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Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer

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Insel Nigehörn<br />

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Die Sorge um den möglichen Untergang der Insel Scharhörn als wertvoller Brut- und Rastplatz für Seevögel führte zu<br />

einer Naturschutzmaßnahme in bisher nicht gekanntem Ausmaß im deutschen <strong>Wattenmeer</strong>. Ob die Aufspülung der neuen<br />

Insel Nigehörn, nicht nur aus Gründen des Vogelschutzes, sinnvoll sein kann, sondern darüber hinaus auch wertvolle, naturnahe<br />

Küsten-Lebensräume entstehen lässt, wird die weitere Entwicklung von Nigehörn zeigen.<br />

Lebensräume und Vegetation im Wandel<br />

der Entwicklung<br />

Nach Beendigung der Baumaßnahmen erschien die Insel<br />

Nigehörn aufgrund der umfangreichen Bepflanzung und Ansaat<br />

zunächst unnatürlich. Natürliche Entwicklungsprozesse kamen<br />

nur langsam in Gang, wurden jedoch in den folgenden Jahren<br />

durch Sedimentation, Erosion, Eutrophierung und Nährstoffauswaschung<br />

gefördert.<br />

Auch nach mehr als einem Jahrzehnt erscheint die Insel noch in<br />

ihrer künstlichen, runden Ausgangsform. Nach Südosten erstreckt<br />

sich jedoch bereits ein etwa 3 ha großer Anwachsstreifen, der<br />

Steert, nördlich davon ragt ein weiterer, etwa 100 Meter langer<br />

und offensichtlich älterer Haken auf die Sandbank hinaus.<br />

Eine typische Erscheinung an Küsten ist die Ablagerung von<br />

Spülsäumen. Aufgrund der extremen Strömungsdynamik und des<br />

hohen Tidenhubs sind Spülsäume auf der Scharhörnplate jedoch<br />

nur kurzlebig und treten nicht in jedem Jahr auf. Sie werden in der<br />

Regel im Folgewinter wieder fortgeschwemmt. Durch den zeitlichen<br />

Ablauf der Sicherungsmaßnahmen auf Nigehörn sind<br />

jedoch einzelne Spülsäume und deren Vegetation im Osten und<br />

Südosten der Insel von Dünen eingeschlossen worden. Auf diesen<br />

Treibselansammlungen haben sich Salzwiesen entwickelt, die<br />

durch die sie umschließenden Dünen vor dem Angriff der Hochwässer<br />

geschützt wurden. So entstand hier ein Mosaik aus<br />

Dünenpflanzen, Salzwiesenarten und nährstoffliebenden Spülsaumbesiedlern.<br />

Durch küstenparallele Strömungen und schräg zum Strand<br />

wehende Winde können Sedimentumlagerungen zur Bildung<br />

schmaler, zumeist hakenförmiger Halbinseln aus Sand führen<br />

(Nehrungen). Der kleinere nördliche Ausläufer Nigehörns dürfte<br />

ein solcher durch die Wasserströmung geformter Haken sein. Auf<br />

der Binnenseite des Sandhakens konnte sich feines Sediment<br />

ablagern. Auf diesem hat sich in einem schmalen Bereich eine<br />

Salzwiese mit Andel, Strand-Wegerich und Strand-Aster etabliert.<br />

Hinzu treten einige Dünenarten, die aus der direkten Umgebung<br />

einwandern. Vor dieser Salzwiese hat sich ein charakteristisches<br />

Sandqueller-Watt gebildet. Der Haken selbst wird von Primär-<br />

<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />

dünen mit der Binsen-Quecke als dominierender Pflanzenart aufgebaut,<br />

im Inneren des Hakens setzt bereits eine Weiterentwicklung<br />

zu kleinen Weißdünen ein.<br />

Der Steert dagegen wird kaum von dünenbildenden Pflanzen<br />

besiedelt. Hier formen Sandwatt-Queller und Strand-Soden<br />

lockere Pflanzengesellschaften, die nur geringe Überflutung und<br />

Übersandung ertragen. Es ist jedoch ungewiss, ob diese Pflanzengesellschaften<br />

