Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer
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Insel Neuwerk<br />
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Bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts, als sich Hamburgs zu einem bedeutenden Handelszentrum entwickelte und die<br />
Unterelbe als Verkehrsweg immer größere Bedeutung erlangte, errichtete die Hansestadt zwischen 1301 – 1310 zur Sicherung<br />
ihres Schifffahrtsweges in den Hafen auf einer fünf Meter hohen Wurt den Wehrturm von Neuwerk (näheres siehe<br />
Seite 40-41).Von dort begann auch die ständige Besiedlung der Insel.<br />
Die bauliche Entwicklung der Inselgemeinde<br />
Die historische Besiedlung<br />
Die im Turm eingesetzten Bewacher aus Hamburg (Ratsherren)<br />
waren die ersten ansässigen Bewohner der Insel. Zuvor diente die<br />
Insel den Festlandbewohnern ausschließlich als Fischumschlagplatz<br />
und Sommerweide. Die Überlieferungen der Ereignisse um<br />
den Turm herum, der die Begehrlichkeiten der Nachbarn vom<br />
Festland und die der Seeräuber immer wieder abwehren konnte,<br />
ist allerdings erheblich besser dokumentiert als das Leben auf der<br />
Insel und die Umstände, unter denen die Inselbewohner wirtschafteten.<br />
Sicherlich standen schon bald nach der Turmerrichtung<br />
weitere einzelne Stallgebäude in unmittelbarer Anbindung,<br />
um das Vieh zumindest zeitweilig vor Witterung und hohen<br />
Wasserständen zu schützen. Es ist anzunehmen, dass sie entsprechend<br />
den damaligen Gewohnheiten in Ständerbauweise errichtet,<br />
das Fachwerk mit Weidengeflecht verfüllt und anschließend<br />
mit Lehm verstrichen wurden. Eine Füllung mit Backstein dürfte<br />
zunächst die Ausnahme gewesen sein. Von dieser Tradition zeugt<br />
heute nur noch die Vogtscheune am Fuße des Turms. Ihr<br />
Ständerwerk ist heute noch im Inneren und auf der Ostseite deutlich<br />
zu erkennen.<br />
Eine weitläufigere Besiedlung konnte erst nach Abschluss der<br />
Inseleindeichung (1556 -1568) ermöglicht werden. Hierdurch<br />
wurde die Voraussetzung für eine dauerhafte Besiedlung auf der<br />
Insel auch außerhalb der Turmwurt und ohne die ständige Gefahr<br />
vor Sturmfluten geschaffen. Die Eindeichung machte auch eine<br />
bis dahin nicht praktizierte Ackerwirtschaft möglich. Hamburg<br />
vergab im Norden der Insel drei Erbpachthöfe (Westhof,<br />
Mittelhof, Osthof), die auf Wurten direkt hinter dem Deich errichtet<br />
wurden, und räumte darüber hinaus drei Jahre später auch zwei<br />
Fischerfamilien im Süden der Insel ein Erbpachtrecht ein. Die<br />
Struktur dieser ersten dauerhaften Besiedlung auf der Insel ist bis<br />
heute erhalten geblieben, über die damaligen Baulichkeiten wissen<br />
wir jedoch wenig Spezielles. Die neuen Bewohner, Bauern<br />
und Fischer, waren gleichzeitig verpflichtet den Lotsendienst zu<br />
tätigen, Schiffbrüchige zu bergen, Strandgut einzusammeln und<br />
beim Deichschutz anzupacken. Im ständigen Kampf mit den<br />
widrigen Wetterverhältnissen und Sturmfluten, die besonders<br />
<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />
nach dem großen Deichbruch im Jahr 1717 Behausungen, Vieh<br />
und Hof vernichteten, konnten auf Neuwerk keine prächtigen,<br />
dauerhaften Hofbauten und damit eigenständige Bauformen entstehen,<br />
zumal die Bewohner erst im 18. Jahrhundert ihre Pachthöfe<br />
auch als Eigentum erwerben konnten. Über Jahrhunderte<br />
musste die Bautätigkeit gegenüber dem Kampf gegen die Fluten<br />
(Erhaltung des Bestands, Deichschutz) und die weitere Sicherung<br />
für die Schifffahrt (Errichtung von Blüsen/ Baken, Leuchtfeuer)<br />
zurücktreten. Es kann daher nicht verwundern, dass aufgrund der<br />
harten Lebensbedingungen die Bevölkerungszahl selten mehr als<br />
50 Einwohner betrug.<br />
Seit Anfang dieses Jahrhunderts hat sich Neuwerk zum<br />
Erholungsort und Ausflugsziel für die Städter entwickelt. Neben<br />
der Errichtung der in rotem Backstein geklinkerten Leuchtturmwärterhäuser<br />
