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und offenbarsten Interessen" „geprellt" wird oder seine „Bedürfnisse auf<br />
Kosten der Andern befriedigen" kann. Wir bemerken hier, daß Sancho „natürliche<br />
und offenbare Interessen" und „Bedürfnisse" Aller - also gleiche<br />
Interessen und Bedürfnisse anerkennt. Wir erinnern uns ferner zugleich der<br />
p. 456 des Buchs, wonach „die Übervorteilung" ein „vom Zunftgeist eingepredigter<br />
moralischer Gedanke" ist, und einem Menschen, der eine „weise<br />
Erziehung" genossen hat, bleibt sie „fixe Idee, gegen die keine Gedankenfreiheit<br />
schützt". Sancho „hat seine Gedanken von oben und bleibt dabei",<br />
(ibid.) Diese gleiche Macht Aller ist nach seiner Forderung, daß Jeder „allmächtig",<br />
d. h., daß Alle gegeneinander ohnmächtig werden sollen, ein ganz<br />
konsequentes Postulat und fällt zusammen mit dem gemütlichen Verlangen<br />
des Kleinbürgers nach einer Welt des Schachers, in der Jeder seinen Vorteil<br />
findet. Oder aber unser Heiliger setzt urplötzlich eine Gesellschaft voraus,<br />
in der Jeder seine Bedürfnisse ungehindert befriedigen kann, ohne dies „auf<br />
Kosten Andrer" zu tun, und in diesem Falle wird die Exploitationstheorie<br />
wieder zu einer sinnlosen Paraphrase für die wirklichen Verhältnisse der Individuen<br />
zueinander.<br />
Nachdem Sancho in seinem „Verein" die Andern „verzehrt" und verspeist<br />
und damit den Verkehr mit der Welt in den Verkehr mit sich verwandelt<br />
hat, geht er von diesem indirekten zum direkten Selbstgenuß über, indem<br />
er sich selber verspeist.<br />
C. Mein Selbstgenuß<br />
Die Philosophie, welche das Genießen predigt, ist in Europa so alt wie die<br />
kyrenäische Schule 1 - 1563 . Wie im Altertum die Griechen, sind unter den<br />
Neueren die Franzosen die Matadore in dieser Philosophie, und zwar aus<br />
demselben Grunde, weil ihr Temperament und ihre Gesellschaft sie am<br />
meisten zum Genießen befähigte. Die Philosophie des Genusses war nie etwas<br />
andres als die geistreiche Sprache gewisser zum Genuß privilegierter gesellschaftlicher<br />
Kreise. Abgesehen davon, daß die Weise und der Inhalt ihres<br />
Genießens stets durch die ganze Gestalt der übrigen Gesellschaft bedingt<br />
war und an allen ihren Widersprüchen litt, wurde diese Philosophie zur<br />
reinen Phrase, sobald sie einen allgemeinen Charakter in Anspruch nahm und<br />
sich als die Lebensanschauung der Gesellschaft im Ganzen proklamierte. Sie<br />
sank hier herab zur erbaulichen Moralpredigt, zur sophistischen Beschönigung<br />
der vorhandenen Gesellschaft, oder sie schlug in ihr Gegenteil um, indem<br />
sie eine unfreiwillige Askese für Genuß erklärte.<br />
Die Philosophie des Genusses kam auf in der neueren Zeit mit dem Untergange<br />
der Feudalität und der Umwandlung des feudalen Landadels in den