Seiteneinrichtung Word Standard - Max-Planck-Gymnasium
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12. DIE 1848ER REVOLUTION IN SERRIG<br />
Mein Vater konnte wunderbar erzählen: Von den Saarhalfen, vom Pittertsgeist, der dem<br />
Nachtwanderer auf den Rücken sprang und sich bis nach Kirten tragen ließ; von den Wichtersmännchen,<br />
die unter dem römischen Grabmal hausten, und von vielen andern schönen<br />
Dingen.<br />
Aber am besten gefiel mir die Husarengeschichte mit dem Baumrollen, dem Zipfelmützenwerfen<br />
und dem Pfannkuchen auf der Schultafel. So ein Durcheinander in ein und derselben<br />
Erzählung hatten wir noch nicht gehört.<br />
Mein Vater sagte uns, das sei 1848 gewesen, das nenne man Revolution. Jedes Dorf an der<br />
Saar hätte eine solche gehabt, sie sei von Trier gekommen. – Das Wort Revolution konnte<br />
mein Geist nicht bannen. "Vater, was ist das, Revolution?" Der Erzähler stockte. "Ach", sagte<br />
er dann kurz, "dann weiß keiner, wo er dran ist, und jeder macht, was er will." Ich war zufrieden.<br />
Ich bin’s noch heute. Mein Vater hat recht gehabt. Die Revolution in meinem Saarheimatdorf<br />
am Fuß der Klause trug sich so zu: ... An einem Sonntag bleiben die Männer in den<br />
sauberen blauen Kitteln unter der mächtigen Linde zu Kirten an der Kirche zurück. "Wat hun<br />
de Männer dann neis?", sagt Lächkahlen Wes und dreht sich an der Battesmühl noch zweimal<br />
um. Sie ist stets die letzte von der Frauenseite. "Bst, bst!" macht da Zeimets Ehm, "et es Revelutziun<br />
en Triär, et geit gint de Preißen!" Dann erzählt er, immer ängstlich Umschau haltend,<br />
von den Barrikaden der Trierer Straßen; wie man einen Laden geplündert, Freiheit,<br />
Gleichheit, Brüderlichkeit gerufen. "De Schandärm, de Firschter, de Burgermeischter und de<br />
Preißen, die hun all necht mih se son." Da geht ein heftiges Rauschen durch die Linde. Den<br />
Schrei der hundert Männerkehlen geben die Saarberge im vielfachen Echo wieder: "Die hun<br />
all necht mih se son."<br />
Bei Franzen auf der Saar werden an dem Sonntag viele Schoppen Saarwein getrunken und<br />
noch viel Viez daheim. Am Montagmorgen kommen die Schuljungen nur ungern zur Schule.<br />
Einer von den Großen sagt eben zu dem Michel aus der Tunnengaß: "Se hun all necht mih se<br />
son." ... Batsch, batsch, da klatscht es. Mein Großvater, ihr Lehrer, steht da ruhig auf der großen<br />
Steintreppe. "Dürfen die Jungen auch Revolution machen?" – "Nein" – "Haben wir Schule?"<br />
– "Ja, geht schön rauf." Da stampfen die 90 die breite Treppe hinauf, dann kommt die<br />
schmale Eichentreppe, nun links herum in den Saal. Ganz genau so wie vorgestern morgen,<br />
und das soll nun Revolution sein? Dann wird gerechnet geschrieben und gelesen. Mein Großvater<br />
geht aber sehr oft ans Fenster, als ob er jemand erwartete. Der Unterricht stockt. Die<br />
Sonnenuhr, die auf dem Fensterbrett steht, zeigt die Pause an. Die Jungen zittern vor Erregung<br />
und Neugierde. Sie ahnen und fühlen: es wird gleich etwas Wichtiges geschehen. "Heielo, lo<br />
kommen se." Die Männer tragen eine lange Stange herbei. Zwischen Schule und Pfarrhaus,<br />
auf dem freien Platz wird sie emporgerichtet. Eine Rolle Tabak steckt oben drauf, bunte Bänder<br />
flattern herum. "Dat es de Freiheitsbaum!" ruft einer aus der Wohnergaß. "Juhu, Freiheit –<br />
necht mih se son. – Gleichheit. Juhu, kei Ferschter, kei Schandärm! – Brüderlichkeit. Juhu!" –<br />
"Wahrhaftig", sagt mein Großvater, "sie tanzen." Der ernste Mann kann nicht anders, er muß<br />
lachen bei allem Elend. Die Zipfelmützen fliegen, die blauen "Schippen" flattern, die steifen<br />
Beine schreiben wunderliche Zeichen.<br />
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