Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer
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Insel Neuwerk/Vorland<br />
70<br />
Salzwiesen beheimaten aufgrund ihrer speziellen ökologischen Bedingungen eine charakteristische Tierwelt. Obwohl sich<br />
das Neuwerker Vorland in vielerlei Hinsicht von den typischen Salzwiesen unterscheidet, weicht seine Besiedlung insbesondere<br />
mit wirbellosen Tieren nur wenig von denen anderer Regionen des <strong>Wattenmeer</strong>es ab. Dies bestätigt, dass eine<br />
Regeneration natürlicher Salzwiesen-Lebensgemeinschaft auf Neuwerk durchaus möglich ist.<br />
Die wirbellose Tierwelt im Vorland<br />
Das Vorland Neuwerks wird durch den fast durchgehend verlaufenden<br />
Sommerdeich in zwei Bereiche getrennt. Während vor<br />
dem Sommerdeich der ungehinderte Hochwasserzutritt eine charakteristische<br />
Abfolge einer Salzwiesenvegetation von Quellerfluren,<br />
Schlickgrasrasen, Unterer und Oberer Salzwiese bedingt<br />
(siehe Seite 8), werden die hinter dem Sommerdeich liegenden<br />
Flächen nur noch selten von den extremen Hochwasserständen<br />
vernässt. Die dort vorkommenden Lebensraumtypen der Oberen<br />
Salzwiese, Ästuarwiese, Queckenwiese und Rohbodenstandorte<br />
(offene Sand- und Sodenstichflächen) sind eng miteinander verzahnt.<br />
Die in den tiefer liegenden Arealen entlang der Priele<br />
dominierende Obere Salzwiese entspricht einem artenarmen, vom<br />
Salzwasser beeinflussten Rotschwingelrasen, während Queckenund<br />
Ästuarwiese durch eine erhöhte Anzahl von salzmeidenden<br />
Pflanzen eine Entwicklung zu Süßwiesen anzeigen. In dem sehr<br />
bewegten Geländerelief werden damit Höhen von 30 cm bis 180<br />
cm über MThw erreicht. Zu den besonders gut untersuchten Tiergruppen<br />
der Salzwiesen gehören die Laufkäfer und Spinnentiere.<br />
Beide Gruppen besiedeln den Außengroden in der typischen,<br />
nahezu vollständigen Artengemeinschaft der Küstensalzwiesen.<br />
Obwohl die einzelnen bereits erwähnten Lebensraumtypen<br />
scheinbar bereits deutliche Aussüßungserscheinungen zeigen,<br />
führt dies nur zu graduellen Unterschieden innerhalb der Salzwiesengemeinschaften.<br />
Für die Spinnen scheinen jedoch die<br />
strukturreicheren Vegetationsverhältnisse der Quecken- und<br />
Ästuarwiesen bedeutsamer zu sein, während die an Arten reicheren<br />
und charakteristischen Vorkommen der Laufkäfer in der Rot-<br />
Schwingel-Zone und den offenen Sandbereichen gefunden wurden.<br />
Laufkäfer<br />
Im Vorland Neuwerks treten sowohl die typischen Laufkäferarten<br />
der Nordsee-Küstensalzwiesen, als auch die Arten der sonnenexponierter,<br />
sandiger Böden und offener Lebensräume, ohne eine<br />
enge Anbindung an den von ihnen bekannten Lebensraumtyp, auf.<br />
Der Lebensraumtyp der Oberen Salzwiese ist der bedeutendste<br />
für die lebensraumtypische Laufkäferfauna. Hier wurden alle<br />
<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />
sechs salzwiesentypischen Arten Neuwerks gefunden (Tab.1),<br />
während in den Ästuarwiesen lediglich zwei dieser Arten auftreten.<br />
Auch die Gesamtartenzahl und die der gefangener Individuen<br />
("Aktivitätsdichte”) sind in den Oberen Salzwiesen wesentlich<br />
höher. Eine noch geringere Bedeutung für die charakteristische<br />
Laufkäferfauna zeigt sich für die Queckenwiesen insbesondere<br />
dadurch, dass hier die Gesamtzahl gefangener Exemplare am<br />
geringsten ist. Auch hier wurden lediglich zwei salzwiesentypische<br />
Arten gefunden. Unspezialisierte Arten überwiegen und zeigen<br />
die höchsten Individuendichten (z.B. Calathus melanocephalus,<br />
Dyschirius globosus).<br />
Einen besonders interessanten Lebensraumtyp für Laufkäfer stellen<br />
