Konstruktivismus, Theologie und Wahrheit - Religionslehrer im ...
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<strong>und</strong> Erkennen bilden demgemäß nicht eine objektive Wirklichkeit ab, sondern sie errechnen bzw.<br />
konstruieren etwas, das wir erkennend als Wirklichkeit akzeptieren <strong>und</strong> dem entsprechend wir uns<br />
verhalten <strong>und</strong> handeln. Kognition ist also gleichzusetzen mit dem gesamten Lebensprozess, nicht<br />
mit der kategorialen Strukturierung oder Erfassung einer objektiven Außenwelt.“ 42<br />
Der Begriff der Autopoiese wurde von Peter M. Hejl <strong>und</strong> von N. Luhmann (der sich allerdings<br />
vom <strong>Konstruktivismus</strong> distanziert) übernommen <strong>und</strong> für die Betrachtung sozialer Strukturen<br />
verwandt. Kommunikation in sozialen Systemen funktioniert ähnlich wie die<br />
Selbstreproduktion lebender Organismen. Auch soziale Systeme nehmen nur das auf, was „zu<br />
ihrem Thema passt“, was an die bisherige Kommunikation angeschlossen werden kann.<br />
Typisch für jede Kommunikation ist die Selbstreferentialität (Selbstbezüglichkeit), d.h. sie<br />
bezieht sich nicht auf die Umwelt direkt, sondern auf die von ihr wahrgenommene innere<br />
Abbildung der Umwelt, also letztendlich auf sich selbst. Soziale Systeme sind in diesem Sinn<br />
„autopoietisch geschlossen“ bzw. „operativ geschlossen“. Deshalb spricht man auch noch von<br />
Strukturdeterminiertheit. Eine Person wird nicht von außen zu einer best<strong>im</strong>mten Reaktion<br />
veranlasst (determiniert), sondern es ist <strong>im</strong>mer die interne Struktur der Person, die best<strong>im</strong>mt,<br />
wie sie mit Reizen aus dem umgebenden Milieu umgeht. 43<br />
Daraus folgt, dass alle Wirklichkeitsmodelle subjektabhängig sind. „Der Mensch kann nur<br />
erkennen, was er selber gemacht hat. Darum ist die Welt <strong>und</strong> muss die Welt, die der Mensch<br />
erlebt, so sein, wie sie ist, weil der Mensch sie so gemacht hat.“ 44 Daraus folgt, dass die einem<br />
Organismus zugängliche Welt dessen kognitive Welt ist, nicht die Welt an sich (so wie sie ist).<br />
Wir bewegen uns <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Feld der Wirklichkeit zweiter Ordnung; über die Wirklichkeit der<br />
ersten Ordnung (d.h. die Welt an sich) können wir keine Aussagen machen. 45 Deshalb ist unser<br />
Wissen nicht ein Abbild einer von uns unabhängig existierenden Wirklichkeit, nicht eine<br />
Erkenntnis, die eine objektive, ontologische Wirklichkeit betrifft, sondern nur die Ordnung <strong>und</strong><br />
Organisation von Erfahrungen in der Welt unseres Erlebens. 46<br />
42 SCHMIDT 2005, 151.<br />
43 Vgl. AMMERMANN 1990, 43.<br />
44 SCHMIDT 2005, 152.<br />
45 Vgl. MENDL 2005b, 13.<br />
46 Maturana/Varela unterscheiden zwischen zwei Umwelten: einer ontischen Umwelt, die unabhängig vom<br />
Organismus <strong>und</strong> vor aller Wahrnehmung existiert – dem „umgebenden Milieu“ (das der menschlichen Kognition<br />
nicht zugänglich ist) – <strong>und</strong> der Umwelt, die das Subjekt als Erfahrungs- <strong>und</strong> Lebenswelt durch kognitive <strong>und</strong><br />
affektive Prozesse konstruiert.<br />
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