das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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288 Besprechungen<br />
Altendorf, Hans, u. a.: Arbeiterkinder an den Hochschulen.<br />
Europäische Verlagsanstalt, Köln 1978 (182 S., br., 19,80 DM).<br />
Die Arbeit ist ein Ergebnis der Arbeitsgruppe »Studentische Sozialpolitik« beim<br />
Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im DGB. Der<br />
Anteil der Arbeiterkinder in der Studentenschaft wuchs seit Beginn der sozial-liberalen<br />
Koalition Ende der 60er Jahre von 6 % auf ca. 15 % im Jahre 1978 (dies sind absolut<br />
1978: 100000). Als wesentlicher Grund <strong>für</strong> den wachsenden Anteil werden die aufgrund<br />
der Produktivkraftentwicklung erhöhten Bildungsanforderungen benannt,<br />
was zugleich die enormen Reformanstrengungen der sozial-liberalen Koalition charakterisiert.<br />
Im ersten Teil erörtern die Verfasser die besonderen sozialen und ökonomischen<br />
Rahmenbedingungen im Arbeitermilieu, die als Sozialisationsschranken<br />
von Arbeiterkindern wirksam werden. Stichwortartig werden die Arbeits- und Lebensbedingungen<br />
der Arbeiterklasse im kapitalistischen System mit folgenden Begriffen<br />
gekennzeichnet: Ausbeutung, Entfremdung, Unsicherheit, Monotonie und<br />
Gleichförmigkeit in der Arbeit, Entwertung der Qualifikation, permanente gesundheitliche<br />
Gefährdung, Kürzung des Reallohns usw. (18 H.). Aus dieser Milieubeschreibung<br />
wird <strong>für</strong> die primäre Sozialisation von Arbeiterkindern ein geringes Anspruchsniveau,<br />
größere Distanz zum Bildungsbereich, geringeres Aufstiegsinteresse<br />
und eine geringere Bildungsmotivation (30) abgeleitet; <strong>das</strong> geringere Bildungsinteresse<br />
wird zudem durch die finanzielle und wohnmäßige Lage der Arbeiter verstärkt.<br />
Im zweiten Teil der Untersuchung wird die Selektionswirkung des institutionalisierten<br />
Bildungssystems der BRD empirisch dokumentiert. Grund- und Hauptschule,<br />
besonders aber <strong>das</strong> Gymnasium sowie der Numerus Clausus (insbesondere im Fach<br />
Medizin) bilden im Bildungsgefüge der BRD weitere Schranken zur Selektion von<br />
Arbeiterkindern. So ist jeder zweite der 10- bis 15jährigen Schüler an der allgemeinbildenden<br />
Schule aus einer Arbeiterfamilie, während fast 60% der Hauptschüler Arbeiterkinder<br />
sind; an Realschulen beträgt ihr Anteil 43%, an Gymnasien nur 18% (45)<br />
und an Universitäten 15%. Der letzte Teil des Buches untersucht die finanzielle Lage<br />
der Arbeiterkinder während des Studiums.<br />
In einer soliden Analyse setzen sich die Autoren mit den Ansprüchen der sozial-liberalen<br />
Reformpolitik Anfang der 70er Jahre auseinander, die sich zum Ziel gesetzt<br />
hatte, die »Chancengleichheit im Bildungswesen« sukzessive herzustellen. Sie beschreiben<br />
im weiteren die Tendenzen der Sozialdemontage als Unterminierung der<br />
Reformpolitik im Verlauf der 70er Jahre. Exemplarische Fallbeispiele belegen, daß die<br />
sozial-liberale Regierungskoalition durch entsprechende Gesetzesmaßnahmen (z. B.<br />
Haushaltsstrukturgesetz; Einführung und Erhöhung der Darlehensanteile bei der<br />
Bundesausbildungsförderung sowie der Einführung der Graduiertenförderung auf<br />
Darlehensbasis) eine »Reprivatisierung der Bildungskosten« bei gleichzeitigem Abbau<br />
reformerischer Bildungspolitik betreibt, wie sie von »rückwärtsgewandten« politischen<br />
Kräften in der Bildungspolitik gefordert wird. Die Reprivatisierung der Ausbildungskosten<br />
schafft einen »sozialen Numerus Clausus«, der den bürokratisch-administrativen<br />
noch verschärft, wovon in erster Linie die ohnehin benachteiligten Arbeiterkinder<br />
betroffen sind. Ferner wird nachgewiesen, daß sich zwar der individuelle<br />
Förderungsbetrag im Verlaufe der 70er Jahre erhöht hat, generell jedoch weniger Studenten<br />
gefördert werden. Abschließend werden verschiedene sozialpolitische Probleme<br />
der Studenten erörtert wie z. B. die Wohnungsfrage, Verpflegungsmängel, Gesundheits<strong>für</strong>sorge,<br />
ärztliche und psychotherapeutische Versorgung etc.<br />
Die von den Autoren angeführten theoretischen und empirischen Begründungen<br />
und Belege <strong>für</strong> die Selektion von Arbeiterkindern im bundesrepublikanischen Bildungssystems<br />
sind jedoch in sich nicht schlüssig und führen teilweise sogar zu widersprüchlichen<br />
Aussagen. Unklar bleibt <strong>für</strong> den Leser beispielsweise, wieso trotz der<br />
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