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Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer

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Naturraum <strong>Wattenmeer</strong><br />

10<br />

Der „Lebensraum auf den zweiten Blick“ ist der Inbegriff des <strong>Wattenmeer</strong>es schlechthin. Dem geübten Blick des Wattwanderers<br />

erschließt sich in der scheinbar endlosen wüstenhaften Weite des freigelegten Meeresbodens ein dicht besiedelter<br />

Raum mit einer formen- und artenreichen Lebensgemeinschaft.<br />

Die freien Wattflächen<br />

Als freie Wattflächen werden die im Rhythmus der Tide trockenfallenden<br />

flachen Sandrücken bezeichnet, die von Rinnensystemen,<br />

den Prielen, Gats und Baljen, durchzogen sind. Dieser<br />

Lebensraum -gemeinhin als Watt bezeichnet - ist jener Bereich,<br />

der bei Hochwasser regelmäßig überflutet wird und bei Niedrigwasser<br />

trockenfällt.<br />

Wie und wann entstand das Watt?<br />

Die Entstehung des Watts nahm ihren Anfang nach dem Ende der<br />

letzten Eiszeit, als sich die Nordsee wieder nach Süden hin ausbreitete,<br />

etwa 5.500 Jahre vor unserer Zeitrechnung (siehe Seite<br />

22). Doch nicht nur nacheiszeitliche Ablagerungen, sondern auch<br />

die heutigen Strömungen und Winde sind am Aufbau und Abbau<br />

der Wattflächen maßgeblich beteiligt. Besonders drastisch verändern<br />

sich die Watten und Prielverläufe durch Sturmereignisse,<br />

aber selbst die den Boden mit ihrer Kriechspur einschleimenden<br />

Wattschnecken vermögen die Oberfläche und Beschaffenheit des<br />

Wattbodens nachhaltig zu verändern.<br />

Die Struktur der Wattflächen<br />

Watt ist nicht gleich Watt. Durch die gezeitenbedingte Dynamik<br />

in Verbindung mit den unterschiedlichen Strömungs- und<br />

Sinkgeschwindigkeiten der Sedimente entstehen drei verschiedene<br />

Watt-Typen. Die feinkörnigen Sedimente der Watten werden<br />

entsprechend ihrer Beschaffenheit unterschiedlich gut vom<br />

Wasser transportiert: In strömungsberuhigten Gebieten, das sind<br />

vor allem die hochliegenden, festlands- und inselnahen Bereiche,<br />

lagern sich feine Sedimente ab. Dies führt zur Bildung von<br />

Schlickwatt. Die feinen Sedimente bestehen zu über 50% aus Ton<br />

und Silt, ihr organischer Anteil macht bis zu 20% aus. Das<br />

Schlickwatt ist für den Wattwanderer an seinen plastischen<br />

Eigenschaften, die bei jedem Schritt zum Einsinken führen, deutlich<br />

erkennbar.<br />

In strömungsreicheren Gebieten bildet sich das Sandwatt mit<br />

deutlich gröberen Sedimentanteilen aus. Typisch für das Sandwatt<br />

sind die von der Wasserströmung erzeugten waschbrettähnlichen<br />

Rippelmarken auf der Bodenoberfläche. Sandwatt-Sedimente<br />

<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />

bestehen überwiegend aus Feinsanden und besitzen einen Tonund<br />

Silt-Anteil von lediglich 10%.<br />

Das Mischwatt schließlich stellt eine Übergangsform zwischen<br />

den beiden oben genannten Watt-Typen dar.<br />

Leben im Watt<br />

Die drei Watt-Typen Sand-, Misch- und Schlickwatt unterscheiden<br />

sich nicht nur in ihrer Korngröße sondern auch in ihrem<br />

Wasser- und Sauerstoffgehalt. Diese Parameter beeinflussen<br />

ebenso wie die im Rhythmus der Tide schwankenden Faktoren<br />

Porenwasser, Gehalt an organischer Substanz, Temperatur,<br />

Wasserströmung, Wasserbedeckung, Lichtintensität und Salzgehalt<br />

den Lebensraum und damit die Besiedlung des Wattbodens<br />

durch Organismen. Diese zweimal täglich stattfindende grundlegende<br />

Veränderung des Lebensraums stellt außergewöhnliche<br />

Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit seiner Bewohner. Von<br />

