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Bericht der Kommission »Familie und demographischer Wandel

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Ohne ihre kritische Perspektive in allen<br />

Einzelheiten zu teilen, liefert vermutlich die<br />

These von Tamara Hareven eine gute<br />

Beschreibung dieses spannungsgeladenen<br />

Wechselverhältnisses von bürgerlicher Freiheit<br />

<strong>und</strong> dem Regelungsanspruch eines vorm<strong>und</strong>schaftlichen<br />

Staates, von Menschen in<br />

ihren individuellen Beziehungen <strong>und</strong> Bindungen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Vorstellung <strong>der</strong> staatlichen<br />

Akteure, dies nur in gesetztem Rahmen zu<br />

realisieren. Zu allen Zeiten <strong>der</strong> Geschichte<br />

hätten Individuen <strong>und</strong> Familien versucht,<br />

ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu<br />

gestalten, <strong>und</strong> seien dabei immer mit dem<br />

Problem konfrontiert gewesen, dass die<br />

Obrigkeit, aus welchen Gründen auch<br />

immer, mit diesen Formen <strong>der</strong> Lebensgestaltung<br />

nicht immer einverstanden war.<br />

Dieser historische Hinweis ist von beson<strong>der</strong>er<br />

Bedeutung. Denn vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />

dieser Perspektive wird deutlich, dass zu<br />

jedem Zeitpunkt gesellschaftlicher Entwicklungen,<br />

ob im 19. o<strong>der</strong> späten 20. o<strong>der</strong> jetzt<br />

im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t, entschieden werden<br />

muss zwischen <strong>der</strong> individuellen Verantwortlichkeit<br />

für an<strong>der</strong>e auf <strong>der</strong> Basis von<br />

eigenständigen individuellen Entscheidungen<br />

o<strong>der</strong> staatlicher Kontrolle <strong>und</strong> Unterordnung.<br />

Wir neigen heute eher zu <strong>der</strong><br />

Überzeugung, dass die Antworten des 19.<br />

o<strong>der</strong> 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts nicht mehr angemessen<br />

sind. Das würde jedoch bedeuten: Die<br />

These vom Zerfall <strong>der</strong> wechselseitigen<br />

Unterstützungsleistungen, die zu <strong>der</strong> Antwort<br />

führt, heute sei nur noch <strong>der</strong> Staat in<br />

<strong>der</strong> Lage, solche Unterstützungsleistungen<br />

sicherzustellen, kann nur dann zutreffen,<br />

wenn man die Antworten aus dem 19. <strong>und</strong><br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>t auf den im Subsidiaritätsprinzip<br />

angelegten Konflikt auch heute noch<br />

als in sich richtig einschätzt.<br />

Tatsächlich müssen wir, wie in den vorhergehenden<br />

Kapiteln ausgeführt, heute davon<br />

ausgehen, dass wir in einer globalen Gesellschaft<br />

leben. Sie stellt uns vor neue Herausfor<strong>der</strong>ungen.<br />

Vor <strong>der</strong>en Hintergr<strong>und</strong><br />

erscheint es geboten, auch hier die These<br />

zu formulieren, dass eine Rückkehr in die<br />

Strukturen <strong>und</strong> Diskussionen um staatliche<br />

Unterstützungsleistungen versus bürgerliche<br />

Selbstorganisation wie im 19. <strong>und</strong><br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>t nicht <strong>der</strong> richtige Weg ist.<br />

Vielmehr sind wir darauf angewiesen,<br />

Lösungen <strong>und</strong> Perspektiven zu entwickeln,<br />

die <strong>der</strong> Gegenwart entsprechen <strong>und</strong><br />

zugleich eine gewisse Zukunftssicherheit<br />

geben.<br />

Für Familienforschung, Familienpolitik <strong>und</strong><br />

auch weite Teile <strong>der</strong> Öffentlichkeit steht<br />

fest, dass eine Rückkehr zu den Lebensformen<br />

des 19. <strong>und</strong> frühen 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

ausgeschlossen ist. Denn die Gleichstellung<br />

<strong>der</strong> Geschlechter, die Flexibilisierung <strong>der</strong><br />

Ökonomie mit neuen Berufen, die Bildungsinvestitionen<br />

in die nachwachsende Generation<br />

<strong>und</strong> die hier im Einzelnen beschriebenen<br />

Migrationsprozesse haben dazu<br />

geführt, dass die Individuen auch versuchen<br />

müssen, auf diese neuen Entwicklungen<br />

neue, passende Antworten zu finden. Die<br />

Familienpolitik muss versuchen, <strong>der</strong> Vielfalt<br />

angemessene Rahmenbedingungen zu<br />

schaffen. Demgegenüber scheinen viele <strong>der</strong><br />

aktuell geäußerten Theorien im Bereich <strong>der</strong><br />

Sozialpolitik wie auch die konkrete Sozialpolitik<br />

selbst immer noch in den Vorstellungen<br />

des späten 19. <strong>und</strong> frühen 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

gefangen zu sein, als man noch<br />

glaubte, mit relativ generellen Lösungen für<br />

große Bevölkerungsgruppen die Sicherheit<br />

auch für die kleinen Lebenskreise zu<br />

gewährleisten.<br />

Die Gesetzgebung zu Hartz IV ist dafür ein<br />

gutes Beispiel. Die Vorstellung, dass einheitlich<br />

in Deutschland ein individuelles, für<br />

alle geltendes, ohne Berücksichtigung<br />

beson<strong>der</strong>er Lebensumstände festzulegendes<br />

Existenzminimum für jedes Individuum<br />

definiert werden kann, hat dazu geführt,<br />

dass die Sozialgerichte überlastet sind.<br />

Denn nun ist die Gerichtsbarkeit aufgerufen,<br />

die beson<strong>der</strong>en Lebensumstände unter-

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