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Konstruktivismus, Theologie und Wahrheit - Religionslehrer im ...

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dann heißt das für mich als Lehrer, dass ich mir bewusst werden muss, dass ich die<br />

Möglichkeit einer Einflussnahme auf den Schüler nie genug unterschätzen kann. Gibt es dann<br />

noch einen Gr<strong>und</strong>, sich als <strong>Religionslehrer</strong> oder als Theologe gegen einen solchen Einheitskurs<br />

zu wehren? Muss man dann nicht ein klassisches Axiom der Religionspädagogik in Frage<br />

stellen, das der Trierer Religionspädagoge W. Lentzen-Deis wie folgt resümiert: „Ein<br />

allgemein-religiöser Unterricht, der neutral sein muss, wird auf unverbindliches<br />

religionsk<strong>und</strong>liches Beschreiben <strong>und</strong> Vergleichen unterschiedlicher Konfessionen, Religionen<br />

oder Weltanschauungen hinauslaufen. Das genügt nicht für den lebendig-persönlichen<br />

Bildungsprozess. Auf diese Weise lernen Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler keine konkrete Konfession<br />

oder Religion authentisch kennen. Sie können sich nicht an der Standpunkthaftigkeit von<br />

Lehrenden reiben, um so in Auseinandersetzung mit ausgeprägten religiösen Positionen zur<br />

eigenen Glaubensüberzeugung zu finden.“ 355 Aus konstruktivistischer Sicht stellt sich die<br />

Frage: Kann nicht auch ein nicht-bekennender <strong>Religionslehrer</strong> dem konstruierenden Schüler<br />

Impulse geben, die ihm bei seinem religiös-spirituellen Konstruktionsprozess dienlich sind?<br />

Erfahrungsgemäß kann auch ein Biologielehrer, der keine besondere Leidenschaft für das<br />

Gebiet der Genetik hat, sondern eher <strong>im</strong> Bereich der Tierk<strong>und</strong>e zu Hause ist, bei einem<br />

dementsprechend veranlagten Schüler eine Leidenschaft diesbezüglich erwecken, so wie auch<br />

ein Französischlehrer, dessen Herz eher für zeitgenössische Prosa schlägt, bei einem Schüler<br />

ein Interesse an mittelalterlicher Dichtung erwecken kann. Erfahrungsgemäß kann auch ein<br />

schlechter Religionsunterricht <strong>im</strong>mer wieder Studenten für ein <strong>Theologie</strong>studium oder ein<br />

schlechter Geschichtsunterricht Studenten für ein Geschichtsstudium motivieren. Diese<br />

Beispiele ließen sich freilich vervielfältigen. Deshalb lautet eine unserer Thesen: Auch ein<br />

bekenntnisfreier Religionsunterricht <strong>im</strong> Sinne einer Religionsk<strong>und</strong>e kann dem Schüler helfen,<br />

seinen ethischen, spirituellen <strong>und</strong> religiösen Standpunkt zu konstruieren.<br />

Wenn man aus konstruktivistischer Perspektive für die Einführung des „Einheitskurses“<br />

plädiert, stellt sich die Frage, wie ein solcher „Einheitskurs“ konstruktivistisch verstanden<br />

werden könnte. Vertreter einer (explizit oder <strong>im</strong>plizit) konstruktivistischen <strong>Theologie</strong><br />

(hauptsächlich Klein, <strong>im</strong> Anschluss an Mildenberger, Fischer, Dalferth/Stoellger) verstehen<br />

<strong>Theologie</strong> als eine Beobachtung zweiter Ebene, die sich von der Ebene des religiösen Vollzugs<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich unterscheidet, <strong>und</strong> deren Gegenstand nicht die „Wirklichkeit“, sondern der<br />

„Geist“ ist, den sie in den geschichtlichen Urk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> <strong>im</strong> Lebensvollzug der Kirche findet,<br />

nicht aber in der Offenbarung <strong>und</strong> in der Vernunft. Analog dazu könnte man den einheitlichen<br />

Werte- <strong>und</strong> Weltanschauungsunterricht konzipieren als Beobachtung zweiter Ebene, die sich<br />

von der Ebene des konkreten Lebensvollzugs (d.h. des moralischen Handelns <strong>und</strong> des<br />

355 Vgl. LENTZEN-DEIS 2002, 92-93.<br />

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