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Konstruktivismus, Theologie und Wahrheit - Religionslehrer im ...

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Nicht umsonst betont die biblische <strong>Theologie</strong> in Bezug auf Jesus, dass nicht die W<strong>und</strong>er zum<br />

Glauben geführt haben, sondern umgekehrt der Glaube erst die W<strong>und</strong>er ermöglicht hat. Wo<br />

kein W<strong>und</strong>erglaube, da auch keine W<strong>und</strong>er. Von der wirklichkeitsverändernden Kraft des<br />

Glaubens – den wir gegenwärtig zum Beispiel <strong>im</strong>mer wieder in Lourdes erleben, wo<br />

mittlerweile mehr als 5000 Heilungen gemeldet worden sind 238 - hat bereits Jesus gewusst. So<br />

wird es zumindest in den Evangelien dargestellt: Auf dem Weg nach Jericho begegnet Jesus<br />

einem Blinden, der ihn bittet, ihn zu heilen. Jesus erwidert ihm: „Gehe hin, dein Glaube hat dir<br />

geholfen!“ <strong>und</strong> der Blinde kann wieder sehen.<br />

Etzold führt anschließend an, dass die Forschungsergebnisse der Naturwissenschaften den<br />

Glauben an W<strong>und</strong>er gründlich widerlegt haben. Hierzu ist kritisch anzumerken, dass diese<br />

Widerlegung bereits viel früher, nämlich in der Aufklärung stattgef<strong>und</strong>en hat. Wie dem auch<br />

sei – viele europäische Christen sind der Meinung: Die Wirklichkeit gehorcht strengen<br />

Naturgesetzen. Es überrascht Etzold zufolge nicht, dass solche Menschen keine<br />

Gotteserfahrung mehr machen: Wer davon überzeugt ist, dass eine Gotteserfahrung nicht<br />

möglich ist, macht auch keine, so wie niemand ein W<strong>und</strong>er erlebt, wenn er keines erwartet.<br />

Jedenfalls gilt Etzold zufolge dasselbe für das naturwissenschaftliche Weltbild wie für den<br />

W<strong>und</strong>erglauben: „Auch unsere moderne, aufgeklärte Weltsicht ist <strong>im</strong> Sinne Watzlawicks<br />

rückbezüglich <strong>und</strong> dürfte sich die Wirklichkeitsbeweise für ihre Richtigkeit selbst<br />

erschaffen.“ 239<br />

Der Glaube konstruiert also Wirklichkeit. Der Glaube ermöglicht „Gotteserfahrung“ <strong>und</strong><br />

„W<strong>und</strong>er“. So gibt es also für Gotteserfahrung <strong>und</strong> W<strong>und</strong>er <strong>im</strong> Sinne einer sich selbst<br />

erfüllenden Prophezeiung sehr oft eine rationale Erklärung. Man sollte deshalb vorsichtig sein,<br />

in diesem Zusammenhang von einem göttlichen Einwirken oder einer „Führung durch den<br />

heiligen Geist“ zu sprechen. „Für eine theologische Beurteilung von Glaubenserfolgen wird es<br />

[...] in hohem Maße darauf ankommen, inwieweit Erklärungsversuche <strong>im</strong> Sinne von<br />

selbsterfüllenden Prophezeiungen oder unbewussten Manipulationen des<br />

Ereigniszusammenhangs be<strong>im</strong> Zustandekommen der Glaubenswirkung auszuschließen<br />

sind.“ 240<br />

Aus konstruktivistischer Sicht kann man sagen: Der W<strong>und</strong>ergläubige sieht überall Gottes<br />

Eingreifen, während der skeptische Christ davon überzeugt ist, dass Gottes Eingreifen sich auf<br />

238 Vgl. ETZOLD 1992, 432.<br />

239 ETZOLD 1992, 436.<br />

240 ETZOLD 1992, 439.<br />

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