Konstruktivismus, Theologie und Wahrheit - Religionslehrer im ...
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gesamte Wirklichkeit, auf die sich der Glaube bezieht) aufmerksam. 171 Besonders in Bezug auf<br />
das Verhältnis von Offenbarung, Vernunft <strong>und</strong> Glauben gibt es bis heute verschiedene<br />
Konzeptionen: Eine erste Auffassung – die des ersten Vatikanischen Konzils – besagt, dass der<br />
Mensch Gott mit Hilfe seiner Vernunft erkennen kann. Eine zweite – etwa vertreten durch Paul<br />
Althaus – besagt, dass man überhaupt nichts über Gott erkennen kann, wenn Gott sich nicht<br />
selber offenbart. Eine dritte – der Hauptvertreter dieser These ist Karl Barth – geht davon aus,<br />
dass wir, um Gott zu erkennen, weder der Vernunft noch einer allgemeinen Offenbarung<br />
Gottes bedürfen, sondern dass wir ausschließlich durch die spezielle Offenbarung durch Jesus<br />
Christus etwas über Gott wissen. Eine vierte Auffassung – etwa vertreten durch Paul Tillich –<br />
stellt einen Kompromiss dar, indem sie von einer Korrelation von menschlichem Fragen <strong>und</strong><br />
göttlichem Antworten ausgeht: Nur wenn der Mensch die Frage nach Gott stellt, kann er die<br />
spezielle Offenbarung verstehen. 172<br />
Dieselbe Feststellung machen wir in der Frage nach der Erkenntnis der <strong>Wahrheit</strong>: Während<br />
Augustinus von einer in der Menschenseele wohnenden <strong>Wahrheit</strong> (d.h. eines inneren Meisters,<br />
Jesus Christus) ausgeht, zu deren Erkenntnis ein Mensch nichts Substanzielles (über eine<br />
einfache Anregung Hinausgehendes) beitragen kann, betont Thomas von Aquin die<br />
konstitutive Beteiligung des erkennenden Subjekts an der <strong>Wahrheit</strong>serkenntnis. 173<br />
Hans Mendl betont: „Man muss sich zunächst über den Fragehorizont (Voraussetzungen,<br />
Gültigkeit, Funktion oder Bedeutung von <strong>Wahrheit</strong>) vergewissern. Fehlt ein solches<br />
Problembewusstsein <strong>und</strong> wird einfach ein gemeinsamer Begriffshorizont suggeriert [...] oder<br />
gesetzt [...], so ist dies keine vernünftige Ausgangsbasis für einen wissenschaftlichen<br />
Diskurs.“ 174 Halten wir also fest: Oft fehlt der gemeinsame Frage- <strong>und</strong> Begriffshorizont. Ist<br />
man sich dieser Tatsache nicht bewusst, scheint eine vernünftige Ausgangsbasis für einen<br />
wissenschaftlichen Diskurs mit dem <strong>Konstruktivismus</strong> nicht gegeben. 175 Im anderen Falle<br />
171 Vgl. SECKLER 2000, 48-49. C. Link betont zu Recht, dass die Berufung auf Offenbarung von vielen als<br />
Zumutung empf<strong>und</strong>en wird, weil dadurch der theologische Diskurs von den anderen wissenschaftlichen Diskursen<br />
getrennt wird. Link schlägt der <strong>Theologie</strong> vor, das ‚Wort’ Offenbarung verstärkt mit dessen umgangssprachlichen<br />
Sinn zu behaften: Vertraute Zusammenhänge erscheinen einem plötzlich in einem ganz anderen Licht. Vgl. LINK<br />
1996, 363.<br />
172 Vgl. ADAM 1999, 257-258.<br />
173 Vgl. MÜLLER 2003, 435.<br />
174 MENDL 2005, 180.<br />
175 Vgl. die Aussage „Denn der christliche Glaube kennt <strong>Wahrheit</strong>en, Gewissheiten <strong>und</strong> Dogmen“ bei BORN<br />
(2003, 251). Hier wird ein gemeinsamer Frage- <strong>und</strong> Begriffshorizont suggeriert, den es innerhalb der <strong>Theologie</strong><br />
nicht gibt.<br />
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