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Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer

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Insel Neuwerk<br />

38<br />

Bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts, als sich Hamburgs zu einem bedeutenden Handelszentrum entwickelte und die<br />

Unterelbe als Verkehrsweg immer größere Bedeutung erlangte, errichtete die Hansestadt zwischen 1301 – 1310 zur Sicherung<br />

ihres Schifffahrtsweges in den Hafen auf einer fünf Meter hohen Wurt den Wehrturm von Neuwerk (näheres siehe<br />

Seite 40-41).Von dort begann auch die ständige Besiedlung der Insel.<br />

Die bauliche Entwicklung der Inselgemeinde<br />

Die historische Besiedlung<br />

Die im Turm eingesetzten Bewacher aus Hamburg (Ratsherren)<br />

waren die ersten ansässigen Bewohner der Insel. Zuvor diente die<br />

Insel den Festlandbewohnern ausschließlich als Fischumschlagplatz<br />

und Sommerweide. Die Überlieferungen der Ereignisse um<br />

den Turm herum, der die Begehrlichkeiten der Nachbarn vom<br />

Festland und die der Seeräuber immer wieder abwehren konnte,<br />

ist allerdings erheblich besser dokumentiert als das Leben auf der<br />

Insel und die Umstände, unter denen die Inselbewohner wirtschafteten.<br />

Sicherlich standen schon bald nach der Turmerrichtung<br />

weitere einzelne Stallgebäude in unmittelbarer Anbindung,<br />

um das Vieh zumindest zeitweilig vor Witterung und hohen<br />

Wasserständen zu schützen. Es ist anzunehmen, dass sie entsprechend<br />

den damaligen Gewohnheiten in Ständerbauweise errichtet,<br />

das Fachwerk mit Weidengeflecht verfüllt und anschließend<br />

mit Lehm verstrichen wurden. Eine Füllung mit Backstein dürfte<br />

zunächst die Ausnahme gewesen sein. Von dieser Tradition zeugt<br />

heute nur noch die Vogtscheune am Fuße des Turms. Ihr<br />

Ständerwerk ist heute noch im Inneren und auf der Ostseite deutlich<br />

zu erkennen.<br />

Eine weitläufigere Besiedlung konnte erst nach Abschluss der<br />

Inseleindeichung (1556 -1568) ermöglicht werden. Hierdurch<br />

wurde die Voraussetzung für eine dauerhafte Besiedlung auf der<br />

Insel auch außerhalb der Turmwurt und ohne die ständige Gefahr<br />

vor Sturmfluten geschaffen. Die Eindeichung machte auch eine<br />

bis dahin nicht praktizierte Ackerwirtschaft möglich. Hamburg<br />

vergab im Norden der Insel drei Erbpachthöfe (Westhof,<br />

Mittelhof, Osthof), die auf Wurten direkt hinter dem Deich errichtet<br />

wurden, und räumte darüber hinaus drei Jahre später auch zwei<br />

Fischerfamilien im Süden der Insel ein Erbpachtrecht ein. Die<br />

Struktur dieser ersten dauerhaften Besiedlung auf der Insel ist bis<br />

heute erhalten geblieben, über die damaligen Baulichkeiten wissen<br />

wir jedoch wenig Spezielles. Die neuen Bewohner, Bauern<br />

und Fischer, waren gleichzeitig verpflichtet den Lotsendienst zu<br />

tätigen, Schiffbrüchige zu bergen, Strandgut einzusammeln und<br />

beim Deichschutz anzupacken. Im ständigen Kampf mit den<br />

widrigen Wetterverhältnissen und Sturmfluten, die besonders<br />

<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />

nach dem großen Deichbruch im Jahr 1717 Behausungen, Vieh<br />

und Hof vernichteten, konnten auf Neuwerk keine prächtigen,<br />

dauerhaften Hofbauten und damit eigenständige Bauformen entstehen,<br />

zumal die Bewohner erst im 18. Jahrhundert ihre Pachthöfe<br />

auch als Eigentum erwerben konnten. Über Jahrhunderte<br />

musste die Bautätigkeit gegenüber dem Kampf gegen die Fluten<br />

(Erhaltung des Bestands, Deichschutz) und die weitere Sicherung<br />

für die Schifffahrt (Errichtung von Blüsen/ Baken, Leuchtfeuer)<br />

zurücktreten. Es kann daher nicht verwundern, dass aufgrund der<br />

harten Lebensbedingungen die Bevölkerungszahl selten mehr als<br />

50 Einwohner betrug.<br />

Seit Anfang dieses Jahrhunderts hat sich Neuwerk zum<br />

Erholungsort und Ausflugsziel für die Städter entwickelt. Neben<br />

der Errichtung der in rotem Backstein geklinkerten Leuchtturmwärterhäuser<br />

im Nordbereich der Turmwurt im Jahr 1904 (heute<br />

<strong>Nationalpark</strong>station und Inselladen) wurde 1905 das erste Hotel<br />

