das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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196 Gerhard Hauck<br />
schen den Begriffen "Produktionsweise« und »Gesellschaftsformation«: eine "Gesellschaftsformation«<br />
könne verschiedene "Produktionsweisen« umfassen, doch in<br />
diesem Falle »würde eine marxistische Konzeption einen Widerspruch zwischen beiden<br />
postulieren - die eine im Aufstieg, die andere im Prozeß der Desartikulation« .<br />
»Aber die Realität der ... Dritten Welt ist gerade die, daß die ,feudale< Produktionsweise<br />
in der Landwirtschaft dem Imperialismus zu Diensten ist, statt in antagonistischem<br />
Gegensatz zu ihm zu stehen.« (Alavi 1975, 1247) Nun weiß ich nicht, wo - und<br />
weshalb - Marx so etwas postuliert haben sollte. Nach meiner Kenntnis benutzte er<br />
beide Ausdrücke - "Produktionsweise« und "Gesellschaftsformation« - in nahezu<br />
identischer Art und \Y! eise 3 ; und beispielsweise "sklavenhalterische« und »asiatische«<br />
Produktionsweise koexistierten in den hellenistischen Imperien und in Rom fraglos<br />
viele Jahrhunderte lang Seite an Seite (cf. Finley, 70). In jedem Fall ist festzuhalten,<br />
daß sogar in Westeuropa der Aufstieg des Kapitalismus und die korrespondierende<br />
Desintegration des Feudalismus ein über viele Jahrhunderte sich erstreckender Prozeß<br />
war (von den ersten Manufakturen in Norditalien und den Niederlanden bis hin<br />
zur »industriellen Revolution«); und wir sind einfach nicht in der Lage, apriori die<br />
Möglichkeit auszuschließen, daß <strong>das</strong> weitere Vordringen der Warenproduktion in die<br />
hybrid-traditionellen Sektoren der "Dritten Welt« diese in zweihundert Jahren so<br />
weit desintegriert und transformiert haben wird, daß sie wenigstens ebenso »kapitalistisch«<br />
sind wie die landwirtschaftliche Produktion im heutigen Westeuropa. Außerdem<br />
können nicht nur in einer aus verschiedenen "Produktionsweisen« bestehenden<br />
"Gesellschaftsformation«, sondern auch in einer einzigen "Produktionsweise« (etwa<br />
der kapitalistischen) durchaus antagonistische Widersprüche existieren - trotz aller<br />
"Einheit«. Es erscheint fruchtbarer, nach den Mechanismen zu suchen, welche (mit<br />
Godelier zu sprechen) die "Einheit jener Gegensätze« in den peripheren Gesellschaften<br />
zustande bringen.<br />
Ein erster Mechanismus dieser Art ist leicht zu identifizieren - und hier scheint<br />
wieder übereinstimmung zu herrschen: der "traditionelle« Sektor ist ein hochgeschätzter<br />
Lieferant von billiger Arbeitskraft; "seine Existenz senkt die Kosten <strong>für</strong> die<br />
Reproduktion der Arbeitskraft und daher <strong>das</strong> erforderliche Lohnniveau in der kolonialen<br />
Okonomie« (Alavi 1975, 1257; cf. Amin 1973, Cordova, Meillassoux etc.). Der<br />
Grund ist - wie Meillassoux am klarsten gezeigt hat - daß der "traditionelle« Sektor<br />
die Kosten <strong>für</strong> die Reproduktion der zukünftigen Arbeitskraft (die Aufzucht der Kinder)<br />
übernimmt und ebenso die Kosten <strong>für</strong> die Erhaltung der Arbeitskraft in Zeiten<br />
der Nicht-Beschäftigung (Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter), so daß <strong>das</strong> Kapital<br />
diese Kosten, welche in industriell entwickelten kapitalistischen Gesellschaften aus<br />
Gründen der Systemerhaltung im Lohn enthalten sein müssen, einsparen kann. Dies<br />
führt zu funktionaler Interdependenz der beiden Sektoren untereinander: <strong>das</strong> Kapital<br />
benötigt den "traditionellen" Sektor als Lieferanten billiger Arbeitskraft, und der<br />
»traditionelle« Sektor benötigt <strong>das</strong> Kapital als Anbieter von Arbeitsplätzen; denn<br />
wenn die Emigration aus dem »traditionellen« in den »modernen« Sektor einmal einen<br />
gewissen Umfang erreicht hat, nimmt der Umfang der zuhause zur Verfügung<br />
stehenden Arbeitskraft notwendigerweise ab, einige der früher selbstgefertigten Produkte<br />
können nicht mehr zuhause produziert werden und müssen als Waren importiert<br />
werden, so daß ein gewisses Emigrationsniveau um des schieren überlebens der<br />
Gemeinschaft willen aufrecht erhalten werden muß. Hier liegt nun fraglos »Einheit«