Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer
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Insel Neuwerk<br />
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Seit nunmehr fast 700 Jahren überragt das Wahrzeichen Neuwerks, der mächtige Wehrturm oder ganz einfach “Dat Werk”<br />
genannt, weithin das hamburgische <strong>Wattenmeer</strong>. Dieses älteste noch in seiner ursprünglichen Form erhaltene Gebäude an<br />
der deutschen Nordseeküste hat der Insel ihren Namen gegeben und zugleich ihre Geschichte bestimmt. Aus der noch im<br />
13. Jahrhundert bezeichneten “Nige O” (neue Insel) wurde “Nige Werk” (Neues Werk).<br />
Der Neuwerker Turm<br />
Entstehungsgeschichte und Errichtung<br />
Die Umstände, die zum Bau des Turms führten, sind gut bekannt,<br />
waren sie doch für die bereits zum Ende des 13. Jahrhundert aufstrebende<br />
Stadt Hamburg von vitalem Interesse. Um die Mündung<br />
der Elbe und damit den ungehinderten Zugang zum Handelshafen<br />
Hamburgs zu gewährleisten, sicherte sich die Hansestadt<br />
durch einen 1299 in Mölln geschlossenen Vertrag mit den<br />
Herzögen von Lauenburg als Landesherren der Region Hadeln,<br />
das Recht ein ,,Werk” auf der Insel ,,Nige O” zu errichten, um die<br />
Elbmündung sowohl mit einem Seezeichen als auch durch eine<br />
militärische Präsenz zu sichern.<br />
Der Bau des Turms selbst wurde schon in den Jahren 1300-1310<br />
auf der höchsten Stelle der Insel und mit bedeutender finanzieller<br />
Unterstützung der hanseatischen Partnerstadt Lübeck durchgeführt.<br />
Der fast 30 m hohe und mit rotem Backstein verblendete<br />
Bau erinnert in der Ausführung und ursprünglichen Ausstattung<br />
gemeinsam mit dem auf dem gegenüberliegenden Festland<br />
Ritzebütteler Schlossturm deutlich an die im Mittelalter in Mitteleuropa<br />
weithin üblichen normannischen Turmhäuser (sogenannte<br />
,,Donjons”), die als wehrhafte Burgen errichtet wurden. Beide<br />
Türme zählen in ihrer besonderen Ausführung zu den ältesten und<br />
noch erhaltenen abendländischen Burganlagen.<br />
Der Neuwerker Turm ruht in rund 4,5 m Tiefe auf einem 3 m<br />
mächtigen Fundament aus unbehandelten Felsblöcken, die wiederum<br />
auf einem hölzernen Schwellrost gelagert wurden. Durch<br />
eine Kantenlänge von 13,8 m und der sich nach oben von 2,8 m<br />
bis 1,5 m verjüngenden Mauerdicke entstanden über sechs teilweise<br />
sehr unterschiedlich ausgestattete Etagen Nutzflächen mit<br />
einer Größe von 65 bis 90 m 2. Die beiden unteren Geschosse wurden<br />
jeweils als 2,5 m bzw. 3,5 m hohe Kreuzgewölbe in der<br />
Deckenkonstruktion erstellt. Sie dienten wahrscheinlich ursprünglich<br />
zur Unterbringung von Strand- und Handelsgut, das<br />
untere Geschoss vielleicht auch als Gefängnis. Die darüber liegenden<br />
Etagen wurden mit Holzdecken, die auf mächtigen<br />
Balken ruhten, ausgestattet und dienten teilweise der Unter-<br />
<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />
Abb. 1: Zeitgenössische Darstellung Neuwerks. Stahlstich von Paul<br />
Ahrens (ca. 1845) nach einer Zeichnung von Johann Heinrich Sander.<br />
Privatbesitz.<br />
bringung der (mindestens zehn Mann starken) Turmbesatzung,<br />
die bis ca. 1400 nicht nur den Turm bewachte, sondern auch für<br />
Hamburg den von den vorbeifahrenden Schiffen zu erbringenden<br />
Wegezoll (,,werktolen”) eintrieb. In den mittleren Etagen residierten<br />
die Hamburger Ratsherren, wenn sie die Insel besuchten.<br />
Sie werden deshalb bis heute ,,Senatsetagen” genannt und zeichnen<br />
sich im Vergleich zum dritten und sechsten Geschoss durch<br />
