Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer
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Insel Scharhörn<br />
90<br />
In den Umweltbeobachtungsprogrammen des <strong>Wattenmeer</strong>es werden Seeschwalben als wichtige biologische Anzeiger für<br />
Veränderungen genutzt. Aufgrund ihrer Biologie eignen sie sich in besonderem Maße dafür, die Umweltqualität zusammenfassend<br />
anzuzeigen.<br />
Brut- und Nahrungsbiologie der Fluss- und<br />
Küstenseeschwalben<br />
Bereits in der Mitte der sechziger Jahre wurden die Seeschwalben<br />
als biologische Anzeiger (Indikatoren) für Umweltqualitäten<br />
erkannt. Durch die Einleitungen einer chemischen Fabrik bei<br />
Rotterdam wurde das gesamte Ökosystem des <strong>Wattenmeer</strong>es mit<br />
Pestiziden verseucht. Innerhalb der Nahrungskette kam es zu<br />
einer Anreicherung dieser Giftstoffe im Gewebe der Organismen,<br />
so dass die am Ende des Nahrungsgefüges stehenden fischfressenden<br />
Seeschwalben und Möwen unter akuten Vergiftungserscheinungen<br />
litten. Neben vielfach beobachteten Todesfällen<br />
kam es in der Folgezeit zu Unfruchtbarkeit, zu dünnen, nicht haltbaren<br />
Eischalen und zu geringem Schlupf- und Aufzuchtserfolg.<br />
Die Bestände der Seeschwalben wurden dadurch massiv dezimiert<br />
und haben erst seit 1980 wieder das frühere Niveau erreicht.<br />
Seeschwalben als Bio-Indikatoren<br />
Im Rahmen der vorsorgenden Umweltbeobachtung im Ökosystem<br />
<strong>Wattenmeer</strong> (Monitoring) werden Seeschwalben heute wieder<br />
als hervorragende Indikatoren betrachtet. Flussseeschwalben<br />
sind ausgezeichnet dafür geeignet, in einem speziellen<br />
Bruterfolgs-Monitoring die Umwelt im Ökosystem <strong>Wattenmeer</strong><br />
zu beobachten. Zusammen mit anderen Zeiger-Arten kann die<br />
kontinuierliche Erhebung des Fortpflanzungserfolges in ausgewählten<br />
Standorten als ein Frühwarnsystem für eventuelle<br />
Beeinträchtigungen des Ökosystems dienen.<br />
Neben der Messung von Schadstoffen in Eierschalen macht man<br />
sich insbesondere die Kenntnisse über ihre Brut- und<br />
Nahrungsbiologie als Maß für die Qualität ihrer Umwelt zunutze.<br />
Für die Beobachtung des Fortpflanzungserfolges werden seit vielen<br />
Jahren weitgehend standardisierte Methoden angewendet, die<br />
es erlauben, Brut- und Aufzuchtserfolg verschiedener Jahre miteinander<br />
zu vergleichen. Ebenso können auch verschiedene<br />
Brutgebiete und Nahrungseinzugsgebiete miteinander verglichen<br />
werden. Vereinzelt sind sogar bereits Umweltverträglichkeitsuntersuchungen<br />
mit Hilfe eines Monitoring an Seeschwalben<br />
durchgeführt worden. Bei diesen Untersuchungen werden Koloniebereiche<br />
mit einem kleinem Zaun abgesperrt, so dass die<br />
Küken sich nicht weit vom Nest entfernen können. Durch Be-<br />
<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />
ringungen werden die Küken individuell erkannt. Bis zum Flüggewerden<br />
können sie alle 2-3 Tage gefangen und in speziellen<br />
Vorrichtungen gewogen werden. Die Massengewichtszunahme<br />
der Küken und der Anteil an flüggen Jungvögeln stellen das Maß<br />
für die Aufzuchtsbedingungen und den Aufzuchtserfolg dar.<br />
Abb. 1: Küstenseeschwalbe am Nest. Foto Hecker.<br />
Bruterfolg<br />
Auf den Düneninseln Scharhörn und Nigehörn wurde 1993 eine<br />
