Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer
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Insel Neuwerk/Binnengroden<br />
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Nicht nur die unberührte Natur, sondern auch die vom Menschen geschaffenen Kulturlandschaften können wertvolle Lebensräume<br />
für eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt darstellen. Erst in diesen Kulturlandschaften konnten einige Arten geeignete<br />
Lebensbedingungen finden und sich hier dauerhaft ansiedeln. Auch im Binnengroden hat die kleinräumig strukturierte,<br />
von der Landwirtschaft geprägte, Landschaft zu einer reichhaltigen Artenvielfalt in der wirbellosen Tierwelt geführt.<br />
Die wirbellose Tierwelt im Binnengroden<br />
Der Binnengroden von Neuwerk wird überwiegend landwirtschaftlich<br />
genutzt und bietet weithin das Bild einer traditionellen<br />
intakten Kulturlandschaft. Die Nutzungsintensität der binnendeichs<br />
gelegenen Flächen Neuwerks ist im Vergleich zu den landwirtschaftlichen<br />
Flächen auf dem benachbarten Festland vergleichsweise<br />
gering. Ackerbau auf kleinen Schlägen, zweischürig<br />
genutzte Wiesen und relativ dünn besetzte Weiden (ca. 2<br />
Tiere/ha) ohne intensive mineralische Düngung kennzeichnen die<br />
in Teilbereichen extensive Landwirtschaft. Kleine Gehölze,<br />
Gräben und Stillgewässer, blütenreiche Hausgärten und<br />
Wegränder sowie Gartenteiche stellen einen vielfältigen und<br />
abwechslungsreichen Lebensraum für wirbellose Tiere - und hier<br />
insbesondere für die Insekten - dar. Obwohl diese Biotope im<br />
Grunde ausreichende Lebensbedingungen für eine artenreiche<br />
wirbellose Tierwelt bereitstellen, ist das Artenspektrum der<br />
Wirbellosen vergleichsweise gering. Die Insellage Neuwerks<br />
erschwert oder verhindert sogar die Einwanderung von vielen<br />
Tierarten. Größere Arten wie z.B. einige Großlibellen und<br />
Wanderfalter sind in der Lage, im Zuge ihrer Ausbreitungsflüge<br />
die Insel durch aktiven Flug zu erreichen, während die kleineren<br />
Arten mit dem Süd-West-Wind auf die Insel verdriftet, vom Meer<br />
angespült oder im Vogelgefieder transportiert werden können.<br />
Auch die Schiffsverbindung von Cuxhaven nach Neuwerk wird<br />
von manchen Insekten als Passage genutzt, ebenso kann ein<br />
Transport mit den Wattwagen oder Versorgungstraktoren für kleine<br />
und heimliche Arten vermutet werden.<br />
Libellen<br />
Libellen gehören zu den auffälligen und sehr ausbreitungsfreudigen<br />
Insekten. Daher verwundert es, wenn im Gegensatz zu der für<br />
Libellen nicht besiedelbaren Insel Scharhörn, nur sehr vereinzelte<br />
Beobachtungen von Libellen auf Neuwerk vor der Einrichtung<br />
des <strong>Nationalpark</strong>s bekannt waren. Eine systematische Libellenerfassung<br />
an den Binnengewässern Neuwerks im Jahr 1995 zeigte<br />
jedoch, dass ein Arteninventar von sechs Großlibellen- und drei<br />
Kleinlibellenarten dort lebt. Alle beobachteten Arten traten nur in<br />
geringer Häufigkeit auf. Eine Ausnahme bildete die Große Pech-<br />
<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />
libelle, die in großer Anzahl an allen untersuchten Gewässern<br />
nachgewiesen wurde. Zwei der angetroffenen Arten gelten im<br />
Bundesgebiet als "gefährdete" bzw. "stark gefährdete" Art: die<br />
Gefleckte Heidelibelle, die in vegetationsreichen Kleingewässern<br />
ihren Hauptlebensraum hat und der Spitzenfleck, der im Norden<br />
Deutschlands nur sehr lokal und weit versprengt an Gewässern<br />
mit Röhrichten vorkommt.<br />
Die letzten Überspülungen des Deiches und Versalzungen des<br />
Bodens und der Gewässer liegen weniger als 25 Jahre zurück.<br />
Daher scheint es plausibel, dass die auf Neuwerk vorkommenden<br />
Arten brackwassertolerant sein mußten. So erträgt die Larve der<br />
Großen Pechlibelle einen Salzgehalt von 5 bis 11 ‰ und auch die<br />
Gemeine Binsenjungfer toleriert immerhin noch eine Salinität<br />
von 2 ‰. Von der Großen Königslibelle ist bekannt, dass sie auch<br />
an Meeresstränden vorkommt und die Gemeine Heidelibelle erträgt<br />
