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Bericht der Kommission »Familie und demographischer Wandel

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2 Neue Formen <strong>der</strong> Fürsorge<br />

Der wichtigste Bereich, in dem das Subsidiaritätsprinzip<br />

seine Wirkung entfaltet,<br />

sind die Familie <strong>und</strong> die wechselseitigen<br />

Unterstützungsleistungen <strong>der</strong> Familienmitglie<strong>der</strong><br />

füreinan<strong>der</strong>. Die klassische These<br />

von Tocqueville, die Eltern seien die »Caretaker«<br />

für ihre Kin<strong>der</strong>, um es ihnen zu<br />

ermöglichen, möglichst schnell selbständig<br />

<strong>und</strong> unabhängig von den Eltern <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Autoritäten die gleichen staatsbürgerlichen<br />

Rechte in Anspruch zu nehmen wie<br />

die Eltern, wird in mo<strong>der</strong>nen Gerechtigkeitstheorien<br />

fortgeführt <strong>und</strong> begründet<br />

(Rawls 1972). Denn die Fähigkeit, gleichberechtigt,<br />

selbstbewusst <strong>und</strong> unabhängig von<br />

an<strong>der</strong>en die eigenen Rechte wahrnehmen zu<br />

können, hat die Entwicklung von Selbstachtung<br />

zur Voraussetzung. Diese Selbstachtung<br />

können Kin<strong>der</strong> nach Rawls aber nur<br />

dann entwickeln, wenn die Eltern ihre Kin<strong>der</strong><br />

um ihrer selbst willen lieben <strong>und</strong> Fehler,<br />

Irrtümer o<strong>der</strong> auch das Scheitern <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong> bei bestimmten Aufgaben nicht als<br />

einen Teil <strong>der</strong> Eltern-Kind-Beziehung<br />

betrachten. In <strong>der</strong> unbedingten Eltern-Kind-<br />

Beziehung können sich die Kin<strong>der</strong> auch bei<br />

Fehlern darauf verlassen, dass ihre Beziehung<br />

<strong>und</strong> die Zuneigung zu den Eltern<br />

sowie die bestehenden Bindungen nicht in<br />

Frage gestellt werden.<br />

Dass in <strong>der</strong> empirischen Realität solche Entwicklungsprozesse<br />

aus vielerlei Gründen<br />

gestört werden können <strong>und</strong> damit auch die<br />

kindliche Entwicklung zu Selbstachtung<br />

gefährdet wird, stellt dieses Gr<strong>und</strong>theorem<br />

<strong>der</strong> kindlichen Entwicklung nicht in Frage.<br />

Bronfenbrenner, wohl einer <strong>der</strong> wichtigsten<br />

Vertreter <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Entwicklungspsychologie<br />

im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t, hat gezeigt,<br />

dass Kin<strong>der</strong> für ein stabiles Selbstkonzept<br />

mit dieser Selbstachtung zumindest eine<br />

Person benötigen, die »crazy« für dieses<br />

Kind ist (Bronfenbrenner/Morris 2000).<br />

Dabei konnte sich Bronfenbrenner auf eine<br />

Fülle empirischer Belege <strong>der</strong> Entwicklungsforschung<br />

stützen, die immer wie<strong>der</strong> zeigen,<br />

wie wichtig für die Entwicklung <strong>der</strong> Selbstachtung<br />

eine stabile Beziehung zur Mutter<br />

<strong>und</strong> zum Vater ist. Diese Selbstachtung<br />

eines Kindes, <strong>und</strong> hier knüpft Rawls an<br />

Tocqueville an, ist die Gr<strong>und</strong>voraussetzung<br />

für die Achtung an<strong>der</strong>er Menschen. Ohne<br />

die Erfahrung einer unbedingten Liebe <strong>und</strong><br />

Zuneigung entwickelt sich eine solche<br />

Selbstachtung aber nicht. Auch in dieser<br />

Theorie <strong>der</strong> Gerechtigkeit von Rawls, <strong>der</strong><br />

sich hier auf Piaget stützt, braucht ein Kind<br />

die Erfahrung, mit Gleichaltrigen zu kommunizieren,<br />

mit ihnen Regeln zu entdecken<br />

<strong>und</strong> weiterzuentwickeln, um die Achtung<br />

vor sich <strong>und</strong> vor an<strong>der</strong>en auch in ein Konzept<br />

<strong>der</strong> wechselseitigen Gleichheit einzubetten.<br />

Dieses komplexe Gr<strong>und</strong>modell kindlicher<br />

Entwicklung löste die traditionelle Industriegesellschaft<br />

durch eine Arbeitsteilung<br />

zwischen den Geschlechtern ab, indem <strong>der</strong><br />

Vater außerhalb des Hauses seine Fürsorge<br />

für die Kin<strong>der</strong> auf die ökonomische Existenzsicherung<br />

ausrichtete, während die<br />

Mutter, zumindest in den bürgerlichen<br />

Familien, zu Hause blieb <strong>und</strong> sich <strong>der</strong> persönlichen<br />

Fürsorge für die Kin<strong>der</strong> widmete.<br />

In <strong>der</strong> Industriegesellschaft war man bereit,<br />

die Ressourcen <strong>und</strong> das Potential <strong>der</strong><br />

Frauen <strong>und</strong> Mütter exklusiv für die Familie<br />

<strong>und</strong> für die kindliche Entwicklung zur Verfügung<br />

zu stellen. Mit den zumeist auch<br />

größeren Familien war auch die zweite<br />

Bedingung für die Entwicklung von Achtung<br />

vor an<strong>der</strong>en gegeben, nämlich die Erfahrung<br />

<strong>der</strong> Gleichheit in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit den Geschwistern. Arlie Hochschild<br />

nennt dieses Modell »traditionellwarm«,<br />

weil in diesen traditionellen Strukturen<br />

<strong>der</strong> Industriegesellschaft, aufbauend auf<br />

einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung <strong>der</strong><br />

Geschlechter, ein großer Teil <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Ressourcen in die kindliche<br />

Entwicklung investiert wurde.<br />

Hochschild nennt auch den Preis für dieses<br />

Modell: Die Mütter waren auf diese Weise in

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