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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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276 Besprechungen<br />

Wahrenburg, Fritz: Funktionswandel des Romans und ästhetische<br />

No r m. Die Entwicklung seiner <strong>Theorie</strong> in Deutschland bis zur Mitte des<br />

18. Jahrhunderts. Metzler-Verlag, Stuttgart 1976 (VI, 346 S., br., 50,- DM).<br />

Leitbegriff <strong>für</strong> die Untersuchungen ist der Begriff der »intendierten Funktion«<br />

(6 f.), der zugleich auch den theoretischen Rahmen der Arbeit absteckt: Es geht ihr<br />

nicht nur um die chronologische Aufreihung theoretischer Ansätze zum Romanproblem,<br />

sondern darüber hinaus auch um die Untersuchung der Verzahnung von gesellschaftlichen<br />

Gruppeninteressen, Autorintention und literarischer Innovation in den<br />

Wandlungen der Romantheorie, die Wahrenburg als einen »primär funktionsbestimmten,<br />

sozial- und ideologiehistorisch motivierten Prozeß« darstellen will (6). In<br />

einem ersten Teil untersucht er an Beispielen, wie sich im 16. und frühen 17. Jahrhundert<br />

langsam die verschiedenen Aspekte des Problemkomplexes herauskristallisieren<br />

und zeigt, daß sich neue Produktions- und Rezeptionsbedingungen <strong>für</strong> Literatur<br />

entwickeln. Im zweiten Teil untersucht Wahrenburg die Bemühungen um die Legitimation<br />

des Romans im 17. Jahrhundert. Hier ging es zunächst wesentlich um <strong>das</strong><br />

Verhältnis von Dichtung und Geschichtsschreibung, wobei dieses Problem <strong>für</strong> den<br />

Roman zu lösen versucht wurde durch seine Funktionalisierung im Sinne der politischen<br />

Interessen des Adels. Hierdurch konnte eine mehr oder minder feste Bindung<br />

zwischen Romanfiktion und realer oder idealer Geschichte erzielt werden. Im dritten<br />

Teil der Arbeit betrachtet Wahrenburg zunächst die - von Huet ausgehenden - Bemühungen,<br />

den Roman dadurch in die traditionelle Gattungstheorie einzubeziehen,<br />

daß einerseits seine Bindung an die geschichtliche Faktizität aufgegeben und andererseits<br />

Regeln <strong>für</strong> den Roman entwickelt werden. Beides zusammen erlaubt seine gattungspoetologische<br />

Integration durch die Analogisierung mit dem Epos. Die Einführung<br />

des Möglichkeitsbegriffs eröffnet zugleich auch den Blick auf die Rezeptionsbedingungen<br />

des Romans, der jetzt verschiedenen Leserinteressen entsprechen kann. Es<br />

zeigt sich, daß in der Romantheorie zunehmend die Forderung nach der Funktionalisierung<br />

der Gattung <strong>für</strong> bürgerliche Interessen erhoben wird, nachdem <strong>das</strong> bürgerliche<br />

Publikum lange von der Lektüre des exklusiven höfischen Romans ausgeschlossen<br />

geblieben war. Die <strong>Theorie</strong> des Romans spiegelt die - vorderhand noch zaghaften -<br />

Ansätze des Bürgertums zum sozialen Aufstieg, wobei freilich zunächst die Bemühung<br />

um Angleichung an adlige Verhaltensformen mindestens den gleichen Stellenwert<br />

hatte wie <strong>das</strong> Herausstellen der eigenen moralischen, gesellschaftlichen und politischen<br />

Ideale. Mit dieser Funktionalisierungsforderung ist der Grundstein <strong>für</strong> die weitere<br />

Entwicklung des Romans gelegt, denn sie machte alle früheren - poetologischen<br />

oder inhaltlichen - Vorbehalte gegen die Gattung letzten Endes vergessen.<br />

Die Stärke der Untersuchungen ist zugleich ihre Schwäche: Einerseits wird mit profunder<br />

Quellenkenntnis und in gediegener philologischer Arbeit wichtiges literarhistorisches<br />

Material ausgebreitet; andererseits treten jedoch hinter der Fülle dieses Materials<br />

die Ansätze zu seiner theoretischen Durchdringung zurück. Es wird schnell<br />

deutlich, daß Wahrenburgs karges und auch etwas eklektizistisches theoretisches Instrumentarium<br />

nicht ausreicht, den angemeldeten Anspruch der Verflechtung von literar-<br />

und sozialhistorischer Fragestellung konsequent durchzuführen. Die theoretisch<br />

kaum fundierte Kategorie der »intendierten Funktion« ist nicht in der Lage, einen<br />

einheitlichen Gesichtspunkt zu liefern, der alle in der Arbeit behandelten Themenkomplexe<br />

gleichermaßen erfassen und in einen plausiblen Zusammenhang stellen<br />

könnte. Auch werden die Verbindungslinien zwischen der literar- und der sozialhistorischen<br />

Entwicklung kaum sichtbar, da diese gegenüber jener deutlich vernachlässigt<br />

wird. Vor allem die zentralen Begriffe des »adligen« und des »bürgerlichen Interesses«<br />

werden nicht ausgearbeitet, sondern nur flüchtig angedeutet. Trotz dieser<br />

Einwände kommt der Arbeit jedoch einige Bedeutung zu; diese liegt freilich weniger

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