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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Sprach- und Literaturwissenschaft 273<br />

soziologisch mit der Entwicklung des Städte bürgertums in Zusammenhang gebracht<br />

wird, ist Walter Dietzes Bemerkung zur Forschungssituation zutreffend, daß wir »in<br />

der Bestimmung des Klasseninhalts der Renaissance noch lang nicht am Ende unserer<br />

überlegungen sind«. (88) Eher am Anfang, denn mit dem in diesem Buch dokumentierten<br />

Willen zur welthistorischen Einordnung der Bedeutung und Wirkung der »europäischen«<br />

Renaissance beginnt erst eine Diskussion, die den bisher vorherrschenden<br />

Eurozentrismus in der Betrachtung aufbricht. Robert Weimann, dem spiritus<br />

rector des ganzen Unternehmens, ist voll zuzustimmen, wenn er in der Einleitung zur<br />

Frage der aktuellen Beerbung der Renaissance schreibt: »Die Renaissance sinkt heute<br />

zu einem abendländischen Glasperlenspiel hinab, wenn ihre wirkliche Aktualität sich<br />

nicht zugleich den fortgeschrittensten Bedürfnissen der gesamten, in heftiger Veränderung<br />

befindlichen Welt mitteilt.« (16) Der Charakter jener Zeit als Epoche des<br />

übergangs, der Eruption von gesellschaftlichen Widersprüchen, der Formulierung<br />

menschheitlich-emanzipatorischer Ansprüche zwingt zum Vergleich mit der gegenwärtigen<br />

Weltlage, in der der größere Teil der Menschheit zu einer nach-kolonialen<br />

Renaissance anhebt. Die Rolle der Aufklärung und Bildung <strong>für</strong> die Massen ist heute<br />

dort so zentral wie in der europäischen Renaissance, deren erstes Bildungsmedium die<br />

Literatur war - Literatur in einem sehr breiten Sinn verstanden. Von daher ist die Verbindung<br />

von historischer und literaturwissenschaftlicher Forschung, wie sie hier<br />

präsentiert wird, ein richtiger Ansatz. Allerdings genügt der einfache Rekurs auf die<br />

Klassiker, besonders was die Literatur betrifft, weniger denn je. Als schlechtes Beispiel<br />

<strong>für</strong> die Tendenz sei auf A. D. Michailovs Beitrag »Ritterroman und Volksbücher«<br />

hingewiesen, der ohne weitere überlegung Engels' Jugendaufsatz zu den deutschen<br />

Volksbüchern aus dem Jahre 1839 zugrundelegt und den dort eher enthusiastisch<br />

verwendeten Begriff des Volkes unkritisch weiterträgt. Insgesamt ein wichtiges<br />

Buch <strong>für</strong> den Spezialisten, aber kein einführendes Werk.<br />

Stephan Schmidlin (Berlin/West)<br />

Braunbehrens, Volkmar: Nationalbildung und Nationalliteratur.<br />

Zur Rezeption der Literatur des 17. Jahrhunderts von Gottsched bis Gervinus.<br />

Verlag Volker Spiess, Berlin (West) 1974 (144 S., br., 14,80 DM).<br />

Garber, Klaus: Martin Opitz - "der Vater der deutschen Dichtun<br />

g « . Eine <strong>kritische</strong> Studie zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik.<br />

Metzler-Verlag, Stuttgart 1976 (216 S., br., 46,- DM).<br />

Beide Studien wollen einen Beitrag zur Geschichte der Germanistik leisten, indem<br />

sie die Aneignung der Literatur des 17. Jahrhunderts durch die deutsche Literaturwissenschaft<br />

des 18. und 19. Jahrhunderts verfolgen. Braunbehrens untersucht <strong>das</strong><br />

Bild des 17. J ahhrunderts in den Werken von Gottsched, in Zachariaes Anthologie, in<br />

Herders Schriften sowie in den Literaturgeschichten von Koch, Wachler, Horn und<br />

Gervinus. Diese Auswahl ist zufällig. Braunbehrens versucht der Eingrenzung auf<br />

diese Autoren vergeblich den Anschein konzeptioneller Absicht zu verleihen, wenn<br />

er schreibt: »Bei der Durchsicht des breiten Quellenmaterials <strong>für</strong> ein solches rezeptionsgeschichtliches<br />

Panorama zeigte sich ein begrenzter aufklärerischer Entwicklungsstrang,<br />

dessen Behandlung eine sinnvolle Eingrenzung ermöglichte.« (7 f.) Zwei<br />

Seiten später konzidiert er selbst, daß Wachler und Horn der »durchaus apologetischen<br />

Literaturgeschichtsschreibung aus dem Anfang der Restaurationszeit« zuzurechnen<br />

sind. Die Zufälligkeit und die geringe Breite des Kanons verhindern von<br />

vornherein, daß hier aus der Summe des Einzelnen <strong>das</strong> angestrebte »Panorama« des

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