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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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218 Frank Suffa-Friedel<br />

Paradoxerweise führte die »Kultur«revolution vor allem zur Deformation des kulturellen<br />

Lebens: statt Kunst und Wissenschaft zu befreien und die kulturellen Bedürfnisse<br />

der Massen besser zu befriedigen, wurden sie eingeschränkt. Die meisten Zeitschriften<br />

verschwanden, die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen und der<br />

künstlerischen Veröffentlichungen und Werke aus Literatur, Film, Theater etc. ging<br />

stark zurück (76). Da die Lektüre ausländischer Bücher und Zeitschriften eingeschränkt<br />

wurde - so durften etwa <strong>für</strong> den Deutschunterricht am Germanischen Seminar<br />

der Universität Peking keine deutschen Originalquellen verwandt werden, sondern<br />

nur übersetzungen chinesischen Propagandamaterials - und die Versorgung der<br />

Universitäten und Schulen durch einschränkende Kontrollen von fachlich meist inkompetenten<br />

Kadern, die die Positionen der entfernten »revisionistischen Autoritäten«<br />

eingenommen hatten, vollständig mangelhaft war, sank die politische und fachliche<br />

Qualifikation der Schüler und Hochschüler nachhaltig. Der Druck auf die Angehörigen<br />

der Propagandaapparate und der Medien wurde mit der Zeit so stark, daß sich<br />

diese, um keine »Abweichungen« zu begehen, immer mehr von der gesellschaftlichen<br />

Realität entfernten und sich damit begnügten, die stets gleichen stereotypen Phrasen<br />

zu variieren, was schließlich dazu führte, daß »es immer weniger Menschen« gab, »die<br />

noch lasen oder zuhörten« (125 Burton).<br />

Auch auf ökonomischem Gebiet ist der Einfluß der KR als eher negativ anzusehen.<br />

Bettelheim, der behauptet, daß ihre ökonomische Gesamtbilanz sehr positiv sei, zieht<br />

diese Gesamtbilanz in Wirklichkeit nicht. Um die Behauptung der neuen Führung zu<br />

widerlegen, »die Sabotage der> Viererbande< « hätte zu einer »anhaltenden Stagnation,<br />

ja selbst Regression der nationalen ökonomie« geführt (54), zitiert Bettelheim aus<br />

Schätzungen der CIA 4 über die wirtschaftliche Entwicklung Chinas von 1965 -1976<br />

und führt die Produktionssteigerung in sechs Schlüsselsektoren (Elektrizität, Stahl,<br />

Kohle, Maschinenbau, Traktoren, Handelsschiffe) von durchschnittlich 8-12 % pro<br />

Jahr an. Er unterläßt es aber, andere ökonomische Indices anzuführen, die es nahelegen,<br />

<strong>das</strong> gesamtwirtschaftliche Wachstum weitaus geringer einzuschätzen. Das<br />

Hauptproblem der Wirtschaft der kulturrevolutionären Phase scheint in der mangelnden<br />

Koordination der einzelnen betrieblichen Einheiten und Branchen (Disproportionalitäten,<br />

geringe Kapazitätsauslastung infolge von Zulieferschwierigkeiten<br />

etc.) und der geringen Qualität bei vielen, nicht der zentralen Lenkung und Förderung<br />

unterliegenden Bereichen der Leichtindustrie und der Nebenproduktion bestanden<br />

zu haben. Inzwischen liegen zahlreiche Berichte sowohl der chinesischen<br />

Presse als auch von in China arbeitenden Ausländern vor, die belegen, daß die Produkte<br />

vieler Betriebe - offenbar durch mangelnde Qualitätskontrollen und dem<br />

Sich-breit-machen einer Art »Tonnenideologie« - von schlechter Qualität bzw. vollständig<br />

unbrauchbar waren. So berichtete die chinesische Presse etwa von der vorläufigen<br />

Schließung einer Traktorenfabrik (und der Absetzung des zuständigen Partei sekretärs)<br />

in Kanton, in der seit ihrer Gründung im Jahre 1966 über 7000 Traktoren<br />

produziert wurden, von denen kein einziger funktionstüchtig und ohne Mängel war. 5<br />

Daß die ökonomische Bilanz keineswegs »sehr positiv« war, wirkte sich auch dahingehend<br />

aus, daß <strong>das</strong> materielle Lebensniveau der Bevölkerung nicht spürbar gehoben<br />

werden konnte und die Versorgung mit den Grundlebensmitteln noch nicht vollständig<br />

gesichert ist.

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