in eine Dünenvegetation übergehen werden.<br />

Während sich die künstlich geformten Dünen im Osten gefestigt<br />

haben, sind, aufgrund der Exposition gegen Hochwasser und der<br />

vorherrschenden Westwinddrift, auf der westlichen Seite Erosionsprozesse<br />

vorherrschend. Der äußere Dünenring ist in teilweise<br />

isolierte Einzeldünen aufgespalten worden. Durch wiederholte<br />

Umlagerungen entstanden allerdings sehr natürlich geformte<br />

Gebilde, die ihre künstliche Entstehung durch den Radlader<br />

kaum mehr verraten.<br />

Bereits im Winter 1992/1993 wurde im Südwesten der<br />

Dünengürtel zerschlagen, Wasser konnte in die Insel eindringen<br />

und eine tiefe Senke auskolken. Das einströmende Wasser hatte<br />

für eine kurzzeitige Überstauung und nachfolgend für eine schüttere<br />

Salzrasenvegetation in der entstandenen Mulde gesorgt.<br />

Im mittleren und östlichen Teil des Inselkerns sind weitere<br />

Senken entstanden. Nach Abschluß der Spülarbeiten im August<br />

1989 sammelte sich an diesen Stellen das Wasser und stand dort<br />

bis zum Frühjahr. Nach Abtrocknung führte Windausblasung zur<br />

Bildung von Wannen. In den Folgejahren konnten dort Fragmente<br />

verschiedener wasserabhängiger Pflanzengesellschaften gefunden<br />

werden, von denen jetzt nur noch an den tiefsten Stellen einzelne<br />

Exemplare des Schilfs und der Einspelzigen Sumpfsimse<br />

geblieben sind.<br />

Das Innere der Insel erscheint auf den ersten Blick sehr gleichförmig.<br />

Hier sind die Sandfangzäune noch weitgehend intakt und<br />

die großflächig mit Grasmischungen eingesäten Flächen werden<br />

von einer Vegetation bestimmt, die wenig typisch für diesen<br />

Lebensraum ist. Moose und vereinzelt Flechten haben sich aus-<br />

gebreitet und bilden relativ dichte Teppiche, in die nur wenige<br />

Blütenpflanzen, wie z.B. Gewöhnliches Ferkelkraut, Scharfer<br />

Mauerpfeffer oder Kleiner Sauermpfer eingestreut sind. Andererseits<br />

entsprechen die Flächen in ihrer Funktion hochliegenden,<br />

nährstoffarmen und hochwasserfreien Graudünen. In kleinräumigem<br />

Maßstab ist auch im Inneren der Insel bereits ein Vegetationswandel<br />

bemerkbar. Insbesondere die Randbereiche der<br />

Senken und freie Sandflächen werden von Magerrasen besiedelt,<br />

in die Arten natürlicher Graudünen wie Sand-Schillergras,<br />

Silbergras und Dünen-Veilchen einwandern. Bereichsweise bildet<br />

das Kleine Filzkraut dichte Rasen. Das Schillergras ist eine<br />

Besonderheit: es kommt in Deutschland nur auf den Dünen der<br />

friesischen Inselkette vor.<br />

Im nordwestlichen Teil des Inselkerns im Bereich der Vogelkolonien<br />

werden die Magerrasen weitgehend durch höherwüchsige<br />

Pflanzenbestände ersetzt. Kanadisches Berufkraut und Hochstauden<br />

wie Schmalblättriges Weidenröschen, Acker-Kratzdistel,<br />

Gewöhnlicher Beifuß und Rainfarn weisen auf gute Stickstoffversorgung<br />

der Standorte (durch Vogelkot) hin.<br />

Weitere Entwicklung<br />

Die weitere Entwicklung der Insel ist nicht zweifelsfrei vorherzusagen.<br />

Inzwischen sind viele Ansätze für natürliche Vegetationsformen<br />

zu erkennen, und großen Teilen der Insel ist ihre künstliche<br />

Entstehung nicht mehr anzusehen. Insbesondere die der<br />

Erosion und Sedimentation am stärksten ausgesetzten Strukturen<br />

wurden durch die gestalterischen Naturkräfte bereits verändert<br />

und werden einen weiteren Wandel erfahren. Aufgrund ihrer bisherigen<br />

Stabilität auch gegen schwere Sturmfluten wird die Insel<br />

bestimmt dauerhaft bestehen bleiben, allerdings nicht in der derzeitigen<br />

Gestalt und Form. Dies war auch nicht beabsichtigt.<br />

Als ausschlaggebend für die weitere Entwicklung werden sich die<br />

Witterungsverhältnisse und die hydrologischen Bedingungen<br />

erweisen. Stärke, Häufigkeit und Richtung der Winde sowie der<br />

Grad der Durchfeuchtung der Plate, der wiederum von der<br />

Niederschlagsverteilung sowie vom Wasserstand abhängig ist,<br />

sind die Basisfaktoren der ablaufenden Prozesse. Intensität und<br />

Frequenz der Hochwässer, in Verbindung mit dem potentiellen<br />

Anstieg des Meeresspiegels, werden weitere Randbedingungen<br />

stellen. Die Vegetation wird sich diesen Entwicklungen anpassen.<br />

Sie kann als Anzeiger dienen für die Dynamik in diesen<br />

Bereichen des <strong>Nationalpark</strong>s.

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