das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Soziologie 279<br />
tanniens, Frankreichs und Deutschlands bzw. der Bundesrepublik. Einleitend werden<br />
einige soziologische <strong>Theorie</strong>n (normorientierte, verhaltenstheoretische) und<br />
Herangehensweisen an den Gegenstand (Industrial Relations-Forschung) problematisiert<br />
und die Notwendigkeit historischer und vergleichender Analyse begründet.<br />
Horke unterscheidet bei der Behandlung der Soziologie der Gewerkschaftsentwicklung<br />
drei Etappen: einmal den Konstitutionsprozeß, den sie in seiner widersprüchlichen<br />
Bestimmtheit durch die Veränderung der feudalen in die kapitalistische<br />
Klassenstruktur einerseits und die Dominanz zünftlerischer Vorstellungen andererseits<br />
darstellt. Die zweite Etappe beschreibt sie als »<strong>Institut</strong>ionaliserung des industriellen<br />
Konflikts« (55 passim), eine Klassifizierung, die <strong>für</strong> die weitere Darstellung<br />
in mehrfacher Hinsicht signifikant ist: einmal <strong>für</strong> die Dominanz des Konflikts marktförmig<br />
organisierter Interessen gegenüber dem betrieblichen Konflikt, <strong>für</strong> die Integrationsstrategie<br />
seitens des bürgerlichen Staates und <strong>für</strong> die Wandlung des gewerkschaftlichen<br />
Selbstverständnisses und ihrer Organisations- und Handlungsstrukturen.<br />
Die Ausweitung des tertiären Sektors und <strong>das</strong> zunehmende Gewicht des Staates<br />
als Arbeitgeber und Tarifvertragspartei haben erneut einen qualitativen Wandel der<br />
Arbeits- und Sozialstruktur und damit einen Funktionswandel der Gewerkschaften<br />
bewirkt. Diese Veränderungen sind Indikatoren eines »grundlegenden Wandels des<br />
Charakters der Lohnarbeit« (88), den die Autorin aus den wirtschafts- und sozialpolitischen<br />
Aktivitäten des Staates zum Zwecke der Einkommenssicherung ableitet.<br />
Gegenstand des 2. Kapitels »Soziologie der Gewerkschaftstheorie« ist die Entwicklung<br />
der gesellschaftlichen Dimensionen der <strong>Theorie</strong>bildung, welche Horke einerseits<br />
als »Produkt raum-zeitlicher Bedingungen« erfaßt, aber auch ihre »historisch<br />
aktive Rolle« hervorhebt (95). Nach einem überblick über die Gewerkschaftsgeschichte<br />
der genannten Länder sieht sie <strong>für</strong> die deutsche Entwicklung eine »legalistisch-institutionalistische<br />
Tradition« (137, 138) als charakteristisch an, wesentlich<br />
befördert durch die Bismarcksche Politik der Repression und Integration und ausgedrückt<br />
in der historischen Kontinuität der Mitbestimmungsforderung. Zwar nennt<br />
die Autorin Lassalle als »geistigen Vater« dieser theoretischen Tradition, geht jedoch<br />
auf <strong>das</strong> Verhältnis von <strong>Theorie</strong>bildung in der Arbeiterbewegung und Entwicklung des<br />
politischen Herrschaftssystems nicht näher ein. Das wäre allerdings erforderlich, um<br />
die Bedeutung nationaler Besonderheiten in Geschichte und <strong>Theorie</strong> der Gewerkschaften<br />
zu bestimmen. In der weiteren Darstellung werden marxistische <strong>Theorie</strong>n<br />
nur gestreift, wogegen den Industrial Relations-Konzeptionen breiter Raum gewidmet<br />
wird.<br />
In der vergleichenden Darstellung nationaler Organisationsstrukturen tri tt die Betriebsferne<br />
der westdeutschen Gewerkschaften hervor. Die Autorin analysiert gesellschaftliche<br />
Determinanten der Gewerkschaftsentwicklung, wobei deren vielfältig<br />
vermittelte Abhängigkeit von den kapitalistischen Zielsetzungen des Arbeitsprozesses<br />
deutlich wird. - Grundlage des Kapitels »Soziologie des Gewerkschaftshandelns«<br />
sind Interpretationen, die, ausgehend von dem feststellbaren weiteren Funktionszuwachs<br />
des Staates in der kapi talistischen Gesellschaft nach 1945, diesen als" W ohlfahnsstaat«<br />
(294, 298 passim) kennzeichnen, in dem eine »Gleichstellung der Faktoren<br />
Kapital und Arbeit« (297) erreicht sei und infolge "wachsender Verflechtung von<br />
Staat und Wirtschaftspartnern« (336) die gewerkschaftliche Lohnpolitik und Streiks<br />
an Bedeutung verloren habe zugunsten "kommerzieller Dienstleistungen und kultureller<br />
... Aktivitäten« (295). Angesichts des Verschwindens "des polaren Gegensatzes<br />
als Konfliktursache und -motiv" werde die »Humanisierung und Demokratisierung<br />
der Arbeitswelt" (360), d. h. die Hinwendung zu arbeitsplatzspezifischen Problemen<br />
zur Hauptaufgabe gewerkschaftlicher Betätigung.<br />
DAS ARGUMENT 114/1979 ©