das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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296 Besprechungen<br />
auf die individuelle Rationalität verlassen, sondern muß als motivierende oder zumindest<br />
modifizierende und unser Verhalten bestimmende Kraft auf eine Zwangs regelung<br />
oder einen moralischen Imperativ zurückgreifen« (147).<br />
Die Arbeit hat den Charakter eines Essays. Sie führt sozialwissenschaftliche Ergebnisse<br />
und Statistiken an - zielt jedoch nicht auf streng wissenschaftliche Beweise. Weder<br />
zur fragwürdigen Vermittlung sozialer Unzufriedenheit mit mangelnder Erregungsveränderung<br />
noch zur Erklärung aktueller Verhaltenstendenzen werden systematisch<br />
andere vorliegende <strong>Theorie</strong>n erörtert. Vielmehr beruhen nicht wenige Argumentationsketten<br />
auf apodiktischen Feststellungen wie »In den entwickelten Industrienationen<br />
gibt es nur noch wenige Menschen, die eine zu strapaziöse Arbeit verrichten«<br />
(83) oder »Der Güterausstoß wird letztlich immer der Kaufbereitschaft der<br />
Konsumenten entsprechen, während sich die Qualität der produzierten Güter genau<br />
den Vorstellungen und Wünschen der Konsumenten anpaßt« (179). Gebrauchswert<br />
haben so allenfalls Einzeldaten zum american way of life. Der Charakter der Arbeit ist<br />
mitbestimmt durch selbstgerechte und klopffechterische Plattheiten. »Einerseits sind<br />
wir ... gar nicht so selbstsüchtig und haben unsere Großzügigkeit und unser Interesse<br />
am Wohlergehen anderer Länder schon unzählige Male bewiesen« (176). Zynisch<br />
auch die nebenbei gemachte Bemerkung, von den Alten seien 47% arm, »während der<br />
Anteil der Armen an der übrigen Bevölkerung nur siebzehn Prozent beträgt« (103).<br />
Titel und Untertitel führen die Erwartungen ziemlich in die Irre - die Diskussion um<br />
»die Bedürfnisse des Menschen« kann von Scitovskys Thesen kaum profitieren.<br />
Kaspar Maase (München)<br />
Keupp, Heinrich: A bwe i ch ung un d A l!tags ro u ti n e - di e Lab e lin g<br />
Perspektive in <strong>Theorie</strong> und Praxis. Hoffmann u. Campe Verlag, Hamburg<br />
1976 (239 S., br., 24,80 DM).<br />
Das Buch gliedert sich in zwei große Teile: Zunächst geht es um <strong>Theorie</strong>n über die<br />
gesellschaftliche Konstruktion von Devianz, um deren Darstellung und Kritik. Sodann<br />
wird die hier entwickelte Devianzperspektive exemplarisch in den Bereichen<br />
Schule und Krankheit angewandt. Als eine wesentliche Perspektive in der gegenwärtigen<br />
Diskussion um Devianzforschung wird zunächst der Labelingansatz dargestellt.<br />
Dieser ist allerdings kaum verständlich »ohne Kenntnis jener theoretischen Positionen<br />
in der Devianzforschung, auf die er sich selbst als Reaktion versteht«. (17) Es wird<br />
daher in einem ersten Schritt <strong>das</strong> theoretische Verständnis der »normativen« Soziologie<br />
dargestellt, um auf diesem Hintergrund die interaktionistische Antwort deutlich<br />
herausarbeiten zu können. Der Kerntatbestand dieser Antwort lautet: »Der Begriff<br />
>Abweichung< bezieht sich auf soziale Konstruktion von Normativität und schließt<br />
sowohl den Abweichenden als auch dessen soziales Umfeld mit ein« (31). Keupp stellt<br />
<strong>das</strong> grundlegende Konzept und die Prämissen der Labeling-Perspektive dar: Alltagswirklichkeit,<br />
Situation und Verhältnis von Norm und Situation werden zum Forschungsgegenstand<br />
gemacht, Realismus und Naturalismus als Kernpunkt des Selbstverständnisses<br />
der Verfahrensweise werden von verschiedenen Autoren hervorgehoben.<br />
In der Kennzeichnung der Labeling-Perspektive als neues Paradigma in der sozialwissenschaftlichen<br />
Diskussion sieht Keupp eine erhebliche überzeichnung. Er<br />
belegt dies in einem überblick über die sozialwissenschaftliche Paradigmadiskussion.<br />
(51 H.) Aufgrund des Standes der Entwicklung in den Sozialwissenschaften könne lediglich<br />
von Perspektive gesprochen, der Paradigmabegriff noch nicht angewendet<br />
werden.<br />
Exemplarisch wird an der <strong>Theorie</strong> Scheffs <strong>das</strong> Problem der psychischen Störung in<br />
der Labeling-Perspektive erörtert und eine exemplarische Kritik entfaltet. (70) Ihre<br />
Kernpunkte sind der Vorwurf des Phänomenalismus, des Formalismus und des Idea-