eine großzügigere Deckenhöhe aus.<br />
Das flache Dach des Turmes wurde ursprünglich überspannt von<br />
einem bleiernen, ab 1474 kupfernen und seit dem 16. Jahrhundert<br />
mit einem vom roten Ziegel gedeckten Zeltdach, welches den flachen<br />
Deckenboden an der gemauerten Brüstung aussparte. Damit<br />
war eine Rundumbegehung und –ausschau für die Turmbewacher<br />
in allen Himmelsrichtungen möglich.<br />
Das gesamte Gebäude war - abgesehen von den mächtigen<br />
Mauern - als wehrhafte Bastion ausgelegt. So wurde, um den<br />
Turm auch mit einer vergleichsweise kleinen Mannschaft wirkungsvoll<br />
verteidigen zu können, der Eingang in die luftige Höhe<br />
des dritten Geschosses verlegt. Der Zutritt war damit zunächst<br />
nur über eine einfache und im Notfall wohl auch einziehbare<br />
Leiter möglich. Die für den Lebensunterhalt notwendigen<br />
Warenwurden wahrscheinlich mit Hilfe eines außen angebrachten<br />
Windengestells durch eine (bis heute erhaltene) als doppelte<br />
Flügeltür genutzte Öffnung ins fünfte Geschoss transportiert.<br />
Zwischen 1372-75 wurde der Turm durch einen Feuerbrand<br />
beschädigt und in den darauf folgenden Jahren bis 1379 wieder<br />
hergestellt. Inwieweit er durch diese Baumaßnahmen verändert<br />
wurde, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Die älteste erhaltene<br />
Darstellung des Turms findet sich in der von Melchior Lorichs im<br />
Jahr 1568 gefertigten Elbkarte (siehe Seite 34).<br />
Der Wehrturm wird zum Leuchtturm<br />
Über die Jahrhunderte stieg die Bedeutung der Elbe als<br />
Handelsweg für das Hinterland, insbesondere für die Stadt<br />
Hamburg und weitere am Strom liegende Städte stetig an, so dass<br />
man sich gezwungen sah, in der Elbemündung Seezeichen für die<br />
Sicherheit der Handelsschiffe einzurichten. Dazu gehörten nicht<br />
nur Tonnen oder Pricken, sondern auch in der Nacht beleuchtete<br />
Zeichen. Seit 1644 wurde deshalb im Neuwerker Vorland ein in<br />
der Nacht weithin sichtbares offenes Seezeichenfeuer auf einem<br />
erhöhten Holzgestell - eine sogenannte ,,Blüse” - betrieben. 1814<br />
wurde der Turm selbst dann in seiner Funktion zum Leuchtturm<br />
umgebaut und löste die Blüse in ihrer Funktion ab. Das Zeltdach<br />
wurde abgebaut und statt dessen ein 12 m hoher Leuchtfeuer-<br />
Aufbau (ohne Windrose) mit einem Metallreflektor installiert.<br />
1892 erhielt der Turmkopf nach weiteren Umbauten eine mannshohe<br />
Fresnel-Glaskörperlinse, die bis heute das Licht über 30 km<br />
weit streut. Mit dem Fortschritt der Technik wurde auch mehrfach<br />
die Lichtquelle verändert. Seit 1942 wird das Leuchtfeuer mit<br />
elektrischem Strom betrieben. Seit 1971 erfolgt der Betrieb über<br />
eine Fernsteuerung. Die unterhalb des Turms gelegenen ehemaligen<br />
Leuchtturmwärterhäuser wurden um 1904 errichtet. Sie<br />
beherbergen heute die <strong>Nationalpark</strong>station und den Inselladen.<br />
Die Bedeutung als Wehrgebäude ging mit der neuen Funktion als<br />
Leuchtturm endgültig verloren. Der hoch gelegene Eingang wurde<br />
mit einem komfortablen und später sogar vollständig überdachten<br />
Treppenaufgang ausgestattet. Doch als Nachtseezeichen<br />
sollte ,,Dat Werk” nicht lange von Bedeutung sein: Zwar wird das<br />
Leuchtfeuer noch immer in seiner ursprünglichen Funktion unterhalten,<br />
doch Satellitennavigation im modernen Schiffsverkehr<br />
und die seit 1980 am Fahrwasser eingerichteten Navigationsbaken<br />
am Elbe-Fahrwasser haben ihn längst an Bedeutung weit<br />
überflügelt.