefressen werden. Sie können nur noch an für das Vieh unerreichbaren<br />
Orten wachsen. Andere Arten, wie z.B. der Strand-<br />
Beifuß, werden zwar aufgrund ihres starken Geruchs und<br />
Geschmacks vom Vieh verschmäht, reagieren aber sehr empfindlich<br />
auf eine Verdichtung des Bodens durch Huftritte. Auch im<br />
extensiv beweideten Ostvorland ist der Strand-Beifuß selten,<br />
wesentlich häufiger wächst er in den unbeweideten Flächen.<br />
Sogar auf das Einzelindividuum wirkt sich die Beweidung aus: so<br />
wird durch den ständigen Abbiss die Entwicklung der Pflanzen<br />
auf die untersten Stängelabschnitte begrenzt, Blüten entwickeln<br />
sich nur selten oder spärlich. Dies begrenzt wesentlich die<br />
Selbstverbreitung der Arten, da sie keine Früchte bilden können.<br />
Arten, die sich über vegetative Fortpflanzung, z.B. mit<br />
Ausläufern, vermehren können, wie die meisten Gräser, werden<br />
dagegen durch das beständige Befressen gefördert, weil sie zur<br />
Bildung neuer Ausläufer angeregt werden.<br />
Kleintiere<br />
Die Verdrängung einzelner Pflanzenarten und die Reduzierung<br />
von Blüten oder oberen Stängelabschnitten wirkt sich gravierend<br />
auf die Insektenfauna der Salzwiesen aus. Die Auswirkungen der<br />
Beweidung auf die Insekten- und Spinnenfauna der Salzwiesen<br />
sind bereits gut untersucht und es haben sich v.a. Einbußen an<br />
Vielfalt und Häufigkeit pflanzenfressender Insekten gezeigt.<br />
Viele der hier lebenden Wirbellosen sind auf wenige oder gar nur<br />
eine einzige Pflanzenart angewiesen. Fällt diese aus oder werden<br />
einzelne für die Insekten wichtigen Strukturteile der Pflanze<br />
(Blüte, Blatt, Stengel etc.) geschädigt, können die Insekten nicht<br />
auf Dauer überleben. Auch auf Neuwerk können Unterschiede<br />
zwischen den intensiv und extensiv genutzten Salzwiesen festgestellt<br />
werden. In den Salzwiesen des nördlichen Vorlandes ist das<br />
Arteninventar der Laufkäfer und Spinnen deutlich eingeschränkt,<br />
und die salzwiesentypischen Arten treten nur mit geringerer<br />
Häufigkeit auf. Einige Arten, wie z.B. die kleine Laufspinne<br />
Erigone longipalpis profitieren allerdings von der intensiven<br />
Beweidung, da sie sich in der kurzen strukturarmen Vegetation<br />
besser fortbewegen kann.<br />
Vogelwelt<br />
Auch die Vogelwelt reagiert auf unterschiedliche Beweidungsintensitäten.<br />
Die kurzen, übersichtlichen Rasen der intensiv beweideten<br />
Flächen bieten Kiebitz und Feldlerche gute Brutbedingungen,<br />
während die Rotschenkel, die ihr Nest in dichter<br />
und höherer Struktur anlegen, deutlich benachteiligt werden. Sie<br />
treten daher in höherer Dichte erst bei extensiver Beweidung auf<br />
(siehe Abb. 3).<br />
Auch für nahrungssuchende Vögel ist die Vegetationsstruktur und<br />
die Artenzusammensetzung der Pflanzenbestände von Bedeutung:<br />
die pflanzenfressenden Entenvögel (z.B. Ringelgans, Pfeifente)<br />
suchen bevorzugt relativ kurzrasige Bestände auf, weil dort<br />
die Pflanzen nahrhafter sind. Da im Winter in extensiv genutzten<br />
und unbeweideten Salzwiesen die Vegetation durch winterliche<br />
Hochwässer und Eisgang abtragen wird, erscheinen im Frühjahr<br />
auch diese Flächen wie geschoren und werden von den Gänsen<br />
mit derselben Intensität genutzt. Im Herbst allerdings sind die<br />
langgrasigen Flächen zur Nahrungsaufnahme unattraktiv und<br />
werden weitgehend gemieden.<br />
Eine sichere Rundumsicht ist für rastende Vögel ein wesentliches<br />
Auswahlkriterium. Möwen rasten z.B. bevorzugt im Nordvorland,<br />
da sie dort gute Übersicht haben und vor potentiellen<br />
Räubern geschützt sind. Andere Arten (z.B. Bekassine) suchen<br />
dagegen bevorzugt langgrasigere Bereiche auf, in denen sie sich<br />
verbergen können.