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eichsten Schichten des Bürgertums verloren der Arzt, der Schriftsteller,<br />

der Künstler ihre Klientel. Auch sie gerieten nun in bittere Not.<br />

Während eine neue landfremde Bourgeoisie aus der Not des Landes<br />

neue große Vermögen schöpfte, wurde der alte Reichtum des altösterreichischen<br />

Bürgertums durch die Geldentwertung vernichtet. Das altösterreichische<br />

Bürgertum wurde aus seiner gewohnten bürgerlichen Lebenshaltung<br />

tief hinabgestürzt. Tausende, die vor dem Kriege reich gewesen,<br />

konnten ihr Leben nur noch fristen, indem sie alten Hausrat und Schmuck<br />

verkauften und ihre Stuben an Fremde vermieteten. Sie konnten keine<br />

Hausgehilfinnen mehr halten. <strong>Buch</strong>, Theater, Konzert wurden ihnen zu<br />

unerschwinglichem Luxus.<br />

Es war das Altwiener Patriziat, es waren die führenden Schichten der<br />

österreichischen Intelligenz, es waren große Teile des mittleren und kleinen<br />

Bürgertums, die durch die Geldentwertung verelendet wurden. Sie waren<br />

die eigentlich herrschende Klasse der Habsburgermonarchie gewesen. Sie<br />

hatten der Habsburgermonarchie ihre Beamten, ihre Offiziere gestellt. Sie<br />

waren die Träger des österreichischen Patriotismus, der altösterreichischen<br />

Traditionen gewesen. Sie waren seit einem Jahrhundert die Träger der<br />

spezifisch österreichischen Kultur, der Wiener Literatur, der Wiener Musik,<br />

des Wiener Theaters gewesen. Sie waren die eigentlich Besiegten des<br />

Krieges. Es war ihr Reich, das im Oktober 1918 zusammengebrochen war.<br />

Und mit ihrem Reich hatten sie auch ihren Reichtum "verloren.<br />

Ihr wirtschaftliches Schicksal bestimmte ihre soziale und politische<br />

Ideologie. Im letzten Kriegsjahr waren sie voll Sehnsucht nach dem Frieden<br />

gewesen. Damals haßten sie den deutschen Imperialismus, der den Krieg<br />

in die Länge zog. Damals hofften vieje von ihnen durch die Trennung<br />

von Deutschland ihr Reich zu retten; durch Demokratie und nationale<br />

Autonomie innerhalb des Reiches dem Sonderfrieden den Weg zu bahnen.<br />

Ihr Pazifismus näherte sie damals der Sozialdemokratie. Und als im Oktober<br />

1918 die Demokratie siegte, wurden auch von ihnen viele völlig von<br />

dem Geist der neuen Zeit erfaßt. Bereit, sij^h der aufsteigenden Macht der<br />

Arbeiterklasse zu gesellen, nannten sie sich nun „geistige Arbeiter". Aber<br />

nach wenigen Wochen schon schlug ihre Stimmung um. Die neue Zeit<br />

hatte sie pauperisiert. Ihre Verelendung erbitterte sie! Ihre Erbitterungwandte<br />

sich gegen die beiden Klassen, die aus der Katastrophe, die das<br />

alte Bürgertum zugrunde gerichtet hatte, aufgestiegen waren: gegen die<br />

neue Bourgeoisie, die wirtschaftlich die Katastrophe genützt, und gegen die<br />

Arbeiterklasse, die die Katastrophe zu politischer Vorherrschaft gehoben<br />

hatte. Sie sahen viele Juden unter den reich gewordenen Schiebern. Sie<br />

sahen Juden unter den Führern der Arbeiter. Ihr zwiefacher Haß fand im<br />

Antisemitismus seine Vereinigung.<br />

Sehr bald wurde ihre Erbitterung gegen die Arbeiter stärker als ihre<br />

Erbitterung gegen die Schieber. Am Ende war der Schieber nichts als ein<br />

erfolgreicher Kaufmann; daß aus Kauf und Verkauf Gewinne und Reichtümer<br />

entstehen, erschien ihrem bürgerlichen Denken am Ende natürlich.<br />

An der neuen Machtstellung, dem neuen Selbstbewußtsein der Arbeiter dagegen<br />

stieß sich täglich ihr bürgerliches Vorurteil. Dem Arzt erschien es<br />

als der Welten Ende, daß auch Pflegerinnen und Spitaldicner im Kranken-<br />

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