Nationalpark-Atlas Hamburgisches Wattenmeer
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Insel Scharhörn<br />
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Inseln sind für Insekten aufgrund ihrer relativ geringen Mobilität nur schwer zu erreichen. Daher ist die Artenvielfalt dort<br />
zumeist deutlich geringer als auf dem benachbarten Festland. Auch die Insektenwelt der 15 km vom Festland entfernt liegenden<br />
Düneninseln Scharhörn und Nigehörn weist eine relativ geringe Artenvielfalt auf.<br />
Die Insektenwelt der Inseln Scharhörn und Nigehörn<br />
Insekten können sowohl aktiv als auch passiv neue Standorte<br />
erreichen und sich in die Umgebung ausbreiten.<br />
So können die relativ großen Arten unter ihnen wie z.B. die Vierflecklibelle<br />
und der Wanderfalter, wie beispielsweise der Großer<br />
und Kleiner Kohlweißling, der Raps-Weißling, das Tagpfauenauge<br />
und die Gammaeule, die Düneninseln aktiv anfliegen. Von<br />
allen Arten ist bekannt, dass sie jährliche Wanderungen und Ausbreitungsflüge<br />
durchführen.<br />
Kleinere Arten können von einer südöstlichen Windströmung<br />
vom Festland auf die Inseln verdriftet werden. Auch eine passive<br />
Anreise im Gefieder der Vögel, sowie durch das Anschwemmen<br />
mit dem Treibgut sind möglich. So kann man bei einer genauen<br />
Untersuchung des Angespüls leicht fündig werden und große<br />
Mengen verschiedener Käfer und anderer robuster Insektenordnungen<br />
finden. Insbesondere auf Nigehörn sind mit dem von<br />
Scharhörn stammenden Pflanzenmaterial einige kleinere Arten,<br />
wie z.B. Zikaden eingeschleppt worden. Besonders unter den<br />
Nachtfaltern kann es sog. Irrgäste auf den Inseln geben, die durch<br />
Lichtquellen wie die Befeuerung der Elbmündung und den<br />
Schiffsverkehr angelockt werden.<br />
Nur wenige der schließlich die Inseln erreichenden Arten sind in<br />
der Lage, ihren gesamten Lebenszyklus auf der Insel zu vollziehen<br />
und sich dort fortzupflanzen, also bodenständig zu werden.<br />
Zumeist fehlen einige wichtige Teile ihres natürlichen Lebensraumes<br />
wie bestimmte Wirtspflanzen für Eier und Larven oder<br />
Nahrungspflanzen und anderes.<br />
Dennoch sind die Düneninseln durch ihre besondere Biotopstruktur<br />
ein bedeutsamer Lebensraum für einige spezialisierte Insektenarten,<br />
die offene Sandflächen, Trockenheit und Wärme<br />
während ihres Lebenszyklus benötigen. Beispielsweise tritt die<br />
Laufkäferart Calathus ochropterus nur in naturnahen Dünen mit<br />
großer Stetigkeit auf und viele Schmetterlinge, Hautflügler und<br />
Spinnentiere sind auf diese, inzwischen selten gewordenen,<br />
Lebensräume angewiesen.<br />
<strong>Nationalpark</strong>-<strong>Atlas</strong> <strong>Hamburgisches</strong> <strong>Wattenmeer</strong><br />
Gras- und Staudenvegetation<br />
Scharhörn und Nigehörn weisen eine Vielzahl verschiederner Lebensräume<br />
auf, die nach der Vegetationsstruktur und der in ihnen<br />
herrschenden Umweltbedingungen differenziert werden können.<br />
Große Bereiche des Inselkerns von Scharhörn sind mit dichter<br />
Gras- und Staudenvegetation bewachsen. Dicht geschlossene, an<br />
Rotschwingel reiche Weißdünen, Salzwiesen, Röhrichte und Staudenfluren<br />
bieten ähnliche Lebensbedingungen, wie sie auch in<br />
Wiesen und Röhrichten im Binnenland auftreten. So sind in diesen<br />
Vegetationsstrukturen nur wenige spezialisierte Insektenarten zu<br />
finden. Allgemein verbreitete Arten, wie z.B. der Laufkäfer<br />
Harpalus rufipes oder das Große Grüne Heupferd, eine Heuschreckenart,<br />
sind hier häufigere Arten. Ein ähnliches Bild zeigen<br />
der äußere Dünenring und die grasreichen, durch Vogelkot gedüngten<br />
Magerrasen von Nigehörn. Lediglich Röhrichte und Staudenfluren<br />
konnten sich auf der jungen Insel noch nicht entwickeln.<br />
Lückige Magerrasen<br />
Lückige Magerrasen mit Flechten und Moosen, in denen immer<br />
