Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer
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Insel Nigehörn<br />
98<br />
Die Sorge um den möglichen Untergang der Insel Scharhörn als wertvoller Brut- und Rastplatz für Seevögel führte zu<br />
einer Naturschutzmaßnahme in bisher nicht gekanntem Ausmaß im deutschen <strong>Wattenmeer</strong>. Ob die Aufspülung der neuen<br />
Insel Nigehörn, nicht nur aus Gründen des Vogelschutzes, sinnvoll sein kann, sondern darüber hinaus auch wertvolle, naturnahe<br />
Küsten-Lebensräume entstehen lässt, wird die weitere Entwicklung von Nigehörn zeigen.<br />
Lebensräume und Vegetation im Wandel<br />
der Entwicklung<br />
Nach Beendigung der Baumaßnahmen erschien die Insel<br />
Nigehörn aufgrund der umfangreichen Bepflanzung und Ansaat<br />
zunächst unnatürlich. Natürliche Entwicklungsprozesse kamen<br />
nur langsam in Gang, wurden jedoch in den folgenden Jahren<br />
durch Sedimentation, Erosion, Eutrophierung und Nährstoffauswaschung<br />
gefördert.<br />
Auch nach mehr als einem Jahrzehnt erscheint die Insel noch in<br />
ihrer künstlichen, runden Ausgangsform. Nach Südosten erstreckt<br />
sich jedoch bereits ein etwa 3 ha großer Anwachsstreifen, der<br />
Steert, nördlich davon ragt ein weiterer, etwa 100 Meter langer<br />
und offensichtlich älterer Haken auf die Sandbank hinaus.<br />
Eine typische Erscheinung an Küsten ist die Ablagerung von<br />
Spülsäumen. Aufgrund der extremen Strömungsdynamik und des<br />
hohen Tidenhubs sind Spülsäume auf der Scharhörnplate jedoch<br />
nur kurzlebig und treten nicht in jedem Jahr auf. Sie werden in der<br />
Regel im Folgewinter wieder fortgeschwemmt. Durch den zeitlichen<br />
Ablauf der Sicherungsmaßnahmen auf Nigehörn sind<br />
jedoch einzelne Spülsäume und deren Vegetation im Osten und<br />
Südosten der Insel von Dünen eingeschlossen worden. Auf diesen<br />
Treibselansammlungen haben sich Salzwiesen entwickelt, die<br />
durch die sie umschließenden Dünen vor dem Angriff der Hochwässer<br />
geschützt wurden. So entstand hier ein Mosaik aus<br />
Dünenpflanzen, Salzwiesenarten und nährstoffliebenden Spülsaumbesiedlern.<br />
Durch küstenparallele Strömungen und schräg zum Strand<br />
wehende Winde können Sedimentumlagerungen zur Bildung<br />
schmaler, zumeist hakenförmiger Halbinseln aus Sand führen<br />
(Nehrungen). Der kleinere nördliche Ausläufer Nigehörns dürfte<br />
ein solcher durch die Wasserströmung geformter Haken sein. Auf<br />
der Binnenseite des Sandhakens konnte sich feines Sediment<br />
ablagern. Auf diesem hat sich in einem schmalen Bereich eine<br />
Salzwiese mit Andel, Strand-Wegerich und Strand-Aster etabliert.<br />
Hinzu treten einige Dünenarten, die aus der direkten Umgebung<br />
einwandern. Vor dieser Salzwiese hat sich ein charakteristisches<br />
Sandqueller-Watt gebildet. Der Haken selbst wird von Primär-<br />
<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />
dünen mit der Binsen-Quecke als dominierender Pflanzenart aufgebaut,<br />
im Inneren des Hakens setzt bereits eine Weiterentwicklung<br />
zu kleinen Weißdünen ein.<br />
Der Steert dagegen wird kaum von dünenbildenden Pflanzen<br />
besiedelt. Hier formen Sandwatt-Queller und Strand-Soden<br />
lockere Pflanzengesellschaften, die nur geringe Überflutung und<br />
Übersandung ertragen. Es ist jedoch ungewiss, ob diese Pflanzengesellschaften<br />
in eine Dünenvegetation übergehen werden.<br />
Während sich die künstlich geformten Dünen im Osten gefestigt<br />
haben, sind, aufgrund der Exposition gegen Hochwasser und der<br />
vorherrschenden Westwinddrift, auf der westlichen Seite Erosionsprozesse<br />
vorherrschend. Der äußere Dünenring ist in teilweise<br />
isolierte Einzeldünen aufgespalten worden. Durch wiederholte<br />
Umlagerungen entstanden allerdings sehr natürlich geformte<br />
Gebilde, die ihre künstliche Entstehung durch den Radlader<br />