im Nordbereich der Turmwurt im Jahr 1904 (heute<br />
<strong>Nationalpark</strong>station und Inselladen) wurde 1905 das erste Hotel<br />
"Haus Meereswoge" als schlichter Einzelbau im Osten der Insel<br />
in Betrieb genommen (heute Schullandheim). Die touristische<br />
Entdeckung der Insel zog weitreichende Veränderungen für den<br />
Broterwerb der Einwohner nach sich, die auch zu Veränderungen<br />
der Baulichkeiten führte. Schrittweise trat die Landwirtschaft als<br />
Haupterwerb in den Hintergrund, die Höfe wurden im Dienste der<br />
Gastwirtschaft umgebaut und erweitert.<br />
Zum Baubestand sind in diesem Jahrhundert u.a. neu hinzugekommen<br />
das "neue" Schulgebäude (1911/12), das Haus "Rose"<br />
(1928), das Feuerwehrhaus (1981) sowie die Kläranlage auf der<br />
Nordspitze (1989/90); sie alle liegen in direkter Anbindung an den<br />
Deich im Norden. Nur wenig vom Deich zurückliegend wurde<br />
zuletzt 1998/99 der Pensionsbetrieb "Zum Anker" & "Nigehus"<br />
erweitert. An der Turmwurt baute der Landschaftsmaler Brodkorb<br />
nach Ende des 2. Weltkrieges ein kleines Holzhaus, welches nach<br />
einem Brand 1996 wieder neu errichtet wurde.<br />
Auch die über Jahrhunderte vom alten Wehrturm dominierte<br />
Silhouette hat sich verändert. 1988 wurde vor der Insel ein rund<br />
54 m hoher Radarturm gebaut, der wichtige Funktionen für die<br />
Verkehrssicherheit in der Elbmündung wahrnimmt. Das histori-<br />
sche Bild der Insel ist hierdurch jedoch nachhaltig gestört worden.<br />
In der Rückschau der Ereignisse lässt sich festhalten, dass bis<br />
heute die extremen Sachzwänge auf der Insel sich auch im bauliche<br />
Pragmatismus auf der Insel widerspiegeln. Diese Tradition<br />
begann mit der Errichtung des Turms selbst. Das Bauen auf<br />
Neuwerk ist durch die Schlichtheit in seiner Notwendigkeit und<br />
nicht durch einen hohen gestalterischen Anspruch geprägt. Auch<br />
die in den sechziger Jahren errichteten Verwaltungsbauten für den<br />
Deichschutz und die Planungsgruppe des Tiefwasserhafens auf<br />
bzw. dicht an der Turmwurt legen hiervon Zeugnis ab.<br />
Heutiges Bauen auf Neuwerk<br />
Die aktuelle Genehmigungspraxis wird durch das <strong>Nationalpark</strong>gesetz<br />
mit seinem allgemeinen Bauverbot sowie dem<br />
Baugesetzbuch mit seinen weit eingeschränkten Bauerlaubnissen<br />
im Außenbereich bestimmt.<br />
Es ist das gemeinsame Ziel der <strong>Nationalpark</strong>verwaltung und des<br />
Bezirksamtes,<br />
• die ökologischen Erfordernisse des Naturschutzes mit den<br />
ökonomischen Interessen der ansässigen Inselbevölkerung<br />
möglichst miteinander zu vereinbaren und hierzu insbesondere<br />
die vorhandene Struktur der vorhandenen Familienbetriebe<br />
zu erhalten und zu fördern,<br />
• den mehrtägigen, "sanften Tourismus" zu fördern, und dafür<br />
den Erhalt und die Weiterentwicklung von entsprechenden<br />
Einrichtungen zu unterstützen,<br />
• dem Tagestourismus in seinem jetzigen Umfang Rechnung<br />
zu tragen und seine notwendige Versorgung zu unterstützen.<br />
In diesem Sinne wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe<br />
von Baugenehmigungen erteilt und realisiert, allerdings auch einige<br />
Anfragen zurückgewiesen (z.B. Bau von Windkraftwerken,<br />
Wochenendhäuser, etc.).<br />
Bauliche Maßnahmen werden generell einer Einzelfallbetrachtung<br />
unterzogen und beurteilt, um so das Panorama und die ortstypische<br />
Gestaltung zu pflegen und zu halten.<br />
Hierbei wird insbesondere Wert gelegt auf:<br />
• die Erhaltung der Turmdominanz im Panorama,<br />
• der Verzicht auf die Bebauung bislang unbebauter Flurstücke,<br />
• die Vermeidung von Neubauten zugunsten von Anbauten,<br />
• begrenzte Baugeschossigkeit,<br />
• die Ausführung von Giebeldächern,<br />
• die Nutzung hergebrachter witterungsfester Materialien wie<br />
z.B. roter Backstein,<br />
• den Erhalt der Turmwurt entsprechend den Richtlinien der<br />
Denkmalpflege.