offenbar die Rohbodenstandorte dar. Sie werden nicht nur von<br />
fast allen auch in der Salzwiese typischen Laufkäferarten<br />
bewohnt, sondern darüber hinaus auch von einigen auch für offene<br />
Sandböden typischen Arten (z.B. Dyschirius thoracicus,<br />
Calathus erratus). In den Brackwasserröhrichten hingegen ist das<br />
Arteninventar der Laufkäfer sehr stark eingeschränkt.<br />
Spinnentiere<br />
Auch die Spinnenfauna des Vorlandes entspricht in ihrer Zusammensetzung<br />
der eines typischen Salzgrünlandes an der<br />
Nordsee. Von den insgesamt 40 nachgewiesenen Arten gelten<br />
allein sieben als Leitarten der Nordsee-Salzwiesen (Tab. 1), deren<br />
charakteristisches Arteninventar damit fast vollständig erfaßt<br />
werden konnte. Es fehlt lediglich die Zwergspinne Baryphyma<br />
duffeyi, die als charakteristisch für schlickige Substrate der<br />
Unteren Salzwiese (Andel-Zone) angesehen wird.<br />
Die Verteilung der Spinnen auf die Lebensräume der Oberen<br />
Salzwiese, Ästuarwiese, Queckenwiese und Rohbodenstandorte<br />
zeigt nur geringe Unterschiede, während die Brackwasserröhrichte<br />
nur ein merklich eingeschränktes Spinnenvorkommen<br />
aufweisen. Die extensiv beweideten Ästuarwiesen und die<br />
Queckenwiesen stellen hinsichtlich der Artenvielfalt und<br />
Häufigkeit die bedeutendsten Lebensräume für die Spinnentiere<br />
dar. Die Arten, die größere Netze bauen, scheinen im Vorland<br />
allerdings nicht vorzukommen.<br />
Vergleich mit dem Binnengroden<br />
Bei einer gleichzeitigen Erfassung innerhalb der Binnengrodens<br />
und des Vorlandes kann die Nutzung beider Bereiche durch ausgewählte<br />
Tiergruppen verglichen werden.<br />
Obwohl im Vorland viele Gewässer vorhanden sind, werden sie<br />
kaum von Libellen genutzt. Lediglich die Große Pechlibelle tritt<br />
wie auch im Binnengroden sehr individuenreich an den Prielen<br />
auf und paart sich auch dort. Ihre Larven gelten als brackwassertolerant,<br />
sie können bis zu 11 ‰ Salzgehalt ertragen. Bei einem<br />
gemessenen Salzgehalt des Prielwassers von zeitweilig über<br />
20 ‰ im Außendeichsgelände scheint eine erfolgreiche Reproduktion<br />
dort jedoch sehr unwahrscheinlich. Bei einer gezielten<br />
Nachsuche konnten keine Larven oder Larvenhäute der frisch<br />
geschlüpften Libellen gefunden werden.<br />
Die im Binnengroden so charakteristischen Heuschrecken kommen<br />
im Vorland nicht vor, lediglich auf den sehr trockenen Deckwerksbefestigungen<br />
aus Rasengittersteinen konnten einzelne<br />
Exemplare des Braunen Grashüpfers festgestellt werden.<br />
Anders liegen die Verhältnisse bei den Tagschmetterlingen: aufgrund<br />
des Blütenreichtums auf den extensiv beweideten und<br />
ungenutzten Vorlandflächen ist im Aussengroden ein annähernd<br />
identisches Artenspektrum wie im Binnengroden vorhanden. Als<br />
Besonderheit für das Vorland kommt der feuchte Wiesen bevorzugende<br />
Spiegelfleck-Dickkopffalter hinzu.<br />
Für die sehr flugtüchtigen Tagfalter, bei denen Bodenfeuchtigkeit<br />
und -salzgehalt für ihre Verbreitung nur eine untergeordnete Rolle<br />
spielen, besteht kein wesentlicher Unterschied in der Nutzung<br />
zwischen Vorland und Binnengroden. Heuschrecken hingegen,<br />
deren Verteilung in wesentlichem Maße von geeigneten Vegetationsstrukturen<br />
und der Bodenfeuchte bestimmt wird, meiden<br />
das Vorland. Unter ihnen sind typische Salzwiesenarten, d.h. solche<br />
Formen, die schwerpunktmäßig dort vorkommen oder regelmäßig<br />
hier gefunden werden können, daher auch nicht bekannt.<br />
Abb. 1: Die Staaten der Gelben Wiesenameise bauen im Vorland von<br />
Neuwerk ihre flachen Wohnhügel. Foto Krüger-Hellwig.