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Wegweiser zur Geschichte: Afghanistan - MgFa

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Mündliche Tradierung von <strong>Geschichte</strong><br />

lung darüber, welche Taten in einer ehemals nomadischen Stammesgesellscha<br />

als gut und welche als schlecht anzusehen sind,<br />

durch welche Werte sich die Belutschen also gegenüber anderen<br />

Bevölkerungsgruppen auszuzeichnen glauben.<br />

Nicht nur die Ursprünge eines Volkes oder besonders geschätzte<br />

Abschnie aus einer länger <strong>zur</strong>ückliegenden Vergangenheit<br />

sind Gegenstand mündlicher Überlieferungen, sondern<br />

auch Ereignisse der jeweiligen Lokal- und Zeitgeschichte. So<br />

sind Lieder überliefert, in denen der Kampf gegen die britischen<br />

Invasoren beschrieben wird, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert<br />

drei Kriege gegen <strong>Afghanistan</strong> führten. Mitunter werden<br />

die Ereignisse so detailgetreu geschildert, dass man ihren Verlauf<br />

anhand der Lieder genau rekonstruieren kann. Sogar Jahreszahlen<br />

werden gelegentlich genannt. Als der französische<br />

Forscher James Darmesteter im ausgehenden 19. Jahrhundert<br />

als erster europäischer Wissenschaler eine Sammlung mit historischen<br />

Liedern der Paschtunen veröffentlichte, war er fest<br />

davon überzeugt, dass kaum eine ernst zu nehmende Untersuchung<br />

<strong>zur</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>Afghanistan</strong>s geschrieben werden könne,<br />

solange die Folklore unberücksichtigt bliebe. Wörtlich schrieb<br />

er: »Stellen Sie sich einen Historiker vor, der über die Französische<br />

Revolution schreibt und die Marseillaise nicht kennt.«<br />

Diese Lieder wurden in zeitlicher Nähe zu den beschriebenen<br />

Ereignissen verfasst, weshalb die Protagonisten im Unterschied<br />

zu den oben erwähnten Epen nur selten eine übermäßige Idealisierung<br />

erfahren. Der Blickpunkt ist o lokal begrenzt, was<br />

ebenfalls mit der Entstehungsgeschichte verbunden ist. Die Lieder<br />

wurden von lokalen Autoren verfasst, die sie in einer Zeit,<br />

da Rundfunk oder Kasseenrekorder noch vollkommen unbekannt<br />

waren, als Autorenlieder meistens nur in ihrer jeweiligen<br />

Heimatregion vortrugen.<br />

Persischsprachige Dichter haben unter dem Eindruck des<br />

Kampfes gegen die britischen Invasoren eine spezielle Gaung<br />

von Kriegsepen (Dschangnama) geschaffen, die sich in Form<br />

und Inhalt am klassischen Vorbild des Schahnama orientieren.<br />

Welch propagandistischer Einfluss dieser Dichtung beigemessen<br />

wurde, lässt sich daran ermessen, dass die Briten ihrerseits persische<br />

Autoren bezahlten und ähnliche Werke verfassen ließen,<br />

die dann natürlich britische Interessen idealisieren sollten.<br />

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