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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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324 Besprechungen<br />

In sieben Kapiteln leuchtet Jungk <strong>das</strong> vielfältige Spektrum der nuklearen Gefahr<br />

aus, die er in eindringlicher Weise exemplarisch an einigen Aspekten darstellt. Angefangen<br />

von den Kontaminationsgefahren, denen die Arbeitenden in KK W sausgesetzt<br />

sind, über die skrupellose Unbekümmertheit eines "neuen Typ(s)« (45) von Wissenschaftlern,<br />

der in unverantwortlicher Weise immer riesigere und risikoträchtigere<br />

Projekte proklamiert, entfaltet er den Bedrohungszusammenhang bis hin zu den politischen<br />

Konsequenzen, die aus der Notwendigkeit resultieren, die gewaltigen Sicherheitsrisiken<br />

der Atomindustrie zu minimieren. Die verschiedensten Manipulationen<br />

werden aufgedeckt, die "liveware« (78) Mensch den Anforderungen der atomaren<br />

Gesellschaft anzupassen, sei es, um ihn als "Fehlbarkeitsfaktor« (76) im industriellen<br />

Verfahren auszuschalten, sei es, um Protest und Widerstand zu neutralisieren. Dabei<br />

erwächst aus der stetigen, weltweiten Proliferation der Kerntechnologie, bei der die<br />

BRD eine unrühmliche Rolle einnimmt, eine neue und entscheidende Bedrohung, deren<br />

Potential die Tendenzen des Abbaus demokratischer Rechte und Freiheiten auf<br />

die Spitze treibt. Die Abwehr potentieller »Atomterroristen« (158) macht ein umfassendes<br />

System präventiver Sicherheitsvorkehrungen, lückenloser überwachung und<br />

zunehmender rechtlicher Restriktionen erforderlich, wodurch der Rechtsstaat in ein<br />

totalitäres Herrschaftssystem transformiert wird, die potentiellen Gefahren aber keineswegs<br />

völlig ausgeräumt werden können. Am Beispiel der emporschnellenden Spirale<br />

der »inneren Rüstung" (166) zeigt Jungk, daß dies längst eine reale, ernstzunehmende<br />

Entwicklung ist.<br />

Die von J ungk vorgelegten Fakten zeichnen ein beklemmendes Bild atomarer Realitäten,<br />

<strong>das</strong> die Notwendigkeit des Widerstandes dagegen augenfällig macht. Allerdings<br />

bleibt Jungks diesbezügliches Engagement bei moralisierender Empörung stehen.<br />

Er reduziert den Ursprung allen übels auf die rein stofflichen Bedingungen und<br />

Probleme des nuklearen Brennstoffkreislaufs. Für ihn hat die Beherrschung der Natur<br />

durch den Menschen mit der Kernspaltung offensichtlich ihr Ende gefunden. Wenngleich<br />

er den Ideologien eine scharfe Absage erteilt, die ihre Legitimation aus einer<br />

vorgegebenen technischen Sachgesetzlichkeit gewinnen, sitzt er in Bezug auf die<br />

Kernenergie selbst der Vorstellung der »Technik als Herrschaft" auf. Der Verzicht,<br />

die spezifischen gesellschaftlichen Verhältnisse zu thematisieren, und die Beschränkung<br />

auf Deskription und beschwörende Appelle laufen dabei gleichsam in einer nuklearen<br />

Konvergenztheorie zusammen, nach der die geschilderten Tendenzen<br />

zwangsläufig und systemunspezifisch im »Atomstaat« münden müssen. Das Resultat<br />

dieser Sichtweise, die im Vorwort skizziert wird, offenbart der Ausblick, in dem<br />

Jungk seine alternativen Vorstellungen unterbreitet. Die Unfähigkeit, die aufgeführten<br />

Gefahren als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse zu bestimmen, in denen die<br />

Verwertung des Werts dominierendes Motiv und alleiniger Zweck ist, endet prompt<br />

in sozialutopischer Schwärmerei. Wer die Verhältnisse des staatsmonopolistischen<br />

Kapitalismus bereits mit Kategorien wie »Produktionsgesellschaft« (208) erfaßt zu<br />

haben glaubt, kann auch in den Idealen der "neuen Internationale« (202), wie Jungk<br />

<strong>das</strong> weltweite Potential von Umweltschützern, Kernkraftgegnern und Be<strong>für</strong>wortern<br />

einer »sanften Technik" definiert, die Zielforderungen ausmachen, die dem Kampf<br />

gegen die gesellschaftlichen Ursachen und Gefahren der Kernenergie zum Erfolg verhelfen<br />

sollen. "Menschliche Schöpferkraft statt Atomkraft" (209) wird dann zum zusammenfassenden<br />

strategischen Leitbild - als wäre Atomkraft Produkt un-menschlieher<br />

Schöpferkraft. Wer die Befreiung des Menschen von gesellschaftlichen Zwängen<br />

fordert, muß jedoch die gesellschaftlichen Bedingungen aufdecken, die dies verhindern<br />

und diejenigen gesellschaftlichen Voraussetzungen - gesellschaftliche Verfügung<br />

und demokratische Kontrolle der Produktionsmittel- benennen, die da<strong>für</strong> zuallererst<br />

erkämpft werden müssen. Bleibt Jungks Beitrag in dieser Hinsicht theoretisch unzu-

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