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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Erziehungswissenschaften 287<br />

Planung durch den grundlegenden Strukturwiderspruch we,tlicher Industriegesellschaften<br />

eingeschränkt.<br />

Die Bezüge der drei Teilsysteme bleiben seltsam schematisch: Die durch <strong>das</strong> Bildungs<br />

system zu beschaffende Legitimation wird ausschließlich <strong>für</strong> <strong>das</strong> politische System<br />

(dessen Begriff unklar bleibt, aber weitgehend mit dem Staat identifiziert wird)<br />

zum Problem, <strong>das</strong> sich als "parteiloser Sachwalter« darstellen und die »Fiktion staatsbürgerlicher<br />

Gleichheit« verteidigen müsse (51) mit Hilfe des Leistungsprinzips als<br />

vermeintlich objektivem, neutralem und gerechtem Mechanismus zur Rechtfertigung<br />

der Ungleichheit (52). Hurrelmann gibt sich der Illusion hin, <strong>das</strong> Erziehungssystem<br />

könne diesem Konformitätsdruck prinzipiell widerstehen (77) unter der Voraussetzung,<br />

daß auf "die organisatorisch fixierten Interaktions- und Herrschaftsformen der<br />

Schulen und Hochschulen (!) selbst Einfluß genommen« wird (79). Wie und von wem<br />

bleibt offen. Die ökonomischen Funktionsanforderungen an <strong>das</strong> Erziehungssystem<br />

seien eindeutig dadurch bestimmt, daß »eine ausreichende Anzahl adäquat ausgebildeter<br />

und gegenüber den bestehenden ökonomischen Ordnungsverhältnissen loyaler<br />

Absolventen zum richtigen Zeitpunkt vom Erziehungssystem übernommen werden«<br />

könne (79). Aber auch hier verweise die Anarchie des (Arbeits-)Marktes jede konkrete<br />

und detaillierte Bedarfsplanung in die Schranken. Auch wenn Hurrelmanns Kritik<br />

an der These der »direkten Formbestimmtheit der Bildungsprozesse durch die Gesetze<br />

der ökonomischen Warenproduktion« in der Tat einen wunden Punkt der marxistischen<br />

Bildungsökonomie berührt, bringt sein lapidarer Hinweis auf die »öffentliche<br />

Organisation des Bildungswesens« und den spezifischen (immateriellen) Charakter<br />

der hier erworbenen Qualifikationen (95) keinen konkreten Erkenntnisgewinn.<br />

Die Kategorie des Warencharakters der Arbeitskraft scheint dem Autor ebenso ungeläufig<br />

zu sein wie er aus den eingeschränkten organisatorisch-formellen Abstimmungsmöglichkeiten<br />

auf mangelnde Funktionalität des Bildungswesens schließt<br />

(101).<br />

Bei der Abwägung von Klassen- und Schichtentheorie lehnt Hurrelmann die theoretische<br />

Ableitung des Klassenbegriffs zwar nicht grundsätzlich, aber als "<strong>für</strong> eine realsoziologische<br />

und gesellschaftspolitisch sensible <strong>Theorie</strong> der Gesellschaft ziemlich<br />

wertlos« ab (110). Als Begründung müssen die Ungereimtheiten der westdeutschen<br />

Einkommensstatistik herhalten. Weitgehende Unkenntnis offenbart sich überhaupt<br />

dort, wo der Autor sich einerseits von Marxschen Begriffen abgrenzt (z. B. Fn 10,<br />

109; Fn 11, 110), andererseits implizit unterstellt, der »orthodoxe Marxismus« habe<br />

Erscheinungen wie Kapitalkonzentration und "Staatsinterventionismus« nicht aufgearbeitet<br />

(24 f.). So ist auch nicht einsehbar, warum aus der mit der "kollektiven<br />

Emanzipation« der Arbeiterklasse verbundenen überwindung der Konstitutionsbedingungen<br />

ihrer Unterprivilegiertheit eine Veränderung - wenn nicht Verflüchtigung<br />

- proletarischer Tugenden (z. B. solidarischem Verhalten) folgt (123 H.).<br />

Die Kapitel 3 und 4 befassen sich mit Organisations- bzw. Interaktionsstrukturen<br />

der Erziehungsinstitutionen. Hurrelmann kann hier u. a. sehr fein zeigen, wie sich<br />

auf der Grundlage von Leistungsbeurteilungen stereotype Vorurteile gegenüber<br />

Schülern herausbilden, die sich mit allgemeinen Kategorien der Persönlichkeitsbeurteilung<br />

verbinden, wiederum auf die Leistungsmotivation der Schüler zurückschlagen<br />

und schließlich deutlich mit der Trennungslinie Unter- bzw. Mittclschicht zusammenfallen<br />

(186 ff.).<br />

Wer über die Zusammenfassung der Ergebnisse der »modernen Sozialwissenschaften«<br />

hinaus neue Erkenntnisse und Einsichten erwartet, sieht sich enttäuscht. Trotz<br />

der genannten Einschränkungen stellt jedoch der Versuch, die verschiedenen Dimensionen<br />

gesellschaftlich organisierter Sozialisation auf einen Nenner zu bringen, einen<br />

wichtigen Diskussionsbeitrag dar. Gerhard Schreier (Dortmund)<br />

DAS ARGU\!EI'T 114/1979 e

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