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ezweckt, seine eigne Person dem Leben zu erhalten - nein, wir wissen es sehr<br />

wohl, dieser inspirierte Doktor ist ein spiritualistischer Charlatan, ein frommer<br />

Betrüger, ein mystischer Schlaukopf, der aber, wie seine ganze Spezies,<br />

in der Wahl der Mittel nicht allzu gewissenhaft verfährt, weil mit seinem<br />

heiligen Zwecke seine Person innig verwachsen ist. Die heiligen Zwecke sind<br />

nämlich immer mit den heiligen Personen auf das Innigste verwachsen; denn<br />

sie sind rein idealistischer Natur und haben ihre Existenz nur in den Köpfen.<br />

Alle Idealisten, die philosophischen wie die religiösen, die alten wie die modernen,<br />

glauben an Inspirationen, an Offenbarungen, an Heilande, an Wundermänner,<br />

und es hängt nur von der Stufe ihrer Bildung ab, ob dieser<br />

Glaube eine rohe, religiöse oder eine gebildete, philosophische Gestalt annimmt,<br />

wie es nur von dem Maße ihrer Energie, ihrem Charakter, ihrer gesellschaftlichen<br />

Stellung usw. abhängt, ob sie sich passiv oder aktiv zum<br />

Wunderglauben verhalten, d. h. Wunderschäfer oder Schafe sind, ob sie<br />

ferner theoretische oder praktische Zwecke dabei verfolgen.<br />

Kuhlmann ist ein sehr energischer Mann und nicht ohne philosophische<br />

Bildung; er verhält sich keineswegs passiv zum Wunderglauben und verfolgt<br />

dabei sehr praktische Zwecke.<br />

August Becker teilt nur mit Kuhlmann die nationale Gemütskrankheit.<br />

Der gute Mann „bedauert die, welche es nicht über sich bringen können,<br />

einzusehen, daß der Wille und Gedanke der Zeit immer nur von Einzelnen<br />

ausgesprochen werden kann". Für den Idealisten hat jede weltumgestaltende<br />

Bewegung ihre Existenz nur im Kopfe eines Auserwählten, und das Schicksal<br />

der Welt hängt davon ab, ob dieser eine Kopf, der alle Weisheit als Privateigentümer<br />

besitzt, durch irgendeinen realistischen Stein tödlich verletzt<br />

wird, bevor er seine Offenbarungen von sich gegeben. „Oder wäre dem nicht<br />

so?" fügt August Becker herausfordernd hinzu. „Setzet alle Philosophen<br />

und Theologen der Zeit zusammen und laßt sie raten und abstimmen, und<br />

dann sehet, was da herauskommt!"<br />

Die ganze historische Entwicklung reduziert sich für den Ideologen auf<br />

die theoretischen Abstraktionen der historischen Entwicklung, wie sie in den<br />

„Köpfen" aller „Philosophen und Theologen der Zeit" sich gebildet haben,<br />

und da man alle die „Köpfe" unmöglich „zusammensetzen" und „raten<br />

und abstimmen" lassen kann, so muß es Einen heiligen Kopf geben, der<br />

die Spitze von allen jenen philosophischen und theologischen Köpfen<br />

bildet, und dieser Spitzkopf ist die spekulative Einheit jener Dickköpfe - der<br />

Erlöser.<br />

Dieses Kopfsystem ist so alt wie die ägyptischen Pyramiden, mit denen<br />

es mancherlei Ähnlichkeit hat, und so neu wie die preußische Monarchie, in

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