kaum mehr verraten.<br />
Bereits im Winter 1992/1993 wurde im Südwesten der<br />
Dünengürtel zerschlagen, Wasser konnte in die Insel eindringen<br />
und eine tiefe Senke auskolken. Das einströmende Wasser hatte<br />
für eine kurzzeitige Überstauung und nachfolgend für eine schüttere<br />
Salzrasenvegetation in der entstandenen Mulde gesorgt.<br />
Im mittleren und östlichen Teil des Inselkerns sind weitere<br />
Senken entstanden. Nach Abschluß der Spülarbeiten im August<br />
1989 sammelte sich an diesen Stellen das Wasser und stand dort<br />
bis zum Frühjahr. Nach Abtrocknung führte Windausblasung zur<br />
Bildung von Wannen. In den Folgejahren konnten dort Fragmente<br />
verschiedener wasserabhängiger Pflanzengesellschaften gefunden<br />
werden, von denen jetzt nur noch an den tiefsten Stellen einzelne<br />
Exemplare des Schilfs und der Einspelzigen Sumpfsimse<br />
geblieben sind.<br />
Das Innere der Insel erscheint auf den ersten Blick sehr gleichförmig.<br />
Hier sind die Sandfangzäune noch weitgehend intakt und<br />
die großflächig mit Grasmischungen eingesäten Flächen werden<br />
von einer Vegetation bestimmt, die wenig typisch für diesen<br />
Lebensraum ist. Moose und vereinzelt Flechten haben sich aus-<br />
gebreitet und bilden relativ dichte Teppiche, in die nur wenige<br />
Blütenpflanzen, wie z.B. Gewöhnliches Ferkelkraut, Scharfer<br />
Mauerpfeffer oder Kleiner Sauermpfer eingestreut sind. Andererseits<br />
entsprechen die Flächen in ihrer Funktion hochliegenden,<br />
nährstoffarmen und hochwasserfreien Graudünen. In kleinräumigem<br />
Maßstab ist auch im Inneren der Insel bereits ein Vegetationswandel<br />
bemerkbar. Insbesondere die Randbereiche der<br />
Senken und freie Sandflächen werden von Magerrasen besiedelt,<br />
in die Arten natürlicher Graudünen wie Sand-Schillergras,<br />
Silbergras und Dünen-Veilchen einwandern. Bereichsweise bildet<br />
das Kleine Filzkraut dichte Rasen. Das Schillergras ist eine<br />
Besonderheit: es kommt in Deutschland nur auf den Dünen der<br />
friesischen Inselkette vor.<br />
Im nordwestlichen Teil des Inselkerns im Bereich der Vogelkolonien<br />
werden die Magerrasen weitgehend durch höherwüchsige<br />
Pflanzenbestände ersetzt. Kanadisches Berufkraut und Hochstauden<br />
wie Schmalblättriges Weidenröschen, Acker-Kratzdistel,<br />
Gewöhnlicher Beifuß und Rainfarn weisen auf gute Stickstoffversorgung<br />
der Standorte (durch Vogelkot) hin.<br />
Weitere Entwicklung<br />
Die weitere Entwicklung der Insel ist nicht zweifelsfrei vorherzusagen.<br />
Inzwischen sind viele Ansätze für natürliche Vegetationsformen<br />
zu erkennen, und großen Teilen der Insel ist ihre künstliche<br />
Entstehung nicht mehr anzusehen. Insbesondere die der<br />
Erosion und Sedimentation am stärksten ausgesetzten Strukturen<br />
wurden durch die gestalterischen Naturkräfte bereits verändert<br />
und werden einen weiteren Wandel erfahren. Aufgrund ihrer bisherigen<br />
Stabilität auch gegen schwere Sturmfluten wird die Insel<br />
bestimmt dauerhaft bestehen bleiben, allerdings nicht in der derzeitigen<br />
Gestalt und Form. Dies war auch nicht beabsichtigt.<br />
Als ausschlaggebend für die weitere Entwicklung werden sich die<br />
Witterungsverhältnisse und die hydrologischen Bedingungen<br />
erweisen. Stärke, Häufigkeit und Richtung der Winde sowie der<br />
Grad der Durchfeuchtung der Plate, der wiederum von der<br />
Niederschlagsverteilung sowie vom Wasserstand abhängig ist,<br />
sind die Basisfaktoren der ablaufenden Prozesse. Intensität und<br />
Frequenz der Hochwässer, in Verbindung mit dem potentiellen<br />
Anstieg des Meeresspiegels, werden weitere Randbedingungen<br />
stellen. Die Vegetation wird sich diesen Entwicklungen anpassen.<br />
Sie kann als Anzeiger dienen für die Dynamik in diesen<br />
Bereichen des <strong>Nationalpark</strong>s.