09.02.2013 Aufrufe

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

182 Wolfgang Fritz Haug<br />

Tendenz begriffen, zum einen die Nationwerdung voranzutreiben, zum andern (und<br />

zunehmend im Laufe seiner Entwicklung) die nationalen Schranken und Borniertheiten<br />

niederzureißen. Bei absoluter Toleranz in Fragen der nationalen Sprachen und<br />

Kultur wandte sich Lenin schärfstens gegen jeden Nationalismus, der gegenüber den<br />

Tendenzen zur U niversalisierung einen gefährlichen Rückschritt bedeutet. Lenins<br />

Stellung zur nationalen Frage ist nicht auf eine einfache Formel zu bringen, weil er den<br />

unvermeidlichen Widerspruch bejahte, der darin liegt, uneingeschränkt die nationalen<br />

Befreiungsbewegungen zu unterstützen vom Standpunkt des proletarischen Internationalismus.<br />

Dieser Widerspruch ist keiner im Sinne einer Ungereimtheit, ist<br />

nichts zu Vermeidendes, sondern ein vorantreibender Widerspruch des Lebens selbst.<br />

Lenins Lösungsvorschlag <strong>für</strong> die aus dem Widerspruch von nationaler Befreiung und<br />

Internationalismus hervorgehenden Probleme ist der radikale Demokratismus, im<br />

Sinne einer weitgehenden Selbstorganisation kultureller Einheiten im Rahmen umfassender<br />

staatlicher und wirtschaftlicher Zusammenhänge. Die Ausarbeitung dieser<br />

Vorstellung von Demokratismus im Sinne von lokaler Volks macht auf dem Boden<br />

spezifischer Gegebenheiten der Dritten Welt und im Rahmen einer Politik nationaler<br />

Entwicklung scheint mir aullerordentlich wichtig.<br />

Vom Standpunkt der politisch-revolutionären Entwicklung ist Europa in die Peripherie<br />

gerückt. Aber es wäre eine gefährliche Illusion zu glauben, daß die »europäischen<br />

Stadien« und die durch Europa hervorgebrachten Resultate einfach verworfen<br />

werden können. Die Gesellschaftsentwicklung gehorcht Gesetzen, die nicht ungestraft<br />

millachtet werden. Europa tritt an den Rand, aber »was uns vor allem fehlt"<br />

sind, wie Le Duan sagte, »Kenntnisse auf dem Gebiet der \'Virtschaft, der Wissenschaft<br />

und der Technik, Fähigkeiten auf dem Gebiet der Leitung«. Wir ergänzen: Und<br />

Kenntnisse der allgemeinen Determinanten politischen Handdns in einer Epoche, die<br />

vom Systemgegensatz von Kapitalismus und Sozialismus dominiert wird und gerade<br />

dadurch spezifische Kampf- und Entwicklungsmöglichkeiten <strong>für</strong> die nicht unmittelbar<br />

den Gegensatz der Systeme tragenden Länder definiert.<br />

Der Rückfall in regionalistische oder geopolitische Ideologien wird Ursache und<br />

Ausdruck dessen sein, dall einige Länder der Dritten Welt an die Seite des Imperialismus<br />

treiben. »Grollmacht" ist keine die entscheidenden Gesetzmäßigkeiten des politischen<br />

Handclns wiedergebende Kategorie. »Nord-Süd-Konflikt" ist es ebensowenig.<br />

Wer den Gegensatz der ökonomisch rückständigen Länder zu den ökonomisch<br />

entwickelten Lindern zum Hauptgegensatz erklärt und den von Kapitalismus und<br />

Sozialismus dahinter zum Verschwinden bringt, der schafft künstlich-illusionäre<br />

Einheiten. Denn die Dritte Welt ist nur durch ihre globale, welthistorisch bedingte<br />

Sonderstellung im Schatten des globalen Systemgegensatzes als Einheit zu betrachten.<br />

Außerhalb dieser Beziehung verliert die Einheit ihre Kraft. Die Dritte Welt fällt dann<br />

auseinander nicht nur in Staaten mit gegensätzlichen Gesellschaftsordnungen und nationalistisch<br />

gefärbten Konflikten, sondern vor allem auch in an Naturressourcen rei­<br />

che und arme Länder. 14 Das Denken im Nord-Süd-Gegensatz versucht aus der Logik<br />

der Geschichte auszusteigen. Es kann Krieg und Zerfall bedeuten, statt eine neue<br />

Weltwirtschafts ordnung, die die Entwicklungschancen einigermaßen gleichmäßig<br />

verteilt.<br />

Die von Marx entdeckte Logik der Geschichte ist keine eurozentristische Ideologie,<br />

obwohl die europäische Entwicklungsphase des Kapitalismus darin eine zentrale Stel-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!