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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Sprach- und Literaturuiissenschaft 275<br />

zum Ausdruck kommt; ebenso über Guhrauer, der zwar keine selbständige Studie<br />

über Opitz veröffentlicht hat, aber doch einer der besten literaturwissenschaftlichen<br />

Kenner des 17. Jahrhunderts war), zweifellos aber ist die wichtigste wissenschaftliche<br />

Opitz-Literatur vertreten. So entsteht ein repräsentatives Bild des Wandels der U rteile:<br />

Während <strong>das</strong> 18. Jahrhundert Opitz als "Vater der deutschen Dichtung« hoch<br />

schätzt, wertet ihn <strong>das</strong> 19. Jahrhundert auf dem Hintergrund der wiederentdeckten<br />

mittelalterlichen Literatur, der ästhetischen <strong>Theorie</strong>n der "Kunstperiode« oder antiabsolutistischer<br />

Bürgergesinnung überwiegend ab. Besonders instruktiv sind die<br />

Passagen über die Zeit zwischen Gottsched und der achtundvier;;iger Revolution. Die<br />

Partien zur wilhelminischen Germanistik fallen ebenso wie die zur Barock-Deutung<br />

des beginnenden 20. Jahrhunderts knapper und blasser aus. Das ist allerdings dadurch<br />

legitimiert, daß bereits entsprechende Untersuchungen der geistes geschichtlich<br />

orientierten Germanistik vorliegen.<br />

Gerade weil Garbers Studie nicht an "handwerklichen« Unzulänglichkeiten leidet,<br />

werden an ihr die methodischen Probleme der Wissenschafts geschichtsschreibung als<br />

überlieferungsgeschichte eines Autors bzw. einer Periode besonders deutlich: Sie<br />

blendet, interessiert vor allem an der Urteilsgeschichte, die Form, in der die Urteile<br />

präsentiert werden, weitgehend aus. Eine Gattungsgeschichte der literaturwissenschaftlichen<br />

Texte liegt bisher demzufolge kaum in den rudimentären Ansätzen der<br />

Textcharakteristik vor. So erscheint es in Garbers Buch ganz selbstverständlich, daß<br />

zunächst Aufsätze und Anthologien, später dann Literaturgeschichten die bedeutendsten<br />

Quellen sind, obgleich diese Erscheinung doch ihrerseits ein wichtiges und<br />

erklärungs bedürftiges wissenschafts-geschichtliches Phänomen ist. Undiskutiert<br />

bleiben auch die verschiedenen Schreibweisen der Opitz-Historiker. Ebenso vermißt<br />

man die Geschichtsschreibung der <strong>kritische</strong>n und historischen Methodologie, der<br />

entsprechenden Geschichtstheorie und Traditionswahl. Die sozialökonomische<br />

Fundierung wird zwar angestrebt, sie reicht aber häufig nur zur Kritik, jedoch nicht<br />

zur Erklärung der Phänomene aus.<br />

Solche Defizite resultieren nicht nur aus der rezeptionsgeschichtlichen Anlage der<br />

Studien und der Forschungsökonomie, sondern auch aus der <strong>für</strong> solche Vorhaben zu<br />

kurz gefaßten Ausgangsfragestellung, "in welcher Weise ältere, in anderem Zusammenhang<br />

entstandene Literatur in politisch-gesellschaftlichen Prozessen aktualisiert<br />

und funktionell eingesetzt werden konnte.« (Braunbehrens 8, zustimmend Garber<br />

22). Diese Fragestellung rückt ideologie<strong>kritische</strong> Aspekte zuungunsten des systematischen<br />

überblicks über die Totalität der Wissenschaft in der jeweiligen Epoche - auch<br />

ihrer Erkenntnis- und Methodenfortschritte - stark in den Vordergrund. So wird unwillkürlich<br />

der Eindruck erweckt, als stünden z. B. Horn und A. W. Schlegel oder<br />

Gervinus und Laube als Gleiche nebeneinander, getrennt nur durch politisch motivierte<br />

Werturteile, während tatsächlich der Abstand zwischen der wissenschaftlichen<br />

Qualität ihrer Werke immens ist.<br />

Garber kennt die Defizite der ideologiekritisch-rezeptionshistorischen Optik. Das<br />

macht seine theoretische Einleitung ebenso deutlich wie die Feststellung, "der Rezeptionshistoriker<br />

(kann sich) nicht auf die direkten Verlautbarungen über den betreffenden<br />

Autor beschränken. Ihr Gewicht empfangen sie gerade in umfangreicheren literaturgeschichtlichen<br />

Untersuchungen erst aus ihrer Funktion innerhalb der historischen<br />

Gesamtkonstruktion.« (75) Häufig präsentiert er deshalb auch nicht nur aus<br />

dem Kontext gelöste Passagen zu Opitz, sondern bettet sie in Textcharakteristiken<br />

und Analysen der Geschichtsparadigmen ein. Daß er hierbei nicht weiter gelangte, ist<br />

weniger seiner ausgezeichneten Studie anzulasten als der Situation der Fachdisziplin,<br />

die ihm die Aufgabe kaum durch brauchbare Vorarbeiten erleichterte.<br />

Karl-Heinz Götze (Marburg/Lahn)

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