Untersuchung zur Brut- und Nahrungsbiologie von Fluss- und<br />
Küstenseeschwalbe durchgeführt. Die zentrale Fragestellung<br />
beschäftigte sich mit den Beweggründen für die Umsiedlung<br />
eines Teils der Seeschwalben von Scharhörn nach Nigehörn.<br />
In dem Untersuchungsjahr war ein sehr geringer Aufzuchtserfolg<br />
zu verzeichnen. Über 70% der Erstgelege wurden von Möwen<br />
erbeutet. Von den geschlüpften Küken überlebte nur ein einziges<br />
(Küstenseeschwalbe auf Nigehörn) bis zum Flüggewerden, alle<br />
anderen Küken wurden von Silbermöwen und Lachmöwen<br />
geraubt.<br />
Das Jahr 1993 war an vielen Standorten in der Deutschen Bucht<br />
jedoch ein Jahr mit geringem oder gar keinem Bruterfolg.<br />
Allerdings sind nicht in allen Gebieten dieselben Ursachen für<br />
den geringen Aufzuchtserfolg zu sehen. Neben einer starken<br />
Dezimierung durch die Freßfeinde Silber- und Lachmöwe scheint<br />
generell im Jahr 1993 die Nahrungsverfügbarkeit für Seeschwalben<br />
eingeschränkt gewesen zu sein.<br />
Für die langfristige Populationssicherung wird ein jährlicher mittlerer<br />
Aufzuchtserfolg von 0,9 bis 1,1 flüggen Küken/Paar angenommen.<br />
Nur an Standorten, wo diese Werte erreicht werden,<br />
kann sich die Population aus eigener Kraft behaupten, ansonsten<br />
wird sie auf Zuwanderung aus anderen Gebieten angewiesen sein<br />
oder früher oder später erlöschen. Bereits im 20jährigen Mittel ist<br />
jedoch der Bruterfolg der Flussseeschwalbe auf Scharhörn mit<br />
0,74 Küken/Paar vergleichsweise gering. Im Vergleich dazu weist<br />
die Küstenseeschwalbe mit 0,9 Küken/Paar einen deutlich höheren<br />
Aufzuchtserfolg auf, was wahrscheinlich auf einer höhere<br />
Flexibilität der Küstenseeschwalbe in ihrer Nahrungszusammensetzung<br />
beruht.<br />
Nahrung der Seeschwalben<br />
Das Nahrungsspektrum der Seeschwalben ist gut bekannt.<br />
Hauptnahrung für die Flussseeschwalbe stellen die kleinen<br />
heringsartigen Fische dar. Hering und Sprotte machen zumeist<br />
über 50% der Nahrung aus; Plattfische und Sandaale sind weitere<br />
wichtige Bestandteile, Garnelen und Krabben sowie andere<br />
Fische werden nur in geringerem Maße aufgenommen. Je nach<br />
Nahrungsangebot weichen Seeschwalben jedoch auch davon ab.<br />
Allerdings sind Plattfische und Krebstiere energetisch ungünstigere<br />
Nahrungstiere, so dass in Jahren mit hohem Anteil an diesen<br />
Arten der Bruterfolg bei den Flussseeschwalben geringer ist. Die<br />
Küstenseeschwalbe hat generell einen höheren Anteil von<br />
Krebstieren in ihrem Nahrungsspektrum. Die Nutzung eines<br />
höheren Wirbellosenanteils durch die Küstenseeschwalbe vergrößert<br />
die nahrungsökologische Spannbreite und erlaubt so eine<br />
größere Flexibilität bei widrigen Umweltbedingungen. Auch auf<br />
Scharhörn und Nigehörn machen Krabben und Garnelen bis zu<br />
2/3 der anteiligen Nahrung der Küstenseeschwalbe aus, während<br />
diese Tiere von den Flussseeschwalbe nur mit weniger als einem<br />
Drittel aufgenommen wurden. Auch konnte ein deutlicher Unterschied<br />
im Beutespektrum der Seeschwalben Nigehörns und<br />
Scharhörns festgestellt werden. Sowohl Küstenseeschwalben als<br />
auch Flussseeschwalben Nigehörns nutzten Krebstiere in höherem<br />
Ausmaß als die Vögel der Scharhörner Kolonien.