09.02.2013 Aufrufe

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

246 Karl-Heinz Götze<br />

wegs unverständlich, formuliert wird, soll Beweis <strong>für</strong> die Nichtswürdigkeit eines<br />

ganzen Aufsatzes sein. Diese Verfahrensweise findet sich in den Kritiken der »Beiträge«<br />

durchgehend. Ein Satz, ein Gedanke, gleich ob er im Zentrum der Argumentation<br />

steht oder beiläufig formuliert ist, wird, ohne daß er als typisch ausgewiesen wäre, <strong>für</strong><br />

<strong>das</strong> Ganze genommen. Wer könnte vor solcher Kritik bestehen? Bei Goethe finden<br />

sich schrecklich banale Sätze, die zudem jeder Grammatik Hohn sprechen, Schiller<br />

sind Sätze unterlaufen, die heute noch ganze Schulklassen zum Lachen bringen. Ob<br />

den Redakteuren der »Beiträge« bei ihren Marx-Studien noch nie ein Satz aufgefallen<br />

ist, der schlecht oder unklar formuliert war? Wenn <strong>das</strong> so ist, kann es nur an beschränkter<br />

Lektüre oder übertriebener Ehrfurcht liegen. Und -last not least in dieser<br />

Reihe - wie steht es mit den »Beiträgen« selbst? Eine Literaturgeschichte die von dem<br />

Standpunkt geschrieben wäre, der beste Schriftsteller sei derjenige, dem keine unglücklichen<br />

Sätze unterlaufen sind, würde sich ihren Heros wohl unter den Oberlehrern<br />

des 19. Jahrhunderts mit schmaler Publikationsliste suchen müssen.<br />

Das gestörte Verhältnis zwischen Produktion und Kritik resultiert sehr häufig daraus,<br />

daß die Rezensenten <strong>das</strong> Gesamtwerk nicht zur Kenntnis nehmen, sondern entweder<br />

Rosinen herauspicken oder Haare in der Suppe suchen. Friedrich Schlegel<br />

nannte <strong>das</strong> mit einem anderen Bild in den Werken »botanisieren« gehen und konstatiert<br />

in den meisten Kritiken »deklamierten Enthusiasmus, der sich über einzelne Stellen<br />

vernehmen läßt, und ignoranten Witz, der polemisch über <strong>das</strong> Ganze herfällt«.4<br />

Die methodischen Fortschritte, die selbst die bürgerliche Kritik demgegenüber gemacht<br />

hat, sollten die Marxisten, die sich mit ihrer Kritik auf die Seite der Produktion<br />

stellen wollen, nicht ignorieren.<br />

Unsere bisherigen Haupteinwände gegen den Modus der Kritik in den »Beiträgen«<br />

wären also: die Kritik informiert nicht, sie fördert nicht, sie bezieht nicht <strong>das</strong> Ganze<br />

der rezensierten Aufsätze ein, sie sagt von den besprochenen Texten kaum je, »welches<br />

die Fragen waren, auf die sie Antworten darstellen, welcher materiellen Situation<br />

sie entsprangen und welche Änderungsvorschläge sie enthalten«. 5 Aus diesem Verhältnis<br />

zum Gegenstand folgt, daß die Kritik der Beiträge häufig auch nicht <strong>argument</strong>iert.<br />

Aber wenn sie dieses alles nicht will, was will sie denn? Anders gefragt: was ist<br />

<strong>das</strong> Charakteristische dieser Kritik?<br />

Die Kritik der Beiträge ist so sehr Urteil wie die keiner vergleichbaren Zeitschrift,<br />

und zwar Urteil ohne Beweisaufnahme, ohne daß der Verklagte zu Wort käme und<br />

ohne Problematisierung der Rechtsgrundlagen. Brechts Satz: »Bitte entschuldigen<br />

Sie, aber Literaturkritik gehört unlösbar zum Fall >deutsche Justiz< ,,6 gilt <strong>für</strong> keine<br />

linke <strong>Theorie</strong>zeitschrift mehr als <strong>für</strong> die» Beiträge«. Die gerichtsförmige Grundstruktur<br />

ihrer Besprechungen fällt natürlich vor allem dort ins Auge, wo ganze Aufsätze<br />

nur in einem Satz Erwähnung finden, z. B. »Karin Priesters Aufsatz über die Staatstheorie<br />

bei Gramsei bildet in diesem Heft einen wohltuenden Gegensatz zu Schüttes<br />

verunglückter ... « (»Beiträge« 1/78, S. 153). Sollte einer denken, in diesen Fällen sei<br />

vielleicht der beschränkte Platz <strong>für</strong> die verunglückte Form von Kritik verantwortlich,<br />

so zeigen andere, längere Kritiken jedoch, daß die Kürze nicht die Ursache ist. Betrachten<br />

wir die Urteilssätze auf 21 (!) Zeilen einer Spalte in den Beiträgen 2/78,<br />

S. 155 f.:<br />

»Wir können uns diesem Bedenken nur anschließen ... was indes nicht führen darf ...<br />

Vor diesem Hintergrund können wir weiteren Schlußfolgerungen nur beipflichten ... den<br />

Realismus von Stubys Hoffnung auf die Sozialdemokratie bezweifeln wir ... «

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!