wieder offene Sandbereiche eingestreut sind, finden sich sowohl<br />
auf Scharhörn als auch auf Nigehörn. Auf solchen Flächen, die<br />
auf Scharhörn den Graudünen entsprechen, auf Nigehörn hingegen<br />
durch die Ansaat begründet wurden, leben vor allem lichtund<br />
wärmeliebende Arten wie z.B. der Laufkäfer Amara aena<br />
und der Kleine Feuerfalter, von dem hier mehrfach auch Raupen<br />
gefunden wurden.<br />
Weißdünen<br />
Charakteristisch für beide Inseln sind Weißdünen mit offenem<br />
Sand. Diese jungen Dünen werden durch bewegte Dünensände mit<br />
mehr oder weniger dichtem Bewuchs durch die typischen<br />
Dünengräser Strandhafer und Strandroggen gekennzeichnet, in<br />
denen es bereits innerhalb weniger Stunden zu erheblichen Sandumlagerungen<br />
kommen kann. Typisch für den Lebensraum<br />
Weißdüne ist der Eulenfalter Chortodes elymi, der sowohl auf<br />
Scharhörn als auch auf Nigehörn festgestellt wurde. Diese unscheinbare<br />
Art lebt ausschließlich an Strandroggen und ist daher<br />
eng an die Küstenlebensräume der Nord- und Ostsee gebunden.<br />
Sowohl Scharhörn als auch Nigehörn haben im Südosten einen<br />
sogenannten Steert ausgebildet, der, ebenso wie die östlich angelagerten<br />
Haken, Primärdünenvegetation auf feuchtem, offenem<br />
Sand aufweist. Diese Flächen werden von starken Hochwässern<br />
erreicht. Für diesen Lebensraum sind Laufkäferarten der Gattung<br />
Dyschirius typisch. Auch in der Inselmitte Nigehörns, in Stauwassersenken,<br />
sind offene, feuchte Sande anzutreffen.<br />
Andere ökologische Bedingungen herrschen auf vegetationslosen<br />
Flächen mit offenem Sand. Lediglich Nigehörn besitzt noch solche<br />
Biotope, die durch Ausblasungen entstanden sind. Diese<br />
Strukturen sind im Laufe der Sukzession auf Scharhörn verlorengegangen.<br />
Trockenheits- und wärmeliebende Arten wie z.B. der<br />
hauptsächlich im Küstenbereich vorkommende Laufkäfer Amara<br />
quenseli, bevorzugen diesen Lebensraum. Auf der "Roten Liste"<br />
der gefährdeten Laufkäfer ist die genannte Art bereits als stark<br />
gefährdet eingestuft.<br />
Umfangreiche Gehölzstrukturen, wie sie für alte Dünen (Tertiärdünen)<br />
charakteristisch sind, kommen aufgrund des relativ geringen<br />
Alters beider Inseln nicht vor. Daher finden gehölzbewohnende<br />
Tierarten hier keinen Lebensraum. Lediglich auf Scharhörn<br />
haben sich einige kleinere Rosenbestände aus der allgemein weit<br />
verbreiteten Kartoffelrose etabliert.<br />
Die Lebensräume und ihre Besiedlung im Vergleich<br />
Am Beispiel der verschiedenen Eulenfalter-Arten Scharhörns<br />
kann die Bevorzugung bestimmter Lebensräume aufgezeigt werden.<br />
Etwa 20% der Arten bevorzugen die offenen, trockenen<br />
Lebensräume. Aufgrund der Seltenheit dieser Extrembiotope sind<br />
viele der an diese Lebensbedingungen angepaßten Arten inzwischen<br />
in ihrem Bestand gefährdet und werden auf den "Roten<br />
Listen" geführt. Fast die Hälfte aller gefundenen Eulenfalterarten<br />
können als bodenständig angenommen werden, d.h. sie können<br />
alle Stadien ihrer Entwicklung auf Scharhörn durchlaufen und sich<br />
dort auch fortpflanzen.<br />
Auch für viele andere Insektengruppen werden ähnliche Verhältnisse<br />
vermutet, doch sind bislang zu wenig grundlegende Untersuchungen<br />
durchgeführt worden.<br />
Detaillierte Untersuchungen zum Artenbestand der Insekten auf<br />
Nigehörn liegen bislang noch nicht vor. Bei vergleichenden Untersuchungen<br />
zur Nachtfalter- und Kleinschmetterlingsfauna von<br />
Scharhörn und Nigehörn wurde aber bereits bei einer Erfassung<br />
Ende Juni 1997 ein Anteil von etwa zwei Drittel der Arten<br />
Scharhörns auch auf Nigehörn gefunden, die dort als bodenständig<br />
gelten dürfen. Die Besiedlung Nigehörns mit charakteristischen<br />
Insektenarten scheint damit schon weit fortgeschritten zu sein.