"Haus Meereswoge" als schlichter Einzelbau im Osten der Insel<br />

in Betrieb genommen (heute Schullandheim). Die touristische<br />

Entdeckung der Insel zog weitreichende Veränderungen für den<br />

Broterwerb der Einwohner nach sich, die auch zu Veränderungen<br />

der Baulichkeiten führte. Schrittweise trat die Landwirtschaft als<br />

Haupterwerb in den Hintergrund, die Höfe wurden im Dienste der<br />

Gastwirtschaft umgebaut und erweitert.<br />

Zum Baubestand sind in diesem Jahrhundert u.a. neu hinzugekommen<br />

das "neue" Schulgebäude (1911/12), das Haus "Rose"<br />

(1928), das Feuerwehrhaus (1981) sowie die Kläranlage auf der<br />

Nordspitze (1989/90); sie alle liegen in direkter Anbindung an den<br />

Deich im Norden. Nur wenig vom Deich zurückliegend wurde<br />

zuletzt 1998/99 der Pensionsbetrieb "Zum Anker" & "Nigehus"<br />

erweitert. An der Turmwurt baute der Landschaftsmaler Brodkorb<br />

nach Ende des 2. Weltkrieges ein kleines Holzhaus, welches nach<br />

einem Brand 1996 wieder neu errichtet wurde.<br />

Auch die über Jahrhunderte vom alten Wehrturm dominierte<br />

Silhouette hat sich verändert. 1988 wurde vor der Insel ein rund<br />

54 m hoher Radarturm gebaut, der wichtige Funktionen für die<br />

Verkehrssicherheit in der Elbmündung wahrnimmt. Das histori-<br />

sche Bild der Insel ist hierdurch jedoch nachhaltig gestört worden.<br />

In der Rückschau der Ereignisse lässt sich festhalten, dass bis<br />

heute die extremen Sachzwänge auf der Insel sich auch im bauliche<br />

Pragmatismus auf der Insel widerspiegeln. Diese Tradition<br />

begann mit der Errichtung des Turms selbst. Das Bauen auf<br />

Neuwerk ist durch die Schlichtheit in seiner Notwendigkeit und<br />

nicht durch einen hohen gestalterischen Anspruch geprägt. Auch<br />

die in den sechziger Jahren errichteten Verwaltungsbauten für den<br />

Deichschutz und die Planungsgruppe des Tiefwasserhafens auf<br />

bzw. dicht an der Turmwurt legen hiervon Zeugnis ab.<br />

Heutiges Bauen auf Neuwerk<br />

Die aktuelle Genehmigungspraxis wird durch das <strong>Nationalpark</strong>gesetz<br />

mit seinem allgemeinen Bauverbot sowie dem<br />

Baugesetzbuch mit seinen weit eingeschränkten Bauerlaubnissen<br />

im Außenbereich bestimmt.<br />

Es ist das gemeinsame Ziel der <strong>Nationalpark</strong>verwaltung und des<br />

Bezirksamtes,<br />

• die ökologischen Erfordernisse des Naturschutzes mit den<br />

ökonomischen Interessen der ansässigen Inselbevölkerung<br />

möglichst miteinander zu vereinbaren und hierzu insbesondere<br />

die vorhandene Struktur der vorhandenen Familienbetriebe<br />

zu erhalten und zu fördern,<br />

• den mehrtägigen, "sanften Tourismus" zu fördern, und dafür<br />

den Erhalt und die Weiterentwicklung von entsprechenden<br />

Einrichtungen zu unterstützen,<br />

• dem Tagestourismus in seinem jetzigen Umfang Rechnung<br />

zu tragen und seine notwendige Versorgung zu unterstützen.<br />

In diesem Sinne wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe<br />

von Baugenehmigungen erteilt und realisiert, allerdings auch einige<br />

Anfragen zurückgewiesen (z.B. Bau von Windkraftwerken,<br />

Wochenendhäuser, etc.).<br />

Bauliche Maßnahmen werden generell einer Einzelfallbetrachtung<br />

unterzogen und beurteilt, um so das Panorama und die ortstypische<br />

Gestaltung zu pflegen und zu halten.<br />

Hierbei wird insbesondere Wert gelegt auf:<br />

• die Erhaltung der Turmdominanz im Panorama,<br />

• der Verzicht auf die Bebauung bislang unbebauter Flurstücke,<br />

• die Vermeidung von Neubauten zugunsten von Anbauten,<br />

• begrenzte Baugeschossigkeit,<br />

• die Ausführung von Giebeldächern,<br />

• die Nutzung hergebrachter witterungsfester Materialien wie<br />

z.B. roter Backstein,<br />

• den Erhalt der Turmwurt entsprechend den Richtlinien der<br />

Denkmalpflege.

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