bis zu 9,4 ‰. Allerdings zeigte sich entgegen den Erwartungen,<br />
dass im Binnengroden im Erfassungsjahr keine brackigen<br />
Wasserverhältnisse mehr vorlagen (maximal 0,8 ‰ Salzgehalt).<br />
Die Große Pechlibelle und die Hufeisen-Azurjungfer konnten<br />
1995 als bodenständig auf Neuwerk nachgewiesen werden, da<br />
sowohl Paarungen beobachtet als auch Larven dieser Arten<br />
gefunden werden konnten. Auch die Vierflecklibelle und die<br />
Gemeine Heidelibelle wurden bei der Fortpflanzung beobachtet<br />
und könnten somit bodenständig sein.<br />
Heuschrecken<br />
Zu den charakteristischen Artengruppen einer Kulturlandschaft<br />
zählen die Heuschrecken. Viele dieser Arten benötigen als Lebensraum<br />
die von der Landwirtschaft geschaffenen Wiesen,<br />
Weiden und Brachen, andere siedeln gern in Gehölzen, auch um<br />
Häuser und Gehöfte. Einige Arten, wie das Heimchen , haben ihre<br />
Lebensstätte sogar in den Wohnungen und Ställen gefunden.<br />
Eine umfassende Erfassung der Heuschreckenfauna Neuwerks<br />
fand im Jahr 1995 statt. Von den insgesamt 7 auf Neuwerk nachgewiesenen<br />
Arten (siehe Seite 59) war die häufigste Art der<br />
Weißrandige Grashüpfer. Er ist sehr zahlreich und in nahezu allen<br />
Lebensräumen des Neuwerker Binnengrodens zu finden. Der<br />
Braune Grashüpfer dagegen kommt nur sehr vereinzelt vor und<br />
ist fast ausschließlich auf die gering bewachsene und stark<br />
besonnte Deichbefestigung beschränkt.<br />
Die Kurzflügligle Beißschrecke und die Kurzflüglige Schwertschrecke<br />
bleiben in ihrem Vorkommen auf die Begleitflora der<br />
binnendeichs gelegenen Gräben beschränkt. Beide Arten werden<br />
inzwischen als "gefährdet" eingestuft: die Schwertschrecke in der<br />
Roten Liste der Bundesrepublik und die Beißschrecke in der des<br />
deutschen <strong>Wattenmeer</strong>raumes. Der in den letzten Jahren allgemein<br />
verzeichnete starke Bestandsrückgang dieser Arten beruht<br />
auf einem flächendeckenden Lebensraumverlust. Die für sie unverzichtbaren<br />
Feuchtwiesen und vegetationsreichen Gräben fallen<br />
einer immer intensiver betriebenen Landwirtschaft zum Opfer.<br />
Das Große Grüne Heupferd und die Eichenschrecke sind typische<br />
Bewohner der Gebüsche bzw. der Gehölze. Sie haben ihre Hauptvorkommen<br />
auf der gehölzreichen Turmwurt.<br />
Der Gesang des Heimchens konnte mehrere Jahre hindurch regelmäßig<br />
auf einem großen Komposthügel an der Kläranlage vernommen<br />
werden.<br />
Vier der auf Neuwerk vorkommenden Arten sind langflüglig, drei<br />
Arten jedoch kurzflüglig. Dies überrascht deshalb, weil die kurzflügligen<br />
Arten nur über ein eingeschränktes Flugvermögen verfügen<br />
und auf einer Insel wegen der zu überwindenden großen<br />
Entfernung zum Festland hauptsächlich sehr mobile Tiere zu<br />
erwarten sind.<br />
Schmetterlinge<br />
Den weitaus größten Anteil an tagaktiven Großschmetterlingen<br />
stellt die Gruppe der Wanderfalter, zu denen der Distelfalter und<br />
der Admiral zählen. Diese vermögen aufgrund ihrer sehr guten<br />
und ausdauernden Flugfähigkeit die Insel bei ruhigeren Wetterlagen<br />
aktiv anzufliegen. Andere Arten werden durch den Wind<br />
verdriftet oder wurden bei einer "Schiffspassage” nach Neuwerk<br />
beobachtet. Diese "Passagiere” wie z.B. Zitronenfalter und<br />
Kleiner Kohlweißling werden vermutlich durch Abfallbehälter<br />
und Kioske auf dem Schiff angelockt.<br />
Unter den Falterarten auf Neuwerk gibt es nur sehr wenige Arten,<br />
die an bestimmte Lebensräume oder ein sehr eng begrenztes<br />
Spektrum von Futterpflanzen gebunden sind. Die überwiegende<br />
Zahl ist statt dessen wenig spezialisiert und kann daher viele<br />
unterschiedliche Lebensräume und Pflanzen für ihre Ernährung<br />
nutzen. Besonders nektarreiche Blütenpflanzen und Raupenfutterpflanzen<br />
finden die Falter an den blütenreichen Wegrändern,<br />
in den kleineren Ruderalflächen und in manchen Hausgärten.<br />
In diesen Bereichen lassen sich die Falter deshalb auch<br />
besonders häufig beobachten.