den rund 95.000 Organismenarten in Mitteleuropa können nur<br />

etwa 2.500 Arten unter den besonderen Bedingungen des<br />

<strong>Wattenmeer</strong>es dauerhaft überleben.<br />

Die Lebensräume in und auf dem Wattboden sind überwiegend<br />

von Organismen besiedelt, die ihre Aktivitäten weitgehend auf<br />

den Grenzbereich zwischen Wasser und der obersten Bodenschicht<br />

beschränken (Benthos). Sie sind deshalb auch in besonderem<br />

Maße den Wechselwirkungen zwischen Sediment und<br />

Wasser ausgesetzt.<br />

Neben den frei umherwandernden Schnecken, Krebstieren und<br />

Würmern haben sich andere Wattbewohner an eine standorttreue<br />

Lebensweise angepasst. Diese Tiere bewohnen selbst gegrabene<br />

und zum Teil auch ausgekleidete Wohnröhrensysteme. Mit feinen,<br />

langen Armen und Tentakeln suchen sie bei hohen Wasserständen<br />

den Wattboden nach organischen Teilchen oder mikroskopisch<br />

kleinen Kieselalgen ab. Eine dritte Gruppe von Wattbewohnern<br />

hat sich darauf spezialisiert, die Nahrung aus dem<br />

Wasser herauszufiltrieren. So bilden die meisten im Boden eingegrabenen<br />

Muschelarten jeweils eine schlauchförmig verlängerte<br />

Ein- und Ausstromöffnung aus, mit deren Hilfe sie das Wasser<br />

heranstrudeln. Im Schaleninneren halten die fein gefiederten<br />

Kiemen selbst feinste Nahrungspartikel zurück und fächeln sie<br />

zum Mund.<br />

„Felsen“ im <strong>Wattenmeer</strong><br />

Ein besonderer Lebensraum des <strong>Wattenmeer</strong>es bilden die Bänke<br />

der Miesmuscheln. Diese schaffen es, sich mit Hilfe von festen<br />

Eiweißfäden in mehreren Etagen und nur einer kleinen festen<br />

Unterlage (z.B. eine Muschelschale oder ein angeschwemmter<br />

Holzbalken) fest auf dem Boden anzusiedeln. Das quasi „Felsenbiotop“<br />

im Watt lockt zahlreiche ansonsten im <strong>Wattenmeer</strong> seltene<br />

Lebensformen an. Alte Muschelbänke beherbergen Schwämme,<br />

Polypenkolonien, Blumentiere, Moostierchen, Seescheiden,<br />

Seepocken und verschiedene Tange. Eine ähnliche Besiedlung<br />

bildet sich auch an den Buhnen, Molenwänden und anderen festen<br />

Hochwasserschutzanlagen und sogar an den Schiffsrümpfen,<br />

wenn diese nicht ständig vom Bewuchs frei gehalten werden.<br />

Leben vom Watt<br />

Nicht nur im und auf dem Boden, sondern auch über dem Watt<br />

findet Leben statt. Für die Watvögel ist der Wattboden mit einer<br />

Produktion von 300 Gramm Biomasse/m 2 ein „reich gedeckter<br />

Tisch“. Um einer möglichen Nahrungskonkurrenz mit anderen<br />

Arten zu begegnen und zugleich das vorhandene Nahrungsangebot<br />

möglichst vollständig nutzen zu können, haben sich bei den<br />

Watvögeln beispielsweise spezielle Schnabelformen herausgebildet,<br />

die es ihnen erleichtern, ihre artspezifische Nahrung in diesem<br />

außergewöhnlichen Substrat ausfindig zu machen und zu<br />

ergreifen. So stochern die Pfuhlschnepfen gezielt in Wurmröhren<br />

und Muschelgängen, während die Brandenten vorwärts gehend<br />

ihren leicht geöffneten Schnabel flach in den Boden führen, um<br />

ihre Beute zu ertasten. Der Säbelschnäbler schwenkt seinen<br />

abwärts gebogenen, langen Schnabel durch die oberste Bodenschicht<br />

und durchkämmt sie nach Wattschnecken und Schlickkrebsen.<br />

Der Große Brachvogel kann mit seinem besonders langen,<br />

nach unten gebogenen Schnabel selbst die tief im Boden eingegrabenen<br />

Pfeffermuscheln und Seeringelwürmer erreichen. Der<br />

besonders kräftige Schnabel des Austernfischer ermöglicht es<br />

ihm, Herz- und Miesmuschelschalen aufzubrechen, während der<br />

Rotschenkel in der Lage ist, mit seinem relativ langen Schnabel<br />

auch Plattmuscheln zu erbeuten und Seeringelwürmer aus ihren<br />

Gängen im Wattboden zu ziehen. Der kurzschnäblige Sandregenpfeifer<br />

erbeutet Wattschnecken und pickt Krebse und Kleinschnecken<br />

von der Wattoberfläche ab.

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